Die Einsetzungsworte Jesus: „für viele“
– „für alle“? „Das ist mein Blut, … das für viele vergossen wird.“ Diesen Satz haben wir soeben im Evangelium gehört. „Das ist mein Blut, dass für … alle vergossen wird“, so werden wir es gleich bei den Wandlungsworten der Liturgie hören. Die meisten von Ihnen werden mitbekommen haben, dass Papst Benedikt am 14. April dieses Jahres einen Brief an Bischof Zollitsch, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, gerichtet hat mit der klaren Maßgabe, in der Neuübersetzung des deutschen Messbuches, das noch in Arbeit ist, das lateinische „pro multis“ nicht wie bisher mit „für alle“, sondern mit „für viele“ wiederzugeben. Einige aus der Gemeinde haben nach der Veröffentlichung des Briefes sehr genau darauf geachtet und mich auch daraufhin angesprochen, wie ich denn nun die Einsetzungsworte bete. Nach wie vor spreche ich sie so, wie es das derzeit gültige Messbuch vorsieht. Der Grund ist: Papst Benedikt hat seinen Brief an die Bischöfe adressiert. Daher ist es nicht die Aufgabe der Priester, diesen Wunsch auf eigene Faust umzusetzen, sondern zu warten, bis die Bischöfe ihn für den deutschen Sprachraum regeln. Außerdem hat der Heilige Vater mit größtem Nachdruck hinzugefügt, dass eine „gründliche Katechese … die Grundbedingung für das Inkrafttreten der Neuübersetzung“ ist. Auch diesbezüglich sind die Bischöfe gefragt. Gleichwohl will jetzt schon ich die Gelegenheit nutzen, das Anliegen des Papstes zu erläutern. An vier Stellen des Neuen Testaments werden uns die Einsetzungsworte Jesu beim Letzten Abendmahl überliefert. Nach Lukas und Paulus sagt Jesus beim Kelchwort einfach nur „für euch vergossen“, Matthäus und Markus berichten von „vergossen für viele“. Die lateinische Liturgie hat beide Überlieferungen miteinander verbunden: „pro vobis et pro multis effundetur“, heißt es im römischen Kanon: Das ist mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird“. Diese wörtliche Übersetzung „für viele“ finden wir auch in allen anderen Liturgien der Ostkirchen, der anglikanischen Kirche sowie in denen der evangelischen Landeskirchen. In letzteren wird manchmal nur das „für euch“ gebetet, ansonsten aber „für viele“, nach meiner Kenntnis jedenfalls nirgends „für alle“. Wie kam es nun aber, als in den siebziger Jahren im Zuge der Liturgiereform die Messbücher in die einzelnen Volkssprachen übersetzt wurden, zu der in der Liturgiegeschichte erstmaligen nicht wörtlichen, sondern interpretierenden Übersetzung „für alle“. Wobei hinzuzufügen ist, dass dies nicht flächendeckend geschah, sondern in der Hauptsache nur die deutschen, italienischen, spanischen und englischen Messbücher betraf und betrifft? Es gab damals im Anschluss an den evangelischen Exegeten Joachim Jeremias einen allgemeinen exegetischen Konsens, dass das hebräische Wort für viele ein sog. Semitismus sei, alle meine und daher sinngemäß auch mit alle zu übersetzen sei. Dieser Konsens besteht in der Zwischenzeit nicht mehr. Sowohl das Hebräische wie das Griechische kennen ein Wort für alle, weswegen die Frage bleibt, warum dann nicht schon Jesus „für alle“ gebetet hat. Dazu nachher mehr, aber es zeigt sich schon das eigentliche Problem. Nicht nur die kirchliche Tradition, sondern schon das Neue Testament bezeugt eindeutig, dass Jesus sich hingegeben und sein Blut am Kreuz vergossen hat nicht nur für viele in einem einschränkenden Sinn, sondern eindeutig für alle Menschen. Muss daher die Rücknahme der uns inzwischen vertrauten und sinngemäß ja auch richtigen Übersetzung „für alle“ nicht beim normalen Gottesdienstbesucher den Eindruck erwecken, hier finde ein „Bruch mitten im Zentrum des Heiligen“ statt. Wird man nicht fragen: „Ist nun Christus nicht für alle gestorben? Hat die Kirche ihre Lehre verändert? … Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will?“ Diese Fragen stellt Papst Benedikt wörtlich zitiert selbst in seinem Brief. Wie ist darauf zu antworten? Zunächst einmal hat sich an der Lehre der Kirche nichts, aber auch gar nichts verändert. Dass der Heilswille Gottes eingeschränkt zu glauben sei und sich nicht auf ausnahmslos alle Menschen beziehe, ist nicht und kann nicht die Absicht des Papstes sein. Worum geht es ihm dann? Ich möchte mehrere Punkte nennen.
Dennoch bleibt die schon erwähnte Frage und Schwierigkeit: Warum betet Jesus selbst: „mein Blut, vergossen für viele“, anstatt für alle? Diese Frage führt uns zum vierten Punkt: Der Papst schreibt, und dies im Anschluss an im Prinzip alle Exegeten, dass Jesus mit dem Wort „für viele“ auf das 4. Gottesknechtslied aus dem alttestamentlichen Buch Jesaja verweist. Hier lesen wir: „Mein Knecht, der gerechte, macht die Vielen gerecht … Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein“ (Jes 53, 11.12.). Indem Jesus so formuliert, drückt er aus: Was hier verheißen wird, ist in mir erfüllt. Ich selbst bin jener Gottesknecht, jener leidende Gerechte, auf den der Prophet Jesaja verweist. Mit anderen Worten:
Dies zeigt sich konkret in jeder Eucharistiefeier. Auch wenn Christus für alle gestorben ist, umfasst die Feier der Eucharistie de facto eben nicht alle Menschen. Natürlich wäre es schön, wenn jetzt – um nur unseren Ort als Beispiel zu nehmen – alle Garchinger oder wenigstens alle getauften oder zumindest katholischen Garchinger hier an der Feier der Fronleichnamsliturgie teilnehmen würden. Aber dies ist definitiv nicht der Fall. Das aber bedeutet:
Dazu ergänzt Papst Benedikt: „Wie der Herr die anderen – „alle“ – auf seine Weise erreicht, bleibt letztlich sein Geheimnis.“ Aber dass wir geladen sind – wir, die wir eben nicht alle sind – soll uns einerseits mit großer Dankbarkeit erfüllen. Aber es ruft auch in die Verantwortung für all jene, die den Weg zum Tisch des Herrn (noch) nicht gefunden haben, durch Gebet und Zeugnis auch sie zum Licht Jesu Christi zu führen.
Zusammenfassend sei gesagt: Die bislang im deutschen Sprachraum noch gültige Übersetzung der Einsetzungsworte drückt einen bleibend richtigen und wesentlichen Aspekt unseres Glaubens aus. Daher ist es ganz legitim, auch bleibende Sympathie dafür zu haben. In der Frage der Abwägung des Pro und Contra hat Papst Benedikt aber entschieden, dass mehr und gewichtigere Gründe für eine Änderung sprechen. Für uns ist entscheidend, in der rechten Haltung dieses große „Geheimnis unseres Glaubens“ zu empfangen, ihn, Christus selbst, der uns im Zeichen des Brotes und Weines seinen für alle Menschen hingegebenen Leib und sein für alle vergossenes Blut darreicht. Pfr.
Bodo Windolf |