Predigt vom 11. September 2011 

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Überlegungen zum 10. Jahrestag des „11. September“ – Kann alle Schuld vergeben werden?
(24. Sonntag i. J. A  2011)

Heute jährt sich zum 10. Mal jener Tag, den die Amerikaner einfach nine/eleven nennen. Es jährt sich jenes Verbrechen, das tausenden nichtsahnenden Menschen und Familien von einer Sekunde auf die andere Tod und Leid brachte. Kann eine solche barbarische, menschenverachtende Tat eigentlich vergeben werden? Ist es uns vorstellbar, dass betroffenen Familienangehörige in Amerika den fanatischen Tätern je verzeihen können? Ist es mir vorstellbar, dass ich vergeben könnte, wenn ich unmittelbar betroffen wäre?

Bevor ich auf diese Frage eingehe, ist es aus dem Gedankengang des gehörten Evangeliums heraus notwendig, noch eine andere zu stellen, nämlich: Ist uns vorstellbar, dass Gott diese ungeheure Tat verzeiht? Die Antwort ergibt sich aus der Gleichniserzählung Jesu eindeutig und klar. Der König – der hier ganz offensichtlich für Gott steht – erlässt dem Schuldner eine unvorstellbar hohe Summe. Das kann nur heißen: Es ist keine noch so große Sünde vorstellbar, die Gott nicht vergeben könnte – allerdings nicht, wie wir gehört haben, bedingungslos; denn der König erlässt die geschuldete Summe ja nicht schon von vorneherein. Vielmehr geht dem Schulderlass die ausdrückliche Bitte des Schuldners voraus. Er, der schuldig Gewordene, muss seine Schuld erkennen, bekennen und um Erlass und Vergebung bitten.

Dabei gehört zu unserem Glauben, dass Gott die Schuld nicht einfach so beiseite tut und weggewischt, gewissermaßen durch ein großzügiges „ist nicht so schlimm, macht nichts, ist schon in Ordnung“. Vielmehr geht nach unserem Glauben alle Verzeihung, die Gott gewährt, vom Kreuz aus: Auch diese entsetzliche Tat hat Jesus am Kreuz getragen und für die Täter gesühnt. Im Kreuz Jesu ist ausnahmslos jede Sünde getragen in einer Liebe, die immer um ein Unendliches größer ist als alles menschliche Versagen und Vergehen. Gerade deswegen aber, weil Gottes und unseres Erlösers Liebe immer größer ist als menschliche Schuld, gibt es keine unvergebbare Sünden.

Nun erst können wir uns der Frage nach dem menschlichen Verzeihen zuwenden; denn Jesus stellt hier – wie übrigens auch an anderen Stellen, etwa im Vater unser – einen unauflöslichen Zusammenhang her zwischen göttlichem und menschlichem Vergeben. Vergib Du, Gott, unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Weil Gott uns/ mir vergibt, erwartet er dieselbe Haltung, dieselbe Großzügigkeit auch von uns. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“, so sagt es Jesus unmittelbar im Anschluss an das Vater unser (vgl. Mt 6,14f).

In vielen Fällen erscheint uns dies absolut nachvollziehbar und einsichtig. Aber wie ist es, wenn wir Opfer von besonders verabscheuenswürdigen Taten und Verbrechen werden wie Vergewaltigung, Missbrauch, Folter, Genozid, etc.? Ist die Aufforderung zur Vergebung dann nicht einfach eine fast unerfüllbare Zumutung, eine vollkommene Überforderung? Ist das nicht wie ein Verrat an den Opfern, eine Verharmlosung des Verbrechens?

Um einen leichteren Zugang zur Forderung Jesu zu finden, ist es wohl notwendig, zu fragen, was denn menschliche Vergebung eigentlich besagt. Denn wir benutzen hier ein und dasselbe Wort, nämlich Vergbung, für zwei durchaus unterschiedliche Sachverhalte. Göttliche Vergebung ist etwas anderes als menschliche Vergebung. Inwiefern?

Wenn Gott vergibt, dann hat dies sündentilgende Kraft. Sünde, Schuld wird natürlich nicht ungeschehen gemacht, wohl aber wirklich und wahrhaftig hinweggenommen. Diese Kraft hat menschliche Vergebung nie und nimmer. „Wer außer Gott kann Sünden vergeben?“, ist die vollkommen richtige Reaktion der Pharisäer, als Jesus zu einem Gelähmten sagt: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Wenn Jesus nicht selbst Gott, menschgewordener Gott wäre, hätten sie ganz Recht mit ihrem Vorwurf, dass seine Rede pure Gotteslästerung sei. Menschliches Vergeben hat daher eine wesentlich eingeschränktere Bedeutung gegenüber dem göttlichen. Es besagt: Deine Schuld an mir soll nicht mehr zwischen uns, zwischen dir und mir stehen. Ich will dir nicht mehr böse, ja, ich will dir wieder gut sein. 

Deswegen – das sei an dieser Stelle nur kurz eingefügt – ist folgender Einwand gegen die Beichte, dem ich häufiger begegne, nicht richtig. Diese Einwand lautet: Wenn ich an jemandem schuldig geworden bin, dann regele ich das direkt mit der betreffenden Person. Was soll Gott damit zu tun haben? Richtig daran ist, dass die Beichte nicht die zwischenmenschliche Aussöhnung, wo sie möglich und nötig ist, ersetzt. Das Umgekehrte gilt aber auch: zwischenmenschliche Vergebung im Sinne von Tilgung einer Schuld kann mir kein Mensch gewähren, sondern alleine Gott. Daher hat jede Schuld immer auch mit Gott zu tun.

Was aber ist in menschlicher Vergebung noch enthalten? Dazu müssen wir noch einmal tiefer in das deutsche Wort vergeben hineinhören, das uns hier einen guten Hinweis gibt und zugleich einen Weg aufweist, selbst im Falle fast unvergebbar scheinender Schuld einen Weg der Versöhnung zu beschreiten.

Das Wort vergeben hat in unserer Sprache auch die Bedeutung von weggeben, übergeben,  so etwa, wenn wir davon sprechen, dass ein Auftrag vergeben wird. In diesem Sinn können wir menschliche Vergebung auch deuten als die Bereitschaft: Ich ver-gebe, über-gebe mein Recht auf Rache, auf Wiedergutmachung an Gott. Ich gebe diese Rechte an Gott ab. Ich trete sie dem ab, dessen Vergeltung nicht zerstörerisch ist, wie dies bei menschlicher Rache meist der Fall ist, sondern der dies auf eine dem Täter helfende und ihn heilende Weise tut.

In diesem Sinn sind wohl auch die alttestamentlichen Rachepsalmen zu verstehen, mit denen wir uns oft recht schwer tun. Wenn der Psalmist betet: Herr, vergilt den Frevlern ihre Schandtat, dann wird die Vergeltung, die ein Wunsch nach Wiedergutmachung ist, aus der eigenen Hand gegeben und gleichsam an Gott delegiert. Ob dies schon hier auf Erden geschieht oder jenseits des Todes, liegt allein in der Hand Gottes.

An dieser Stelle kommt eine in der heutigen Theologie und Frömmigkeit fast vergessene spezifisch katholische Lehre zum Tragen: die vom Purgatorium, im Volksmund Fegefeuer. Es ist ein Ort, oder besser ein Zustand, in dem der Mensch Vergebung erlangt hat, aber noch der inneren Verwandlung, Läuterung, Reifung für den Himmel bedarf. Das Fegefeuer steht daher für das In- und Miteinander von göttlicher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Unser fürbittendes Gebet für die Verstorbenen, die Feier des Messopfers für sie, soll ihnen in diesem Prozess beistehen.

So schwer Verzeihung im Einzelfall auch fallen mag – sie ist uns aufgetragen als Nachahmung der göttlichen Barmherzigkeit; nicht zuletzt auch, damit wir selbst entgiftet, unsere Herzen entgiftet werden. Denn Unversöhnlichkeit, Verbitterung, Rachegelüste zerstören vor allem auch uns selbst. In diesem Sinn schreibt die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach: „Wir sollen immer verzeihen: dem Reuigen um seinetwillen, dem Reuelosen um unseretwille.“

Pfr. Bodo Windolf

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