Predigt vom 3. Juli 2011 (Zur Garchinger Bürgerwoche)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Hoffnung trotz allem
(Predigt zur Bürgerwoche Juli 2011)

Brauchen wir eigentlich die Religion? Hat sie sich nicht inzwischen überflüssig gemacht? Wir wissen doch, woher das Universum kommt – aus dem Urknall! Wir wissen doch, woher der Mensch kommt – aus der Evolution! Wir kennen doch die treibenden Kräfte der Evolution – Zufall, Mutation, Selektion. Angesichts all der Erkenntnisse der Naturwissenschaft ist es eng geworden ist für Gott. Erklärt sich die Welt nicht aus sich selbst. Der Glaube an Gott – ja gut, lassen wir ihn noch gelten als nützliches Placebo für die Unaufgeklärten dieser Erde, für die, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen, die ohne dieses Phantom nicht zurecht kommen, ihr Leben einfach nicht im Griff haben.

Das Leben im Griff haben – das eigene und das Leben auf der Erde insgesamt – haben wir das? Den optimistischen Fortschrittglauben des 19. Jahrhunderts, dass alles nur gut und besser und vorwärts gehe, haben wir inzwischen hinter uns gelassen. Im Gegenteil – kein Tag vergeht, an dem nicht alte und neue Krisen berichtet und diskutiert werden. Eurokrise, Schuldenkrise, Finanzkrise, Ehec-Krise, Energiekrise, Griechenlanddesaster, Terrorismus, Islamismus, Krieg in Afghanistan, Krieg in Lybien, Klima-Erwärmung. Die Liste wäre beliebig fortsetzbar.

Aber trotz allen Krisengeredes – wir wissen: es nützt nichts, gegen all diese Dinge anzubeten. Nicht Gott reduziert das CO2, nicht Gott bringt die Terroristen und Islamisten zur Vernunft, nicht Gott bewahrt uns vor einem Atomgau und schafft uns die notwendigen alternativen Energien herbei, sondern das müssen wir schon selbst bewerkstelligen. Es bestätigt sich also einmal mehr, dass wir ihn nicht brauchen.

Dasselbe – gilt es nicht auch für unser persönliches Leben? Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied – und gegen die Unwägbarkeiten des Lebens – gibt es Versicherungen.

Die Theorie, nach der der moderne Zeitgenosse lebt, lautet also: Zuerst haben sich die Dinge selbst gemacht – das Universum, darin die Erde, darauf das Leben, darunter der Mensch. Und nun, nachdem all dieses Material da ist, machen wir die Dinge – durch geschickte Anwendung, Technik, Know-How. Alles scheint für den modernen Menschen irgendwie den Stempel der Machbarkeit zu tragen.

Den Urtypos dieses Menschen hat die Bibel in der Erzählung vom Turmbau beschrieben: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen …“ Bis zum Himmel bauen ist Bild für schiere Allmachtsphantasien des Menschen.

Moderne literarische Gestalt hat dieser Menschentyp in Max Frischs Homo Faber gefunden. Der schweizerische Ingenieur Walter Faber ist die vollkommene Verkörperung der technischen Existenz eines Menschen, der wie kaum ein anderer Typ unsere heutige hochtechnisierte Zivilisation beherrscht. Homo faber – das ist der Machermensch, der Mensch, der an die Machbarkeit von allem und jedem glaubt, dessen gelebtes Credo lautet: Ich, ich habe mein Leben und wir miteinander die Probleme der Welt in der Hand. Die überraschenden, unvorhergesehenen Dinge des individuellen und gesellschaftlichen Lebens können uns letztlich nichts anhaben; ich, wir müssen es nur zu händeln wissen. Ein Zitat aus Homo Faber lautet: „Technik als Kniff, die Welt als Widerstand aus der Welt zu schaffen.“

Die Konsequenz ist der restlos autonome Mensch, der es nicht erträgt, ausgeliefert, abhängig, ohnmächtig zu sein; eine Situation zu erleben, die der Machbarkeit entzogen ist. Als bekanntester Prototyp dieses Menschenschlags in unseren Tagen könnte Gunter Sachs gelten: In dem Augenblick, da er merkt, das Leben, die Krankheit, damit die eigene Zukunft nicht mehr im Griff zu haben, glaubt er, die Eigenmacht über sein Leben nur dadurch wahren zu können, dass er sich selbst in scheinbar freier Tat auslöscht.

Die Frage ist: Lebt der beschriebene Menschentyp in der Wahrheit? Oder sitzt er in faszinierender geistiger Blindheit einer grandiosen Lüge auf, aufgebaut auf überzeugend scheinenden Scheinargumenten?

Ich möchte drei Phänomene nennen, die uns unabweislich zeigen, dass wir unser eigenes Leben und das der Menschheit insgesamt eben nicht letztlich im Griff haben.

Das erste und offensichtlichste Phänomen ist der Tod. „Mein Irrtum: dass wir Techniker versuchen, ohne den Tod zu leben“, lässt Max Frisch den Helden seines Romans sagen. Nur wenn ich den Tod restlos ausblende, verdränge, ausklammere aus meinem Denken, kann ich die Illusion aufrecht erhalten, als Mensch könne ich alles planen, nach eigenem Gusto gestalten, mit meinem Style versehen, das Leben vollkommen im Griff haben. Nichts aber zeigt so unabweislich wie der Tod, dass ein solches Leben auf einer Lüge gebaut ist und damit auf Treibsand.

Als zweites möchte ich das Phänomen Schuld nennen. Wir alle wissen: es gibt meine Schuld, mein Versagen, meinen Egoismus und die Schuld, das Versagen, den Egoismus der anderen, der Menschheit. Wir können uns noch so anstrengen – wir werden die vollkommene Gesellschaft, die leid- und fehlerfreie Welt nicht herstellen.  Die Abgründe des Bösen, die es im Menschen gibt, in uns selbst und in den anderen, können wir nicht bewältigen, weder durch noch so große Anstrengung noch auch durch Vergebung. Durch nichts und niemanden vermögen wir es aus eigener Kraft aus der Welt schaffen. Alle derartigen Versuche haben das Böse nur vermehrt, nicht vermindert. Die Erde war, ist und bleibt von menschlicher Schuld zutiefst gezeichnet und verwundet.

Das dritte und letzte Phänomen, dem wir nicht beikommen, ist das Leid in der Welt. Selbst wo wir es mit Medikamenten, Pharmaka, Psychopharmaka und allen möglichen Mitteln zu besiegen scheinen – es kommt an anderer Stelle in neuer Gestalt wieder zum Vorschein; ja, es hat den Anschein, als ob wir trotz aller medizinischen Kunst und Fortschritte in einer Welt eher mit mehr als weniger Leid im Vergleich zu früheren Zeiten leben müssen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: die Toleranzschwelle, bei der Menschen Schmerz und Leid als bedrängend erleben, scheint stark gesunken zu sein. Während Menschen früher an bestimmten Krankheiten sehr schnell starben, ist das Sterben für viele heute zu einem lang und quälend sich dahinziehenden Prozess geworden.

Gibt es Hoffnung – trotz allem? Blicken wir kurz auf das gehörte Evangelium. Jesus kennt und lebt das Aktivsein, das Machen, das Reden, das Tun. Denn als Prediger, als Heilender, als sich den Menschen Zuwendender ist er Tag und Nacht unterwegs, zeitweise so beansprucht, dass selbst die Zeit zum Essen fehlt, wie uns die Evangelisten berichten.

Aber dann die Wende: auf einmal spricht er nicht von Aktion, sondern von Passion: Der Menschensohn wird vieles erleiden, ja getötet werden.

Dagegen erhebt sich die instrumentelle, die Machervernunft, zu deren Anwalt sich Petrus macht. „Das möge Gott verhüten! Das darf nicht mit dir geschehen, Herr!“ Dein Messiassein musst du in Politik, d.h. in die richtigen Maßnahmen umsetzen, und so wirst du uns die vollkommene Welt, das Reich Gottes auf Erden machen und erwirken. Die Reaktion Jesu: der schärfste Verweis, den uns die Evangelien aus seinem Mund überliefern: „Weg mit dir, Satan, du bist mir ein Ärgernis, denn du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern die der Menschen.“

Was geschieht hier, was wird uns zur Hoffnung trotz allem? Es begegnet uns hier ein Gott, der den gordischen Knoten unserer menschlichen Existenz, nämlich unentrinnbar in Leid, Schuld und Tod verstrickt zu sein, nicht einfach durchschlägt wie weiland Alexander d. Große. Sondern ein Gott, der sich mitten hineinstellt; der sich hineinknoten lässt in das Geflecht des Unheils, unter dem wir leiden, aus dem wir aus eigener Kraft nicht hinausgelangen, um den Knoten von innen her aufzulösen. Die Hoffnung trotz allem ist die Liebe, die das annimmt, erleidet, ohne aufzuhören, restlose Liebe zu sein.

Was heißt das für uns? Was immer wir tun können, sollen wir tun, um die Wunden unserer Erde zu heilen. Wer es aus dem Glauben an Gott tut, wird sich nicht vom nackten Egoismus, sondern immer auch vom Hinschauen auf das Gemeinwohl leiten lassen.

Aber die eigentliche Größe des Menschen zeigt sich, wenn er lernt, das Unabänderliche anzunehmen; anzunehmen, dass ich immer weniger, am Ende vielleicht gar nichts mehr machen und tun und leisten kann, dass ich nicht autonom, sondern auf Hilfe angewiesen bin und diese Hilfe in Demut und innerer Größe annehme. Mir scheint, das wäre die eigentliche Aufgabe gewesen, die, um auf dieses Beispiel zurückzukommen, Gunter Sachs noch gehabt hätte und seinem Leben echte Größe verliehen hätte.

Es ist eben kein Zufall, dass Christus uns erlöst hat, als er nichts mehr tun, nicht mehr predigen oder auf andere weise aktiv sein konnte, sondern als er angenagelt am Kreuz hing – alles nur noch Passion statt Aktion war.

Hoffnung trotz allem kommt also allein aus der Liebe, die sich uns hier zeigt – und von der wir glauben, dass sie alles in Händen hält, allem Sein und Geschehen Sinn schenkt und zuletzt alles gut macht. Das nennen wir Christen Auferstehung.

Pfr. Bodo Windolf

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