Predigt vom 23./24. April 2011 (Osternacht)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Osternacht 2011

In Christus wird der Mythos historische Wirklichkeit.

Wie sich menschheitliches und persönliches Ahnen und Sehnen im Auferstandenen erfüllen.

Wie glaubwürdig sind eigentlich die Auferstehungsberichte? Sind sie nur symbolisch zu verstehen; oder sind sie in einem wirklich historischen Sinn zu lesen? Dass es sehr gute, um nicht zu sagen entschieden bessere Gründe für die zweite Annahme gibt, war das Thema der Osternachtspredigt des vergangenen Jahres. Ich gehe davon aus, dass Sie sich noch ganz gut erinnern – oder sollte ich mich diesbezüglich etwa täuschen? – daher erspare ich Ihnen eine Wiederholung. Statt dessen will ich Sie zu einem anderen historischen Ereignis am selben Ort, aber ziemlich genau 100 Jahre später entführen.

Es ist das Jahr 135 n. Chr. Zum zweiten Mal hatten sich die Juden unter Bar Kochba gegen die Römer erhoben. Nach der erneuten Niederschlagung dieses zweiten jüdischen Aufstands sollte jüdischem Leben in Jerusalem endgültig der Garaus gemacht werden. Kaiser Hadrian verbot allen Juden den Zutritt zu ihrer heiligen Stadt. In seinem Bemühen, das Judentum in all seinen Formen auszurotten, funktionierte er auch die christlichen Heiligtümer – das Christentum galt den Römern als eine jüdische Sekte – zu heidnischen Kultstätten um. Dies traf auch den Golgotha-Hügel mitsamt dem Felsengrab, in dem Jesus gelegen hatte. Beides ließ er mit einer Plattform überbauen, auf der das Westforum der Stadt entstand. Über das Grab Christi sollte sich ein Tempel der Liebesgöttin Aphrodite erheben. Auf dem noch aus der Plattform herausragenden Stumpf des Golgotha-Hügels wurde eine Statue eben dieser Göttin gesetzt.

Es ist zu vermuten, dass Kaiser Hadrian jenem Mythos eine Kultstätte schaffen wollte, nach dem Aphrodite jedes Jahr wieder in die Unterwelt hinabsteigt, um ihren Geliebten Adonis oder Tammuz zu erwecken, dessen Fest der „Auferstehung“ zum Frühlingsanfang gefeiert wurde. Jedenfalls war es der Versuch des römischen Kaisers, die Auferstehung Christi in die Gestalt einer heidnischen Mysterienreligionen umzudeuten. (Ironischerweise war dies übrigens mit ein Grund, warum der Ort des Sterbens und Auferstehens Jesu nicht in Vergessenheit geriet. Kaiser Konstantin der Große ließ um 430 das hadrianische Forum samt heidnischem Tempel niederreißen, um über die so freigelegten heiligen Stätten die Grabeskirche errichten zu lassen.)

Dieser Mythos von sterbenden und auferstehenden Göttern war in unzähligen Varianten im ganzen damaligen Mittelmeerraum verbreitet. Frage: Könnte es nicht sein, dass die Evangelisten diese Mythen gekannt haben, um sie in einer historisierenden Weise auf Jesus anzuwenden und so über ihre Enttäuschung über seinen Tod hinwegzukommen?

Solche auch im Namen der Wissenschaft aufgestellten Behauptungen sind leider Gottes nicht austilgen, man kann sie in ermüdender Weise immer wieder lesen oder hören. Allerdings wird nie die Erklärung mitgeliefert, wie die jüdischen Verfasser der Evangelien, die diese phantastischen bis teils abstrusen Mythen der Ägypter, Griechen und anderer Völker um Götter und ihre Liebesabenteuer für abscheuliches Heidentum hielten, so etwas auf Jesus je hätten übertragen sollen. Lieber hätten sie sich foltern und massakrieren lassen, als auf diese Weise zu Komplizen von Götzendienern zu werden.

Nein, genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Diese Mythen, die letztlich nichts anderes als den ewigen Kreislauf der Natur widerspiegeln, das Sterben der Vegetation im Winter und ihr Erwecktwerden im Frühling – diese Mythen haben viele christliche Theologen durchaus positiv als praeparatio evangelii, als Vorbereitung auf das Evangelium gedeutet. Sie sagen: In diesen Mythen wird so etwas wie eine Ur-Ahnung, eine Ur-Sehnsucht der Menschen deutlich, die aber erst in Jesus Christus nicht Mythos geblieben, sondern Realität geworden ist. Der Mythos davon, dass Gott oder die Götter selbst teilhaben am schicksalhaften Sterben der Menschen und es zugleich überwinden auf immer wieder neues Leben hin, ist in Jesus Christus einmalige Wirklichkeit geworden.

Schauen wir von hier aus auf uns selbst, auf unsere eigenen, persönlichen Ahnungen und Sehnsüchte. Es gibt gar nicht so viele Trauergespräche, die ich führe, in denen Angehörige eines Verstorbenen tief überzeugt sagen: Ja, ich glaube an die Auferstehung, auf ein Wiedersehen mit meiner Frau, meinem Mann, meinen Eltern, bei Gott. Oft höre ich die Antwort: Ich weiß es nicht. Es ist noch niemand zurückgekommen. Ich sage es in dieser Situation nicht laut, aber ich denke es: Doch, einer ist zurückgekommen, ist erschienen, hat sich auf eine sehr glaubwürdige Weise bezeugt – der, den wir heute feiern, Jesus, der Auferstandene. Laut frage ich oft: Wünschen Sie, dass es so ist; dass mit dem Tod nicht alles aus ist; dass es ein Wiedersehen gibt? Die Antwort lautet so gut wie immer: Ja, es wäre schön, wenn es so wäre. 

Ein Ahnen, ein Sehnen, ein Wünschen irgendwie in uns allen. Mögen die Zweifel noch so groß sein, mag jemand unter uns vielleicht sogar überzeugt sein: Nein, mit dem Tod ist alles aus. Auferstehung, das ist ein Märchen – wenn auch ein solcher Mensch ganz ehrlich zu sich selbst ist, einmal tief in das Innerste seiner Seele hinabsteigt und in sich hineinhört, wird auch er in sich die Stimme vernehmen: Es wäre so schön, wenn es anders ist, als ich selbst es denke.

Die Frage ist: Ist diese Stimme in uns die Stimme der Wahrheit, gleichsam die leise Stimme Gottes selbst, der in unserem tiefsten Ahnen, Sehnen und Wünschen zu uns spricht?

Diese Stimme in uns sehnt sich noch nach anderem: Nach einer letzten Gerechtigkeit, die die oft so himmelschreienden Ungerechtigkeiten unserer Erde zu einem gerechten Ausgleich bringen könnte. Wir sehnen uns danach, auch selbst rein zu werden, daher nach Vergebung und Vollendung. Wir sehnen uns nach einem uneingeschränkten Geliebtwerden, das hier auf Erden einfach nicht erfahrbar ist. Wir sehnen uns nach dem, der einmal alle auf Erden geweinten Tränen trocknen wird. Wir sehnen uns danach, dass all unser Leben, Lieben, Streiten, Kämpfen, Freuen, Leiden, Sehnen, schließlich Sterben nicht einfach in der Grube ende, sondern ein Ziel habe, damit einen letzten Sinn. Wir sehnen uns nach einem Leben in Fülle. „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben hab und es in Fülle habt“, so sagte es Jesus einst selbst.

Noch einmal die Frage: Ist all das die Stimme der Wahrheit ganz tief in uns? Oder müssen wir uns damit abfinden, dass diese Stimme uns nur etwas vorgaukelt, uns auf die Fährte einer reinen Illusion setzt? Woher dann aber diese verblüffende Übereinstimmung zwischen unserem Ahnen und Sehnen und dem, was wir als Christen glauben?

Es ist kein Beweis, aber ich glaube ein starker Hinweis, dass das, was wir heute feiern, wie ein vom Himmel geschenkter Schlüssel zum Schloss unserer tiefsten und menschlichsten Sehnsüchte passt. In dieser Welt sind sie unerfüllbar. Alle Straßen, auf denen wir Erfüllung suchen, führen uns am Ende in eine Sackgasse, an ein von uns selbst nicht zu öffnendes Tor. Die definitive Sackgasse ist unser aller Sterbenmüssen, ist der Tod.

Den Schlüssel, der die Sackgassen unseres Lebens öffnet, hat – nein  ist allein Christus, der Auferstandene. Unglaublich, wie Er, und zwar Er allein – kein Mohammed, kein Buddha – die Antwort auf unser tiefstes Sehnen und Ahnen ist. Und so wiederholt sich, hineinhörend in uns selbst, das, was ich über den Mythos gesagt habe: unerfindbar für uns Menschen ist einmal wahr und wirklich geworden, wonach wir uns ausstrecken: Gott hat es geschenkt in Christus, seinem Sohn, dem Menschgewordenen, dem Gekreuzigten, dem Auferstandenen.

Pfr. Bodo Windolf

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