Predigt vom 3. Januar 2010

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Die grandiose Ouvertüre zum Johannes-Evangelium"
Predigttext

2. Sonntag nach Weihnachten 2010

Die grandiose Ouvertüre zum Johannes-Evangelium

Alle vier Evangelien haben einen eigentümlichen und charakteristischen Anfang. Markus beginnt sein Evangelium ohne weiteres Vorspiel sogleich mit dem öffentlichen Auftreten Jesu. Matthäus und Lukas eröffnen ihre Evangelien mit einer jeweils recht unterschiedlich gestalteten Kindheitserzählung. Johannes aber stellt seinem Evangelium einen großartigen Hymnus voraus, wahrscheinlich ein ihm schon vorliegendes Lied auf die göttliche Weisheit, das er erweitert und auf Christus hin deutet.

Dieser hymnische Prolog ist einer der herausragendsten und anspruchvollsten Texte der ganzen Bibel. Er lässt sich durchaus vergleichen mit einer Ouvertüre zu einer Oper. Die Ouvertüre lässt in der Regel die nachfolgenden Themen des Hauptwerkes schon einmal anklingen; sie deutet an, was später in epischer Breite ausgeführt werden wird.

So auch der Prolog zum Johannes-Evangelium. Aus seinem schier unerschöpflichen Reichtum will ich ein paar Gedanken herausarbeiten:

En arche en ho logos. Im Anfang war das Wort. Jeder, der sich ein wenig in der hl. Schrift auskennt, hört sofort den Anklang an den ersten Satz des Alten Testaments aus dem Buch Genesis. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. In kunstvoller Weise verknüpft der Evangelist mit seinem kurzen Einleitungssatz Altes und Neues Testament, Schöpfungs- und Heilsgeschichte aufs engste.

Allerdings ist ein entscheidender Unterschied zu beachten. Der erste Vers der Bibel über die Erschaffung von Himmel und Erde spricht vom Anfang der Welt, vom Anfang der Zeit. Johannes aber greift darüber hinaus und lenkt unseren Blick auf das vorweltliche, vorzeitliche Sein des Logos. Er spricht nicht vom zeitlichen Anfang, sondern vom unzeitlichen Ursprung selbst. Das Wort, durch das Gott Himmel und Erde erschuf – im Buch Genesis klingt dies so: Gott sprach: es werde … und es ward – ist mehr als ein Wort, wie wir es aus unserer menschlichen Erfahrung kennen: es ist Person, noch mehr: es ist Gott. Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang, -  also im Ursprung, seit Ewigkeit, -  war es bei Gott. Und durch ihn, das Wort, ist alles geworden, was geworden ist. 

Um besser zu verstehen, was Johannes hier aussagt, ist ein kurzer Blick in die Geistesströmungen seiner Zeit notwendig. Schon diese seine einleitenden Worte sind eine klare Ansage, nämlich gegen sog. gnostische Strömungen, die schon in neutestamentlicher Zeit, dann aber vor allem im 2. Jahrhundert dem jungen Christentum schwer zu schaffen machten.

In der Gnosis wurde dem guten Erlösergott der böse Schöpfergott entgegengestellt. Im Gegensatz zum Geist galt dieser Weltanschauung der menschliche Leib, die materielle Schöpfung überhaupt, als schlecht, verdorben, böse, und konnte daher auch nur von einem bösen Prinzip stammen, gleichmächtig wie das gute. Demgegenüber betont Johannes die prinzipielle Gutheit der Schöpfung und damit das Einssein von Schöpfer- und Erlösergott.

Aber auch er weiß natürlich um das Böse in der Welt. Daher heißt es nun weiter vom göttlichen Logos, dass er das Licht ist, das in die Finsternis kam. Die Finsternis ist die Welt, nicht insofern sie von Gott gut erschaffen wurde, sondern die Welt, insofern sie sich von Gott, vom Licht abgekehrt und in dieser Abkehr finster geworden ist. Ich will es einmal philosophisch ausdrücken: Johannes greift das Korn Wahrheit der Gnosis auf, verwandelt aber deren metaphysischen Dualismus in einen Entscheidungsdualismus. Das heißt: Nicht zwei uranfängliche und gleichmächtige göttliche Prinzipien, ein gutes und ein böses, stehen gegeneinander, sondern dem guten Schöpfer- und Erlösergott, der ein und derselbe ist, steht der Mensch gegenüber als ein freies Wesen, das sich immer wieder neu entscheiden muss zwischen Gut und Böse, für Gott oder gegen Gott, für das Licht oder für die Finsternis.

Deswegen kann es nun auch heißen, dass der Logos in sein Eigentum kam. Die Schöpfung, sie gehört Gott. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Denn sie wollten selbst „wie Gott“ sein, sich selbst an die Stelle Gottes stellen, und verbreiteten darüber Finsternis über Finsternis, ein Spiel, das der Mensch bis heute spielt.

Dann aber gibt es auch die, die anders entscheiden: Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden. Johannes betont ausdrücklich: Es gibt sie, die sich für das Licht entscheiden, die das Licht durch den Glauben in ihr Leben einlassen. Und so werden sie das, wozu es die Schöpfung überhaupt gibt:  sie werden Kinder Gottes, teilnehmend am Leben, am Licht, an der Freude, an der Seligkeit Gottes. Paulus drückt dies, wie wir in der 2. Lesung aus dem Epheserbrief gehört haben, so aus: „Denn in ihm, Christus, hat er uns erwählt, vor Erschaffung der Welt, … seine Söhne zu werden (nämlich) durch Jesus Christus …“

Nur aus diesem Grund gibt es überhaupt die Welt. Und damit dieses eigentliche Ziel der Schöpfung nun auch Wirklichkeit werde, musste der vorzeitliche Logos, der ewige Sohn des Vaters, aus dem göttlichen Licht heraustreten und eintreten in die von Finsternis erfüllte Erde – und Mensch werden. Das Wort wurde Fleisch und hat unter uns gewohnt.

In diesem Satz erreicht der Hymnus seinen Höhepunkt. Indem das göttliche Wort aus der Unsichtbarkeit Gottes heraustritt und Mensch wird, wird Gott gleichsam anschaubar für uns Menschen. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Was immer die Menschen in den Religionen über Gott und die Götter gedacht und geglaubt haben – es enthielt manche Ahnung, aber noch viel mehr Verzerrendes und Unwahres. Selbst der nachchristlich entstandene Koran enthält zwar manch Wahres über den einen Gott, den er verkündet, aber zugleich legt er wieder einen verdunkelnden und verstellenden Schleier über das in Christus geoffenbarte Antlitz Gottes.

Warum? Weil – so Johannes in seinem Prolog – niemand Gott je gesehen hat – kein Mensch, kein Prophet, keiner der großen Religionsstifter, keiner – bis auf Einen: Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht. Christus, der Logos, das Wort, der Sohn, der Gottessohn und Menschensohn zugleich – er allein hat Gott geschaut, am Herzen des Vaters geruht, er allein kennt Gott, weil er selbst Gott ist; denn nur Gott kennt Gott vollkommen. Und weil der Koran aus Jesus nur einen Propheten macht, der zudem noch einmal überholt wird von Mohammed – wird hier das in Christus hell aufleuchtende Antlitz Gottes wieder verdunkelt und in fast unnahbare Ferne entrückt.

Das ist der Grund, warum wir Christen uns gegen die platte Auffassung verwahren müssen, letztlich seien doch alle Religionen gleich. Wer so redet, begeht Verrat an Christus, der am Herzen des Vaters geruht hat, und Mensch wurde, um uns Kunde zu bringen von Gott selbst und seinen Heilsplänen mit der Welt und der Menschheit insgesamt.

Daher möchte ich schließen mit einer Frage an uns alle: Ist uns eigentlich das Privileg bewusst, Christ zu sein und an diesen in Christus geoffenbarten Gott glauben zu dürfen? Dies sollte uns immer wieder neu mit großer Dankbarkeit erfüllen, indem wir einstimmen in das preisende Bekenntnis des Johannes: Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.

Pfr. Bodo Windolf

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