Predigt vom 24. Dezember 2009 (Hl. Abend)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Weihnachten – Fest der Familie, weil Gott Mensch wird in einer Familie"
Predigttext

Christmette 2009

Weihnachten – Fest der Familie, weil Gott Mensch wird in einer Familie

Weihnachten – Fest der Menschwerdung Gottes. Es sind wohl die wenigsten in unserem Land, die als erstes das mit dem heutigen Festtag verbinden. Wenn es nicht gerade der Weihnachtsmann ist oder das Christkind, dann kommt den meisten wohl am ehesten in den Sinn:  Weihnachten – Fest des Friedens, Fest der Familie. Und genau dieses letztere will ich einmal aufgreifen, um einen Aspekt des Geheimnisses dieser Heiligen Nacht zu erschließen.

Wir alle, die wir hier miteinander dieses wohl schönste Fest der Christenheit feiern, haben unsere tiefsten menschlichen Wurzeln in einer Familie. Wir alle kommen aus einer Familie, die meisten von uns leben als Erwachsene in einer selbst gegründeten Familie.

Wenn wir an unsere Kindheit zurückdenken, wird bei den meisten sicher viel Schönes in der Erinnerung aufsteigen; bei anderen wird auch Schmerzliches hochkommen; bei wieder anderen vielleicht sogar Wut, Groll, Zorn, Ohnmachtsgefühle, immer noch nicht verheilte Verletzungen, sei es von seiten des Vater oder der Mutter oder anderen Angehörigen der Familie.

Aber trotz unterschiedlicher Erfahrungen mit Familie und auch trotz der gewaltigen Erosionen in diesem Bereich, die wir in unserer Zeit erleben – zerbrechende und auseinandergerissene Familien, Verwahrlosung von Kindern, Patch-Work-Familien, etc. – sehnen sich nach wie vor die allermeisten Menschen unserer Gesellschaft nach einer stabilen ehelichen Beziehung, meist auch mit Kindern, also nach einer intakten Familie als ein Ort der Treue, der Geborgenheit, der Liebe und des Glücks.

Dies zeigt, dass das Wort Familie eine ganz tief verankerte Sehnsucht in uns zum Klingen bringt. Und deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, dass – bestätigt von der sog. Glücksforschung – in Familien sowohl die glücklichsten Menschen zu finden sind, als auch die unglücklichsten, je nachdem, ob eine Familie wirklich intakt oder schwer beschädigt ist.

An dieser Stelle möchte ich mit einem kurzen Einschub ein wenig Ihre Phantasie beschäftigen. Dieses Jahr Weihnachten ist für mich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich habe mir nämlich schon lange eine große Krippe für St. Severin gewünscht. Über Pater Bayer ist es gelungen, eine sog. Themenkrippe einer Künstlerin aus dem Rheinland auszuleihen. Sie ist etwas ungewöhnlich; den einen wird sie gefallen, andere werden vielleicht ein wenig befremdet reagieren. Das Thema der Krippe lautet: Kinder und Familien kommen zu Jesus.

Man sieht Eltern mit ihren fröhlichen Kindern auf dem Weg zur Krippe. Man sieht eine alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Sprösslingen; sie steht auch für die alleinerziehenden Väter, die weniger an Zahl, aber auch eine gesellschaftliche Realität sind. Man sieht eine Familie, bei der der Vater – und auch hier könnte es genau so gut die Mutter sein – im Begriff ist, sich von der Familie zu trennen. Man sieht in dieser Personengruppe, wie sich das Mädchen verzweifelt an den Vater hängt und ihn zurückhalten möchte – leider ohne Erfolg. Man sieht zwei Waisenkinder auf dem Weg zur Krippe, ein behindertes Kind, Kinder, die ihre Spielsachen zu Jesus bringen, schließlich eine Mutter, die zum ersten Mal mit ihrem Kind betet.

Was hier dargestellt ist, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den unzähligen familiären Realitäten unserer Zeit; aber bei aller Verschiedenheit der Situation haben sie eines gemeinsam: Alle sind, wie sie sind, auf dem Weg zu Jesus, dem Gotteskind in der Krippe. Ob glücklich oder unglücklich, ob voller Hoffnung oder voller Verzweifelt, ob unschuldig oder schuldig geworden – niemand ist ausgeschlossen, jeder willkommen bei diesem Kind.

Was diese Themenkrippe ins Bild bringt, stößt mitten hinein ins Weihnachtsgeheimnis. Gott wird Mensch, indem er eintritt in eine Familie. Über das Familienleben von Maria, Josef und Jesus sowie deren Verwandten erfahren wir im Neuen Testament wenig, aber das Wenige genügt, um das Bild von einem konflikt- und sorgenfreien Familienidyll in Nazareth zu zerstreuen.

Auf der Flucht vor dem Tyrannen Herodes lernen sie Todesangst und ein Leben fern der Heimat in der Fremde kennen. Als Jesus sich als 12-Jähriger, als Jugendlicher also, abzunabeln beginnt und nach einer Pilgerreise einfach in Jerusalem zurückbleibt, stößt er auf das Unverständnis der Eltern. „Kind, wie konntest du uns das antun?“, fragt ihn seine Mutter, als sie zusammen mit Josef drei Tage voller Angst nach Ihm gesucht hatte und ihn endlich munter-vergnügt im Tempel mitten im Disput mit jüdischen Schriftgelehrten fand. Einige Jahre später tritt erstmals der Tod ins Leben dieser Familie. Maria erleidet den Verlust ihres geliebten Ehemannes Josef, Jesus den Seines Pflegevaters. Dies lässt sich daraus erschließen, dass Jesus bei seinem Sterben seine Mutter dem Jünger Johannes zur Obhut anvertraut. Als Jesus schon öffentlich auftritt, wird er mit dem restlosen Unverständnis seiner Verwandten konfrontiert. Sie wollen ihn mit Gewalt zurück nach Nazareth holen, weil sie denken: Er ist verrückt geworden, bringt Schande über uns, wir müssen ihn aus dem Verkehr ziehen. Schließlich erlebt Maria in tiefster Ohnmacht die Schmähung, die höhnische Zurschaustellung, die grauenhafte Folter und zuletzt den Tod ihres Sohnes. Die Mutter unter dem Kreuz, und die Pietà, die Mutter, die ihr totes Kind in den Armen hält, gehören zu den eindrücklichsten und am meisten zu Herzen gehenden Darstellungen christlicher Kunst und menschlichen Leids.

Was bedeutet all das? Es bedeutet: Gott lernt am eigenen Leib die Höhen und Tiefen, die Freude und die Dunkelheit, das Glück und das Unglück familiären Lebens und des Menschseins überhaupt kennen. Es gibt keine Religion, in der Gott dem Menschen in allen Dimensionen seines Daseins so nahe kommt wie im christlichen Glauben. Alle diejenigen, die behaupten, letztlich seien doch alle Religionen gleich, wissen nicht, was sie sagen und zeigen damit nur ihre Ahnungslosigkeit gegenüber jenem menschgewordenen Gott, der sich so tief zu uns Menschen und zu unserer Not herabgebeugt hat. Alle Mythen in den Religionen der Völker, die von Gott oder Göttern berichten, die sich auf Menschen eingelassen haben, zeigen sie sofort auf der Flucht und wie sie sich aus dem Staub machen, sobald es ernst wird mit dem Menschsein.

Weil Gott so ist, können wir uns Ihm als Einzelne und als Familie, anvertrauen. Besonders alles Unheile, alle Gebrochenheit, alle Verletzungen, alle Schuld, alles Scheitern können und dürfen wir zu Ihm hintragen, zur Krippe, in der uns der Allmächtige in der Ohnmacht eines Kindes anschaut, uns die Arme entgegenstreckt, wie es ein Kind einfach und ganz spontan tut. Es ist die Ohnmacht einer unendlichen Liebe, einer Liebe, die 30 Jahre später von Menschen in den Staub getreten wird und es zulässt, dass sie getötet wird, die sich aber mitten in diesem Ende als mächtiger und stärker erweisen wird als alle anderen Mächte der Gewalt und des Bösen dieser Erde. Den Sieg der Liebe über diese Mächte nennen wir Auferstehung.

Ein letzter Gedanke: Wer mit seiner Gebrochenheit, seiner Sorge, seinem Schicksal zur Krippe kommt, wird keinem Gott begegnen, der alles Schwere einfach wegnimmt, wegzaubert. Wer sich Gott so vorstellt, glaubt nur an eine persönliche Wunschvorstellung, sprich: an einen Götzen. Gott, der wahre Gott, wie er sich uns gezeigt und offenbart hat, ist immer auch anders. Das mussten auch Maria und Josef erfahren, die sicher nicht im Entferntesten daran gedacht hatten, ihr Kind – den verheißenen Messias und Sohn des Allerhöchsten, wie ihn der Engel genannt hatte – in einem Stall zur Welt zu bringen und in einen Futtertrog zu betten. In der Krippe begegnen wir vielmehr einem Gott, der alles Schwere dieser Erde auf sich genommen hat, der hilft, es zu tragen, den Hass zu verwandeln in Versöhnung, innere Zerrissenheit in inneren Frieden, Unglück in eine Freude, die nur der kennenlernt, der bei und in Gott „zu Hause“ ist.

Genau das ist mein großer Wunsch für Sie und für uns alle am diesjährigen Weihnachtsfest: Segen und Heil des Gotteskindes zu erfahren, indem wir unser Leben, so wie es ist und damit uns selbst, so wie wir sind und auch unsere Familie zur Krippe bringen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.

Pfr. Bodo Windolf

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