Predigt vom 18. Oktober 2009

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Die Grundvollzüge der Kirche – martyria, leiturgia, diakonia, koinonia"
Predigttext

Kirchweih 2009    18.09.2009

Die Grundvollzüge der Kirche – martyria, leiturgia, diakonia, koinonia

Die Kirche – das Verhältnis vieler Menschen zu ihr ist nicht eindeutig auf einen Nenner zu bringen: Immer mehr empfinden sie als einen Fremdkörper in unserer Gesellschaft, stehen ihr ablehnend oder einfach gleichgültig gegenüber. Das ist die eine Seite. Zugleich sind es nach wie vor nicht wenige, die auf die Kirche zurückgreifen, um wichtige Stationen des Lebens zu feiern. Eine recht weit verbreitete "Kirchenkarriere" könnte man in etwa so beschreiben: Der Lebensanfang bekommt durch die Taufe seine Weihe. Danach lassen es sich Eltern und Kinder nicht nehmen, die Erstkommunion als großes Familienfest mit einer fast nicht zu bewältigenden Menge an Geschenken zu begehen. Die Firmung an der Schwelle zum Erwachsenwerden ist die festliche und mit höchstem bischöflichen Segen versehene große Verabschiedungsfeier von der Kirche, zumindest vorläufig; denn der ein oder andere wünscht sich dann immerhin noch zur Hochzeit den kirchlichen Segen. Und wenn man nicht in der Zwischenzeit aus der Kirche ausgetreten ist, gibt`s dann noch die finale kirchliche Beerdigung.

Was ich hier ein wenig pointiert formuliert habe, empfinde ich keineswegs nur als negativ. Denn einerseits freue ich mich über all jene Menschen, die nach wie vor spüren, dass Gott an zentralen Stationen ihres Lebens wichtig ist. Aber natürlich macht es auch traurig zu sehen, dass viel seelsorgliches Bemühen folgenlos bleibt und Gott oft nur eine recht kümmerliche Randexistenz im Leben der sakramental Versorgten fristet.

Ansonsten wird die Kirche bei etlichen noch geschätzt als gesellschaftlich nützliche Institution im sozial-caritativen Bereich, evtl. noch in Sachen Wertevermittlung. Aber ihre eigentliche Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus samt ihrer Moral erscheint den meisten antiquiert, ewiggestrig, wobei freilich eine große Ahnungslosigkeit und viele Klischees und Vorurteile eine große Rolle spielen.

All das Gesagte will ich nicht als Klagegejammer à la "Ach, wie schlecht ist doch die Welt!" verstanden wissen, sondern einfach als eine Zustandsbeschreibung der Kirche in Deutschland. Sie alle, die Sie hier sind, darf ich gewissermaßen als die berühmten Ausnahmen bezeichnen, die die Regel bestätigen. Denn Sie sind hier im Gottesdienst gegen den Trend der Zeit, und dafür möchte ich Ihnen (und euch, den Kindern und Jugendlichen), meinen hohen Respekt und herzlichen Dank sagen.

Was aber ist denn nun die Aufgabe der Kirche angesichts dieses Zustands?

Ein bisschen mehr mit der Zeit gehen, den Trends nachjagen, zeitgemäßer werden? Mir will scheinen: Wo die Kirche dem Zeitgeist zu sehr ihre Reverenz erweist, kommt sie in der Regel viel zu spät, sie hechelt hoffnungslos hinterher.

Ihre Aufgabe muss eine andere sein. Ich möchte es so sagen: Kirche ist zeitgemäße Kirche, wo sienicht jammernd einer angeblich viel besseren und kirchlicheren Vergangenheit nachtrauert, auch nicht jedem mehr oder weniger erleuchteten Trend hinterherläuft, sondern mit dem Blick auf Christus und sein Evangelium in Treue, mit Mut und Zuversicht, mit Selbstbewusstsein und vor allem Freude ihre ureigentliche Sendung erfüllt. Diese wird traditionell zusammengefasst in vier griechischen Schlagwörtern, die uns keine erschöpfende, aber immerhin eine wesentliche Auskunft geben können: martyria, leiturgia, diakonia, koinonia.

Beginnen wir mit der martyria, nämlich mit der Aufgabe, Zeuge zu sein in der Welt für Gott, der uns in Jesus Christus erlöst hat. Dazu zwei kleine Episoden: Sie wissen, dass ich mit einer größeren Gruppe der Pfarrei in der Türkei war. In Istanbul stand natürlich auch der Besuch des Ägyptischen Bazars auf dem Programm. Dort habe ich eine muslimische Gebetsschnur erstanden, und zwar mitten zwischen den Ständen mit orientalischen Gewürzen, türkischem Gebäck, Tüchern, diversem Schmuck und Käsetheken. Es war so ähnlich, als würden hier bei uns beim Tengelmann zwischen dem Müslisortiment und den Maggifläschchen Rosenkränze feilgeboten – bei uns undenkbar und wohl auch nicht wünschenswert.

Eine zweite Episode: Beim Besuch der Moscheen war auffallend, wie viele alte und junge Türken sich dort zum Gebet aufhielten: hinten die Frauen, wie es dort halt dem Herkommen und der Stellung der Frau entspricht, vorne, meist mit etwas geringerer Verweildauer, die Männer, beide getrennt durch den Bereich, zu dem die Touristen Zugang hatten.

Zwei Beobachtungen, die zeigen, wie selbstverständlich in diesem muslimischen und sich laizistisch verstehenden Land Gott und das Gebet Platz finden inmitten der Welt, inmitten des normalen beruflichen Tagesablaufs. Hautnah wurde mir vor Augen geführt: eine Kirche, die sich ins rein Private und ängstlich in ihre eigenen vier Wände zurückzieht, um nur ja nicht in der säkularen Betriebsamkeit aufzufallen, verfehlt ihren Auftrag. Gott hineintragen in die Familien, Ihn den Menschen zeigen, die zu unserem Lebensumfeld gehören, Ihn hineintragen in eine Welt, die letztlich nach Ihm dürstet, oft ohne es zu ahnen, das ist der Auftrag der Kirche, und das heißt: unser aller Auftrag. Es kommt dabei nicht auf die großen Zahlen an, sondern auf die wenigen, die sich auch heute noch öffnen für das Geheimnis Gottes – und ich bin sicher: es gibt mehr, als wir vermuten.

Das zweite ist die leiturgia. Die Daseinsberechtigung der Kirche liegt nicht in erster Linie in ihrem sozialen Engagement, so unverzichtbar dieses auch ist, sondern darin, Gott zu feiern, gemeinschaftlich im Gottesdienst, zuhöchst in der Eucharistie, persönlich im vertrauenden Gebet des Einzelnen. Dabei hat Gott und haben die Gläubigen ein Recht darauf, nicht eine gehudelte, routiniert heruntergelesene Messe mitfeiern zu müssen, sondern eine solche, in der das Geheimnis Gottes spürbar zu werden vermag. Dazu gehört auch das Recht der Gläubigen, die Liturgie der Kirche mitfeiern zu können, und nicht einen Gottesdienst, bei dem man immer wieder mit den privaten liturgischen Vorlieben des Priesters oder seinem gespannten Verhältnis zur Kirche und zum kirchlichen Glauben konfrontiert wird. Gottesdienste, in denen der Priester, die Ministranten, Lektoren und Kommunionhelfer, Mesner und Kirchenschmücker, nicht zuletzt die Kirchenmusik sowie die ganze Gemeinde sich in den Dienst der Verherrlichung Gottes stellen, üben eine Anziehungskraft aus, die etwas von der Schönheit Gottes ahnen lässt und so Menschen innerlich berühren kann.

Das dritte ist die diakonia: eine Gemeinde, in der es zwar schöne Gottesdienste und gute Glaubenskatechese gibt, nicht aber die Zuwendung zu den Armen, Kranken, Behinderten, Sterbenden, wäre nicht die Kirche Jesu Christi. Gottesdienst und Menschendienst dürfen niemals voneinander getrennt werden. Dabei gehört zum Dienst am Menschen auch das Eintreten für die, die keine eigene Stimme haben, um ihre Rechte zu vertreten. Wo die Kirche, um nur ein Beispiel zu nennen, gerade in unserer Zeit nicht immer wieder eintritt für das Lebensrecht der Ungeborenen, begeht sie Verrat an Gott. Sie erregt damit bei vielen Ärgernis. Aber eine Kirche oder ein Prediger, der nicht immer wieder auch Widerspruch erntet, gerade in Bezug auf die schwärenden Wunden unserer Zeit, verkündet nicht das Evangelium dessen, der selbst zum Ärgernis seiner Zeit wurde und dafür gekreuzigt wurde.

Schließlich die koinonia, übersetzt: Gemeinschaft. Die Aufgabe der Kirche ist es, Versöhnung zu stiften, sich um Einheit und Gemeinschaft zu mühen: zwischen Gott und Mensch, zwischen den Menschen selbst, den Einzelnen, Ehepaaren, Familien, dann zwischen den Konfessionen, zwischen Rassen, Ethnien, Völkern.

Wo Kirche das tut, auch und gerade in unserer Zeit, wo sie Gott in Jesus Christus bezeugt, wo sie Gott feiert im gemeinschaftlichen Gottesdienst und im persönliche Gebet, wo sie ihre Stimme für die Schwachen erhebt und ihnen tatkräftig zur Seite steht und schließlich: wo sie Frieden und Gemeinschaft stiftet, da erweist sie sich wahrhaftig als Kirche Jesu Christi; da erweisen wir uns als Kirche Jesu Christi und erweisen darin zugleich unserer Zeit und Gesellschaft einen unverzichtbaren Dienst.

 Christen ist, zur Wahl zu gehen und von seinem demokratischen Grundrecht Gebrauch zu machen, so ist doch diese andere Wahl, die wir täglich treffen müssen, die noch wichtigere.

Pfr. Bodo Windolf

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