Predigt vom 13. September 2009

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Offen reden auch über unbequeme Wahrheiten"
Predigttext

24. Sonntag i. J.  B 2009     13. September 2009

Offen Reden auch über unbequeme Wahrheiten

Ich möchte heute über einen einzigen und leicht zu übersehenden Satz des Evangeliums sprechen und dazu zunächst folgende Überlegungen anstellen:

Michael Spreng, der Wahlkampfmanager von Edmund Stoiber 2002, hat es wohl auf den Punkt gebracht, als er kürzlich die Merkel`sche Wahlkampf-Strategie als „Wahlkampfvermeidungs-Wahlkampf“ bezeichnete. Man hat in der Union, so sagt man, aus dem Wahlkampf 2005 gelernt. Wer dem Wähler zu reinen Wein einschenkt und auch die unangenehmen Dinge benennt, die man in der Regierungsverantwortung zu tun gedenkt, der wird am Wahltag abgestraft. Viele Leute scheinen die Wahrheit nicht hören zu wollen; es scheint, als wünschten sie es geradezu, betrogen oder zumindest über die Wahrheit im Unklaren belassen zu werden. Die Konsequenz: nicht präzise Inhalte, sondern Phrasen und Allgemeinplätze, die für alles und nichts stehen können, bestimmen in diesen Tagen die politische Auseinandersetzung. Dass dies auf Dauer zum Schaden der Demokratie gerät, wird wohl kaum bedacht. Immerhin kann man sich ja herausreden: Die Masse der Wähler will es offensichtlich so. 

Ein weiteres Beispiel für fehlenden Mut zur Wahrheit: Dass wir unseren derzeitigen Lebensstandard, den Erhalt von Arbeitsplätzen, die Sozialleistungen, etc. nur teilweise selbst erwirtschaften und uns den Rest von anderen bezahlen lassen, nämlich von der kommenden Generation, der wir eine schier nicht mehr zu bewältigende Schuldenlast aufbürden, hört man zwar gelegentlich, aber kaum so, dass es der Allgemeinheit wirklich ins Bewusstsein dringt.  

Einletztes Beispiel: Dass die demographische Schieflage, die nach Jahren des Ignorierens inzwischen immerhin eins der großen politischen Themen geworden ist, als eine der Hauptursachen die zig-millionen Abtreibungen der letzten Jahrzehnte in unserem Land hat – die Zahl der im Mutterschoß getöteten Kinder entspricht ziemlich genau der Differenz von jährlichen Todesfällen und Geburten in Deutschland – ist überhaupt kein öffentliches Thema mehr. Es ist ein Tabu, an das niemand rührt; die meisten Politiker und Bundesbürger haben sich inzwischen damit abgefunden und arrangiert, dass dieses furchtbare Geschehen in unseren Krankenhäusern und Kliniken täglich tausendfach stattfindet wie ein unabänderliches Naturgesetz. Ich glaube, dass dies zu den furchtbarsten Sünden der Menschheit unserer Zeit zählt. Und es kann, so meine ich, gar nicht ausbleiben, dass es irgendwann zu einem schrecklichen Erwachen kommt und wir die Konsequenzen unseres Wegschauens bitter zu spüren bekommen werden. 

An diesen beliebig vermehrbaren Beispielen wird deutlich: Gerade um die unangenehmen Wahrheiten machen wir Menschen – sowohl als Einzelne wie als Kollektiv – gerne einen großen Bogen. Das hören wir im heutigen Evangelium anders: Nachdem Petrus Jesus als Messias bekannt hat, beginnt Jesus unmittelbar, über sein bevorstehendes Leiden und Sterben sprechen. Und der Evangelist Markus stellt dazu ausdrücklich fest: „Und er redete ganz offen darüber.“ Indem Markus dies betont, drückt er aus, dass es auch für ihn, Jesus, alles andere als selbstverständlich war. Er, der Messias, der Sohn Gottes, ist zugleich ganz und gar Mensch. Daher kennt auch er die Angst vor dem Tod, insbesondere je mehr die Ahnung in ihm zur Gewissheit wird, dass es ein gewaltsamer und unausdenkbar furchtbarer Tod werden wird. Aber er verdrängt es nicht, beschönigt es nicht, weicht dieser Wahrheit nicht aus, sondern er konfrontiert sowohl sich als auch seine Freunde damit. Die Reaktion des Petrus ist typisch: Red doch über so etwas nicht. Schlag dir doch solche Gedanken aus dem Kopf. So menschlich verständlich diese Einwände des Petrus sind, sie ziehen den schärfsten Verweis nach sich, den Jesus je ausgesprochen hat: „Weg mit dir, Satan, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ 

Die Sprachlosigkeit, die Petrus sich in Bezug auf Leiden und Sterben wünscht, prägt auch heute vielfach die Situation Sterbenskranker und ihrer Angehörigen. Man will einander schonen, der Kranke oft die Angehörigen, die Angehörigen den Kranken. Man redet über alles Mögliche, viel Belangloses, und oft nicht über das eigentlich Wichtige, das jetzt noch zu sagen wäre. „Und er redete ganz offen darüber.“ Wie befreiend wäre es doch in ganz vielen Fällen, wenn Menschen so mit einer schweren, u.U. tödlichen Krankheit umgehen würden,  oder mit dem möglicherweise baldigen Tod. „Die Wahrheit macht euch frei“, ist eines der großen Worte Jesu, das uns das Johannes-Evangelium überliefert.

Wie viele Chancen würde dies eröffnen und wie viele Chancen gehen verloren, wo dies nicht geschieht. Man kann viel offener über die eigenen Ängste, Zweifel, Hoffnungen sprechen und damit auch von anderen Kraft, Trost und Stärkung erfahren. Man kann unerledigte Dinge noch bereinigen, aussprechen, sich versöhnen, Ordnung schaffen da, wo es noch Ungeordnetes gibt im eigenen Leben, sei es in Bezug auf Mitmenschen, sei es nicht zuletzt aber auch in Bezug auf Gott. Ich kann mich auf mein Sterben vorbereiten und es so zu einem letzten, bewusst vollzogenen Akt meines Lebens machen. 

Vielleicht wird der ein oder andere unter uns zögern und sich fragen: Will ich das eigentlich? Will ich so offen mit Krankheit und Tod umgehen. Aber es wäre gut, sich das jetzt schon zu überlegen, und wenn man es will, auch mit dem Ehepartner, den Eltern, den Kindern darüber zu reden und es ausdrücklich zu sagen: Ja, ich will immer die Wahrheit wissen, ich will offen darüber reden können, mit dem Arzt, mit dir und den Menschen, die mich auf einem solchen Weg begleiten. Ich will mich auch im Angesicht Gottes auf meinen Tod vorbereiten: mit einer Beichte, der Krankensalbung, der eucharistischen Wegzehrung.

„Und er redete ganz offen darüber.“ Der Satz fordert uns heraus, aber zu unserem Besten.

Pfr. Bodo Windolf

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