Predigt vom 21. Juni 2009

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Der 'schlafende' Gott""
Predigttext

12. Sonntag i. J. Ijob  38,1.8-11; Mk 4,35-41   21.Juni 2009

Der „schlafende“ Gott – die Erfahrung Seiner Abwesenheit

Es ist ein Naturwunder, das uns Markus im heutigen Evangelienabschnitt erzählt. Dass Jesus auch der Herr ist über die Gewalten der Natur, ist sicher ein Sinn dieser Erzählung, aber wohl nicht der eigentliche und entscheidende. Denn es braucht nicht viel Phantasie, um zu sehen, dass hier in einem übertragenen und tieferen Sinn unser Leben erzählt wird. Aber der Reihe nach. 

Dreimal berichtet Markus in seinem Evangelium von Überfahrten im Boot „ans andere Ufer“, dreimal geraten dabei die Jünger Jesu in eine Krise. „Das andere Ufer“ wird nicht näher definiert, aber es fällt nicht schwer, darin ein Bild für das „andere Ufer überhaupt“ zu sehen, nämlich für das Ufer der Ewigkeit Gottes. Wir alle sind im Schifflein unseres Lebens dahin unterwegs. Manchmal gleitet das Boot unseres Daseins sanft und ruhig dahin, manchmal aber wird es auch hin und her geworfen von den Widrigkeiten und Stürmen des Lebens. Ausdrücklich wird erwähnt, dass es schon Abend bzw. Nacht geworden ist. Die Finsternis ist immer auch Sinnbild für die Bedrängnis durch widergöttliche und dämonische Mächte. Im übrigen ist der See Genesareth bekannt für die plötzlich ausbrechenden Unwetter, und wenn so erfahrene Fischer wie die Jünger sich in Lebensgefahr sehen, dann muss es in der Tat furchtbar hergegangen sein.   

Ein größerer Kontrast zur Todesangst der Jünger als der schlafende Jesus ist wohl kaum denkbar. Schlaf ist immer auch Sinnbild für den vertrauenden Menschen, der sich in Gottes Hand geborgen weiß. Aber dass es Jesus ist, der schläft, besagt natürlich noch etwas anderes: es ist wie ein Symbol für die immer wieder empfundene Abwesenheit Gottes in unserem Leben. Er ist da, aber Er scheint sich nicht zu kümmern. Genau das ist auch die Frage, die die Jünger Jesus stellen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Es ist eine der uralten Menschheitsfragen: Warum Gott oder die Götter schweigen; warum Gott so viel Unheil auf der Erde zulässt; warum es Ihn nicht zu kümmern scheint, was die Menschen hier auf Erden an Bösem erfahren und an Bösem treiben. Über kaum eine Frage ist von Theologen und Philosophen, von einfachen und gebildeten Menschen so sehr nachgedacht worden wie über diese Frage. Aber alle nur theoretische Antwort hilft in der konkreten Situation in der Regel gar nicht.   

Ein gutes Beispiel ist der große englische Schriftsteller C.S.Lewis, dem Autor der Narnia-Bücher, der sich vom Atheismus zum Christentum bekehrt und u.a. ein Buch „Über den Schmerz“ geschrieben hatte. Es ist wohl eines der klügsten Bücher, die je über die Frage geschrieben wurde, warum Gott so viel Leid und Schmerz zulässt, scheinbar ohne sich darum zu kümmern. Als er allerdings durch den Verlust seiner Ehefrau am eigenen Leib und an der eigenen Seele erfuhr, was es heißt, nur noch Dunkelheit und Schmerz zu spüren und einen Gott zu erleben, der zu „schlafen“ scheint, dessen helfende Nähe man eben nicht mehr spürt, hat ihm sein eigenes Buch nicht im Geringsten geholfen. Die Antwort auf diese Situation konnte er nicht mehr theoretisch geben, sondern nur noch mit seinem eigenen Leben. Und es hat lange gedauert, bis er es vermochte, diesen Schmerz im Glauben zu tragen und anzunehmen. 

Solche Situationen, wie Markus sie beschreibt, können sehr heilsam sein in Bezug auf die Frage nach der Tragfähigkeit unseres eigenen Glaubens. In der akuten Not war alles Vertrauen der Jünger Jesu wie weggeblasen. Es war angesichts der Todesgefahr nur noch die nackte Angst da. Wie mag es diesbezüglich um uns selbst bestellt sein? 

Freilich kann die Erzählung auch eine andere Frage nahelegen: Habe ich selbst gleichsam Gott „einschlafen lassen“, d.h. habe ich Ihn vergessen, an den Rand meines Lebens gedrängt, den Glauben, das Gebet vergessen. Auch der Glaube will eingeübt sein, gerade auch in Zeiten, in denen es mir gut geht, um stark genug zu sein in den Zeiten, in denen es mir schlecht geht. Wenn ich in Zeiten des Glücks Gott nicht danke, dann wird der Glaube auch nicht stark genug sein, mich in der Not zu tragen.  

Was aber ist das Fazit, was die Aussageabsicht des Evangelisten? Zunächst einmal: der Herr ist da, in jeder Not, auch wenn Er zu schlafen und sich nicht zu kümmern scheint. Nicht nur das vertrauende, sondern auch das verzweifelte, das aus der Not geborene und herausgeschriene, sogar das anklagende Gebet – wie es das der Jünger ist: „Herr, kümmert es dich gar nicht …? – wird Ihn auf den Plan rufen. Er ist der Herr über alle Mächte dieser Erde, auch über die Mächte des Unheils. Dies auszudrücken ist auch der Sinn der alttestamentlichen Lesung aus dem Buch Hiob. Auch hier steht die Frage im Hintergrund: Gott, warum lässt du zu, dass ich so leiden muss? Auch ihm wird keine theoretische Antwort gegeben. Gott bleibt immer auch der Unbegreifliche. Nie werden wir alles verstehen, was Er uns und anderen Menschen bisweilen auch an schwersten Schicksalsschlägen und Stürmen des Lebens zumutet. Die Antwort ist lediglich: Ich bin der Herr über alles, was ist und geschieht. Du musst nur vertrauen, dass auch du in meiner Hand bist, dass ich dich sicher durch alle Stürme hindurch ans andere Ufer bringe. Dieses Vertrauen haben wir nicht einfach, sondern wir müssen es immer wieder erbitten, es lernen, auch und gerade in den Widrigkeiten unseres Daseins. Wenn Jesus fragt: „Habt ihr noch keinen Glauben?“, dann ist weniger der Glaube an Seine Wundermacht gemeint, sondern jenes Vertrauen, das sich in allem, was geschieht, in Gott geborgen weiß. Bitten wir für uns selbst um dieses Vertrauen, aber auch für all jene, denen dieses Vertrauen fehlt oder abhanden gekommen ist. Denn niemand kann gelassener durchs Leben gehen als der, der sich so wie der schlafende Jesus ganz in den Händen des Vaters geborgen weiß.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2009  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de