Predigt vom 29. März 2009

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Kirchlicher Umgang mit Aids"
Predigttext

5. Fastensonntag (Misereorsonntag),  29. März 2009

Kirchlicher Umgang mit Aids

„Gottes Schöpfung bewahren – damit alle leben können. Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen“ – unter diesem Motto steht die diesjährige Fastenaktion Misereor. Zu diesem und aus aktuellem Anlass will ich heute einmal nicht zum Evangelium sprechen, sondern zu einem besonderen Thema, und zwar mit einem gewissen Akzent auf dem „Zorn“. 

In unzähligen Projekten hilft Misereor besonders auch in Afrika, das durch die jüngste Papstreise auch in Europa wieder in die Schlagzeilen gekommen ist. Die Art der Berichterstattung und Kommentierung dieses Besuchs in weiten Teilen der westlichen medialen Landschaft ist nach meiner Auffassung ein solches Paradebeispiel für Desinformation und Manipulation, dass ich nicht umhin kann, dazu einige Gedanken zu äußern.

Die Berichte, die man diesbezüglich lesen, hören und sehen konnte, waren so gut wie gar nicht daran interessiert, auf welche Weise Papst Benedikt den Menschen dieses vergessenen Kontinents Hoffnung und Mut machen und wie er ihnen das Selbstbewusstsein und Zutrauen stärken wollte, die Verantwortung für ihre Zukunft aus der Kraft des Glaubens selbst in die Hand zu nehmen; interessiert war man so gut wie ausschließlich an einer Bemerkung, die er auf dem Flug nach Afrika auf die Frage eines französischen Journalisten hin gemacht hatte und die fast durch die Bank nur verkürzt wiedergegeben wurde: dass er sich nämlich einmal mehr gegen Kondome als wirksames Mittel gegen Aids ausgesprochen habe.  

Der Aufschrei und die Empörung in der westlichen Welt waren allgemein. Als Katholiken müssen wir uns aufgrund der Kommentare fragen: Steht an der Spitze unserer Kirche tatsächlich ein kaltherziger Kirchenmann, der „zynisch und menschenverachtend“ (Volker Beck), „absolut verantwortungslos“ (Guido Westerwelle), „destruktiv, lebensfremd und liebesfeindlich“ (Claudia Roth), ja „kriminell“ (französ. Kommunistenchefin Marie-George Buffet) die Menschen dieser furchtbaren Seuche ausliefert? Ein starrsinniger Dogmatiker, der die reine Lehre über den Schutz menschlichen Lebens stellt? So jedenfalls war es aus dem Mund roter, grüner und gelber Politiker vor allem in Deutschland, Frankreich und Spanien zu vernehmen.

Auffallend war, dass es diese Kommentare nur in Europa gab, die Afrikaner selbst aber diesem angeblich „menschenverachtenden Zyniker“ auf dem Stuhl Petri einen überwältigenden Empfang bereiteten, ihm zuhörten und mit großer Freude und neuer Zuversicht auf ihn reagierten.

Man fragt sich, ob man sich hier in Europa im falschen Film befindet. Ich frage mich, ob in unserem und anderen Ländern Europas beim Thema Sex ein kollektives Abschalten des Verstandes stattfindet. Freilich müssen wir uns als Kirche auch ein wenig selbstkritisch fragen, ob es uns immer wirklich gut gelingt, unsere kirchlichen Positionen argumentativ so verständlich zu machen, dass es auch für die nachvollziehbar wird, die mit ihnen wenig bis gar nicht vertraut sind.  

Einen entsprechenden Versuch will ich daher einmal starten, und zwar unter Einschaltung einfach des gesunden Menschenverstandes: Der ursprüngliche Zweck von Kondomen ist, wie allgemein bekannt, die Verhütung unerwünschter Schwangerschaften. Dieses wegen seiner relativ hohen Versagerquote höchstens zweitrangige Verhütungsmittel wurde seit Jahren bei uns im Westen zur wichtigsten Waffe gegen Aids stilisiert. Die Versagerquote bei Verhütungsmitteln wird, wie ebenfalls allgemein bekannt sein dürfte, angegeben durch den sog. Pearl-Index, der bei Kondomen bei 3 und mehr Prozent liegt. D.h. bei korrekter einjähriger Anwendung weisen Statistiken unter 100 Paaren 3, der Gebrauchsstatistik nach de facto oftmals aber sogar deutlich mehr unerwünschte Schwangerschaften aus. Diese Versagerquote kommt zustande bei einem relativ kleinen Zeitfenster von ca. 4-6 fruchtbaren Tagen, während eine Ansteckung mit Aids bei jedem Geschlechtsverkehr möglich ist.

Wenn man das bedenkt, dann fragt man sich: Wie verantwortungslos muss man eigentlich sein, um ein relativ unsicheres Verhütungsmittel landauf landab als sicheren Schutz gegen Aids zu deklarieren? Diese rein logischen Überlegungen legen nahe, was entsprechende Statistiken empirisch bestätigen. Präservative bieten zwar einen gewissen Schutz vor der Ansteckung durch Aids-Viren, aber bei weitem keinen sicheren. Je länger man sich auf Kondome als Schutz vor Aids verlässt, um so wahrscheinlicher wird eine Ansteckung. Einer der führenden Aids-Forscher an der Havard-Universität in Amerika, Edward Green, sagte, als er um Stellungnahme zur Bemerkung von Papst Benedikt gebeten wurde, wissenschaftlich sei kein Zusammenhang zwischen einer hohen Kondomverbreitung und niedriger HIV-Rate nachweisbar. Das Gegenteil sei der Fall. Daher lösen Kondome das Aids-Problem nicht nur nicht, sondern sie verschärfen es sogar, so Edward Green. Als Beispiel verweist er auf Uganda, das eine der höchsten Aids-Raten aufwies und wo durch eine Regierungskampagne für sexuelle Treue die Rate um zwei Drittel gesenkt werden konnte. Nach 2004 sei die Zahl der Kranken allerdings wieder gestiegen, was Green auf den Einfluss westlicher Kondom-Kampagnen zurückführt. Für ihn liegt es auf der Hand, „dass die Lösung in einer Veränderung des Verhaltens liegt“.  

An dieser Stelle will ich Papst Benedikt wörtlich zitieren, der im Prinzip genau dasselbe gesagt hatte: „Ich würde sagen, das Problem Aids kann man nicht bloß mit Werbeslogans überwinden. Wenn die Seele fehlt, wenn die Afrikaner sich nicht selbst helfen, kann diese Geißel nicht mit der Verteilung von Kondomen beseitigt werden: Im Gegenteil, es besteht das Risiko, das Problem zu vergrößern. Die Lösung kann nur in einem doppelten Engagement gefunden werden: Das erste ist eine Humanisierung der Sexualität ...“ 

Mit diesem letzten Satz spielt er darauf an, dass der Seuche vor allem eine sexuelle Ausbeutung von Frauen zugrunde liegt. Ich zitiere eine deutsche Ordensfrau, die sich vor Ort der Aids-Kranken annimmt: „Es ist der Mann, der die Aids-Epidemie im Laufen hält: Hier hat ein Mann im Durchschnitt nicht nur eine Partnerin, sondern gleichzeitig drei oder vier.“ Oft sind es vor allem ganz junge, besonders beliebt noch jungfräuliche Frauen, die aufgrund der ausgeprägten patriarchalen Strukturen in der afrikanischen Gesellschaft oft einfach nicht den Mut und das Selbstbewusstsein haben, sich männlicher Zudringlichkeit zu erwehren.

Wer also, wie die spanische Regierung, als Antwort auf die Äußerung des Papstes Tausende von Präservativen nach Afrika schickt, gibt ein fulminantes Signal für die weitere sexuelle Ausbeutung von Frauen, was im übrigen dazu führt, dass viele Krankenhäuser in Afrika große Vorräte an Kondomen haben, ihnen aber oftmals dringendst benötigte Medikamente fehlen.

Dass Papst Benedikt dieser zynischen Art westlicher Entwicklungshilfe und kolonialistischem Denken – die westliche Methoden der afrikanischen Kultur einfach überstülpen möchte – nicht beipflichten kann, sollte für jeden klar denkenden Menschen auf der Hand liegen.  

Eine der wohl besten und wirksamsten Kampagnen gegen Aids verbindet sich mit dem Kürzel ABC. A steht für abstinence, also voreheliche Enthaltsamkeit, B für being  faithful, also treu sein in der Ehe, und C für Condom. Dass jemand, der ohne verbindliche Beziehung, also außerhalb der Ehe, mit Frauen schläft, das Ganze moralisch nicht dadurch besser macht, dass er keine Kondome benutzt, liegt auf der Hand und ist auch dem Papst klar. Es ist daher absolut töricht, als kirchliche Lehre auszugeben, auch in solchen Fällen verbiete die Kirche den Gebrauch von Kondomen. Vielmehr ist dann das Mindeste, wenigstens keinen ungeschützten Verkehr zu haben. Allerdings ist das eine Sache des gesunden Menschenverstandes und eines Mindestmaßes an Verantwortung, nicht aber Gegenstand kirchlicher Lehrverkündigung. Denn es ist nicht Aufgabe des Papstes, sich über Maßnahmen bei sexuellem Fehlverhalten auszulassen und diesbezüglich Empfehlungen auszusprechen. Täte er dies, würde er einer Praxis den kirchlichen Segen erteilen, die, wie gesagt, vor allem auf Kosten unzähliger afrikanischer Frauen geht.  

Wenn man als Katholik fragt, wie es sich denn bei verheirateten Paaren verhält, von denen einer mit Aids infiziert ist, so meine ich, dass zwei Überlegungen möglich und notwendig sind. Auf der einen Seite kann man sagen: In einem solchen Fall verhält es sich so wie mit der Pille. Wenn sie aus medizinischen Gründen eingenommen wird und nicht mit der Intention zu verhüten, sagt auch die Kirche nichts dagegen. In diesem Sinn könnte wohl auch das Kondom als ein medizinisches Mittel angesehen werden.

Auf der anderen Seite bleibt zu bedenken, wie unsicher auf lange Dauer dieses Mittel in Bezug auf die Vermeidung von Aids ist. Wenn überhaupt, dann ist dies nur mit gegenseitigem Einverständnis möglich. Hier ist wohl tatsächlich die sorgfältige gemeinsame Gewissenentscheidung eines Paares gefragt.  

Zu ergänzen ist ABC freilich um alle Hilfen, die Frauen vor sexueller und anderer Gewalt schützen und darin bestärken, selbstbewusst und selbstbestimmt zu handeln. Viele kirchliche Einrichtungen, Projekte und Schulungen zielen genau auf dieses Anliegen, das durch Kondom-Kampagnen aber gerade unterlaufen wird. 

Das zweite Engagement, von dem Papst Benedikt in dem Interview sprach, ist, dass die Kirche „in wahrer Freundschaft“ an der Seite der betroffenen kranken Menschen stehen muss. Diesbezüglich ist die Kirche eine der präsentesten Organisationen in Afrika. Sie gibt Unzähligen, die als Aids-Kranke in der afrikanischen Gesellschaft stigmatisiert und ausgegrenzt sind, ihre menschliche Würde wieder, indem sie diesen das Gefühl von Respekt und Annahme gibt und sie medizinisch und menschlich betreut und begleitet. 

Die Gelder, die Sie am heutigen Misereorsonntag spenden, kommen vielen Projekten dieses großen kirchlichen Hilfswerks zugute, nicht zuletzt auch vielen von Aids betroffenen Menschen.

 Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2009  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de