Predigt vom 13. Juli 2008 (Gottesdienst mit Krankensalbung)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Euthanasie und der Sinn von Krankheit und Leid "
Predigttext

15. Sonntag i. J. 2008 (GD mit Krankensalbung)

Euthanasie und der Sinn von Krankheit und Leid 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Satz aus dem 1. Artikel unseres bundesrepublikanischen Grundgesetzes war, als er 1949 formuliert und verabschiedet wurde, ein Fanal. Er sollte aus der Erfahrung des Staatsterrors während der Nazizeit, dem Millionen von Menschen zum Opfer fielen, einen Schutzwall aufrichten gegen jedwede Anmaßung der Staatsgewalt, die versucht sein könnte, die Würde und das Lebensrecht irgendeines Menschen, aus welchen Gründen auch immer, einzuschränken, zu relativieren oder gar aufzuheben.

„Die Würde des Menschen war unantastbar.“ So lautete der Titel zu einem Aufsatz, den der bekannte Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde im September 2003 für die FAZ verfasste. Dieser Aufsatz war die Reaktion auf den damals neu überarbeiteten bedeutendsten Kommentar zum Grundgesetz – den Juristen als Maunz/Dürig bekannt – in dem der Verfasser ausgeführt hatte, dass die Würde und das Lebensrecht des Menschen in bestimmten Fällen einer Güterabwägung unterliegt. In dieser Neukommentierung wurde also der Gesetzgeber nicht an der Verfassung gemessen, sondern diese nach Maßgabe einer Gesetzgebung interpretiert, die einer schrittweisen Aushöhlung der Unantastbarkeit der menschlichen Würde gkeichkommt. (Man nennt dies die „normative Kraft des Faktischen“. Um nur zwei Beispiele zu nennen: so bewertet der Gesetzgeber beim ungeborenen Leben das Selbstbestimmungsrecht der Frau höher als das Lebensrecht des Kindes. In der Debatte um die verbrauchende Embryonenforschung wurde die Forschungsfreiheit ebenfalls höher bewertet als das Lebensrecht des Kindes in seinem frühesten Stadium.

Die Frage ist nun, ob sich Ähnliches auch schleichend und allmählich für alternde, kranke und sterbende Menschen anbahnt. Im Zusammenhang mit einem Aufsehen erregenden Fall in Frankreich, wo die unheilbar kranke Lehrerin Chantal Sébire dem Staat und dem Präsidenten gegenüber das Recht auf Sterbehilfe eingefordert hatte, äußerte sich der französische Schriftsteller Philippe Sollers folgendermaßen: „Wir kämpften für das Recht auf Abtreibung, jetzt ist es nur logisch, dass wir für das recht auf Sterben eintreten.“

Publikumswirksam hatte erst vor kurzem der Ex-Justiz-Senator Hamburgs Roger Kusch einer weder leidenden noch im Sterben liegenden 79-Jährigen Rentnerin aus Würzburg die todbringenden Medikamente besorgt und ihren Selbstmord gefilmt. Als Kinderlose hatte sie einfach nur große Angst vor der Einsamkeit in einem Pflegeheim. Roger Kusch, der Erfinder eines Selbsttötungsautomaten ist zugleich der Gründer der „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe“, eine Gründung, die die Aufnahme ins Vereinsregister und damit auf die Gemeinnützigkeitsliste des Finanzamtes Hamburg-Nord geschafft hat. Tötung statt Hilfe für Sterbewillige als Dienst am Gemeinwohl – müssen wir uns bald an diesen Gedanken gewöhnen?

In Holland und Belgien ist bekannterweise die Tötungsspritze auf Verlangen schon seit Jahren üblich, wobei die angebliche Freiwilligkeit der auf diese Weise Getöteten teils ziemlich aus der Kontrolle geraten ist. M.a.W.: Untersuchungen haben gezeigt, dass jährlich Hunderte ohne ihr Einverständnis zu Tode gespritzt werden. In der Schweiz haben die Organisationen „Dignitas“ und „Exit“ wahre Pilgerströme von Suizid-Willigen aus anderen Ländern, besonders Deutschland, ausgelöst. Das Geschäft mit der Verzweiflung von Schwerstkranken erweist sich als sehr lukrativ und damit als bequemer und einträglicher und für das Umfeld billiger als etwa das Bemühen, diese Menschen zu begleiten und ihr Leiden zu lindern.

Was ich hier beschreibe, ist Gott sei Dank nur eine Tendenz in unserer Gesellschaft. Es gibt auch die Stimmen und vor allem den Einsatz derer, die sich gegen solche verbrecherischen Perversionen wenden und auf Palliativ-Stationen, in Hospizen, in Hospizvereinen und als Hospizhelfer, oft aber auch einfach daheim Großartiges leisten, um Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen, das diesen Namen wirklich verdient. Auch in Garching gibt es viele solcher Menschen, und denen muss unser aller ganz besonderer Dank gelten.

Was aber hat all das mit dem heutigen Gottesdienst und der Krankensalbung zu tun, die heute denen gespendet wird, die sie empfangen wollen.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Gesundheit geradezu als ein Höchstwert dargestellt und empfunden wird. Vollwertige Lebensqualität hat nach Auffassung vieler eigentlich nur der, der gesund, sportlich und dynamisch durchs Leben marschiert.

Nicht wenige Schwerstkranke belastet das Gefühl, anderen einfach nur noch zur Last zu fallen, zu viele Kosten zu verursachen und sowieso gar kein wirklich wertvolles Leben mehr zu leben. Das Gespür dafür, dass Krankheit, Leid, Sterben unausweichlich zu unserem Leben gehören und einen tiefen Sinn haben, ist weitgehend verloren gegangenen. Es erscheint vielen einfach als sinnlos, und einen sinnlosen Zustand – warum soll man den nicht vorzeitig beenden?

Die christliche Tradition hat von Anfang an einen anderen Blick für den leidenden Menschen gehabt. Zunächst ist ihm natürlich einfach einmal zu helfen. Nicht der Leidende ist zu beseitigen, sondern, soweit es möglich ist, sein Leid; und wenn es nicht möglich ist, ist es zu lindern und der Leidende zu begleiten, zu unterstützen durch menschliche Nähe und Zuwendung.

Aber auch das Leid, das nicht beseitigt werden kann, sah man nie als einfachhin sinnlos an. Denn niemand anderer als ein Leidender und Sterbender ist zur Heilsgestalt unseres Glaubens geworden. In Jesus Christus hat Gott sich uns Menschen ähnlich gemacht, auch und gerade dem Menschen in seiner Schwachheit, seiner Ohnmacht, seinem Leiden- und Sterbenmüssen. Noch mehr: am fruchtbarsten war das Leben Jesu nicht, als Er noch aktiv war, umherzog, predigte, lehrte, heilte – sondern als Ihm alles Tun- und Leistenkönnen aus der Hand genommen war, als er nur noch ohnmächtig am Kreuz hing, als er nur noch litt und dieses Leiden durch einen unsagbar schweren inneren Kampf angenommen hatte. „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst“, betete Jesus im Ölbergsgarten.

Es wurde hier nun aber nicht nur Gott dem Menschen ähnlich, vielmehr gilt auch umgekehrt: seitdem wird jeder Leidende Gott ähnlich, Christus ähnlich, dem Gekreuzigten ähnlich. Diese besondere Würde des leidenden Menschen, in dem man die Züge des leidenden Christus entdeckte, kam erst mit dem Christentum in die Welt. Im gekreuzigten Christus erkannte man, dass Gott die Tränen dieser Welt in verborgenen Segen zu verwandeln vermag. Denn am Kreuz geschah Christus die Erlösung der Welt.

Wo Menschen lernen – oft durch viele schwere Kämpfe, Verbitterung, Enttäuschung hindurch – ein unüberwindliches Leid, eine Krankheit, einen Schicksalsschlag, das eigene Sterbenmüssen anzunehmen; wo durch die Zuwendung und Begleitung solcher Menschen auch die Gesunden das Werk selbstloser Nächstenliebe erfüllen, da geschieht auch jene Fruchtbarkeit, von der Jesus im heutigen Evangelium spricht: 30fach, 60fach, ja 100fach; es geschieht ein Segen, eine Läuterung, ein inneres Reifen, ein Sich-Bereiten für die Ewigkeit, es vollzieht sich ein Sinn, der dem nicht zuteil wird, der vorzeitig freiwillig aus dem Leben scheidet.

Dieser Sinn ist nicht immer leicht zu erkennen, besonders wenn es sich um ein nicht enden wollendes Leiden und Sterben handelt. Aber auch hier liegt für den gläubigen Menschen der Sinn verborgen in Gott. Gott allein vermag ein angenommenes und durchgestandenes Leid in Frucht und Segen zu verwandeln: für einen selbst, aber auch für andere, 30fach, 60fach, 100fach.

Ich wünsche allen, die heute diesen Gottesdienst mitfeiern und besonders denen, die das Sakrament der Krankensalbung empfangen, dass Sie, dass wir nie an irgendeinem Leid oder Gebrechen verzweifeln, dass wir ganz fest glauben, dass es in Gott nichts Sinnloses auf dieser Welt gibt und dass Er alles auf Seine Weise in Fruchtbarkeit und Segen verwandeln kann.

Schließen möchte ich mit einem Wort von Heinrich Böll, der in einem Interview einmal folgendes sagte: „Ich frage mich vieles (in Bezug auf das bestehende Christentum)… Doch die andere Vorstellung ist noch weit gespenstischer: Wie diese Welt aussähe ohne Christus …

Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. Ich glaube an Christus, und ich glaube, dass 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz der Erde verändern können.“

 Pfr. Bodo Windolf

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