Predigt vom 15. Juli 2007

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Nächstenliebe"
Predigttext

Predigt 15. Sonntag i. J.  C am 15.7.2007

Nächstenliebe heißt: Ich mache mich dir zum Nächsten

Er hat meine ganze Sympathie – dieser Gesetzeslehrer, dem Jesus im heutigen Evangelium begegnet. Denn die Andeutungen genügen, um ihn als einen Menschen zu erkennen, er zu innerer Wandlung fähig ist.

Zunähst sieht es allerdings nicht danach aus. Als Motiv für das von ihm gesuchte Gespräch mit Jesus wird angegeben, dass er Ihn auf die Probe stellen möchte. Wir können uns leicht vorstellen, wie er vor der Begegnung in Gedanken das Streitgespräch schon durchgeht, in das er Jesus verstricken möchte; was er zu antworten gedenkt; wie er ihn aufs Glatteis führen kann; er spielt die verschiedenen Möglichkeiten von Fragen und Antworten durch und sieht sich in Gedanken wohl schon als Sieger einer möglicherweise spannenden Diskussion.

Die Eingangsfrage ist im übrigen klug gewählt und zeigt Tiefe. Menschen unserer Tage würden wohl viel eher fragen: Was muss ich tun, um gesund und fit zu bleiben? Was muss ich tun, um Spaß zu haben im Leben? Was muss ich tun, um ein langes und qualvolles Sterben zu vermeiden? Was muss ich tun, um gegen alle möglichen Eventualitäten des Lebens ausreichend versichert zu sein? Usf.

All das sind durchaus legitime Fragen. Aber sie betreffen nur einen Teilaspekt des Lebens. Sobald in ihnen das Ganze oder Hauptsächliche gesehen wird, bringen sie das eigene Leben auf eine definitiv falsche Spur.

Der Gesetzeslehrer aber geht aufs Ganze. „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen.“ M.a.W.: Was muss ich tun, damit sich mein Lebenssinn nicht nur in Teilaspekten, sondern im Ganzen erfüllt? Was muss ich tun, um das eigentliche und letzte Ziel meines Daseins zu erreichen und den gottgesetzten Sinn meines Lebens zu erfüllen?

Im Augenblick der Begegnung, in dem Augenblick, da er Jesus ins Angesicht blickt und diese Frage stellt, vollzieht sich ganz offensichtlich die Wandlung. Der Gesetzeslehrer spürt: Hier ist nicht einer, den ich in fruchtlose akademische Streitgespräche verwickeln kann, in  Diskussionen um der Diskussion willen, die unter dem Schein des Eigentlichen gerade dieses Eigentliche verfehlen. Nein, hier ist einer, dem es nicht um sich selbst, nicht um den Sieg in einer Diskussion, sondern wirklich um diese eine und entscheidende Frage geht: Wie gelingt mein und dein Leben? Ohne diese innere Wandlung wäre er niemals so bereitwillig auf die Gegenfrage Jesu eingegangen, der ihm den Ball einfach zurückspielt. Seine Antwort ist wahr und treffend: Gott lieben mit allem, was in mir ist, und den Nächsten wie mich selbst.

Und nun tritt eine neuerliche Wendung des Gesprächs ein: Was bislang allgemein war, wird nun konkret: Wer ist denn eigentlich mein Nächster? Dies ist im damaligen Israel eine echte Frage. Traditionell galt nur der Volks- und Glaubensgenosse als der Nächste. Wer Heide, Ungläubiger oder Häretiker ist wie etwa die Samaritaner in den Augen der rechtgläubigen Juden, ist letztlich ein Feind Gottes, verfällt dem Gericht; wer aber Feind Gottes ist und wem deshalb Gott feind ist, kann gar nicht unter das Liebesgebot fallen. Denn wie sollte man den lieben, den nach dieser Auffassung Gott nicht liebt.

Diese entscheidende Frage gibt Jesus die Gelegenheit, eines seiner schönsten und bekanntesten Gleichnisse zu erzählen. Nicht abstrakt, sondern anschaulich gibt er Antwort in einer unüberbietbaren Tiefe.

Als das eigentliche Gegenteil von Liebe führt Jesus Seinen Zuhörern damals und uns heute nicht den Hass vor Augen, sondern die Gleichgültigkeit. Zunächst die Gleichgültigkeit der Räuber, deren brutaler Egoismus über Leichen zu gehen bereit ist.

Wichtiger für die Zuhörer ist allerdings die doppelt vor Augen geführte Gleichgültigkeit der geistlichen Würdenträger. Dass sie von Jerusalem kommen, lässt die Zuhörer sofort verstehen: Sie kommen vom Gottesdienst im Tempel, haben also das vom Gesetzeslehrer genannte erste Gebot gerade erfüllt.

Aber genau der Augenblick, in dem sie den Zusammengeschlagenen sehen, entscheidet, ob ihr Gottesdienst und damit ihre Gottesliebe echt oder unecht, wahr oder falsch, ehrlich oder geheuchelt, vor Gott gültig oder ungültig ist. Diese Probe bestehen sie nicht.

Dass es dann ausgerechnet ein Ungläubiger, ein Häretiker, ein von den Juden verachteter Samariter ist – heute würde Jesus das Gleichnis den Juden mit einem Palästinenser, den Palästinensern mit einem Juden erzählen – der dem Juden Zuwendung statt Gleichgültigkeit erweist, gibt einen weiteren entscheidenden Hinweis: In der Frage: Wer ist mein Nächster, legt Jesus alle von Menschen aufgerichteten Grenzen, sei es der Rasse, der Klasse, der Nationalität, der Unterschiedenheit im Glauben usf. nieder. Der Nächste ist der Mensch als Mensch. Punkt.

Und an dieser Stelle erfolgt nun die wohl wichtigste Wendung innerhalb des Gesprächs. Auf eine verblüffende Weise dreht Jesus die Frage des Gesetzeslehrers einfach um und stellt eine ganz neue Perspektive her: Wer von den Dreien ist dem Notleidenden ein Nächster geworden?

Und genau das ist der springende Punkt für uns alle. Damit der Nächste mir nicht nur theoretisch der Nächste ist, sondern es in der Tat wird, muss ich mich ihm zum Nächsten machen.

Jeden von uns muss diese Wendung zu einer ernsthaften Gewissenserforschung führen. Das Versagen der sogenannten Anständigen, wie im Gleichnis des Priesters und des Leviten, die vermutlich niemandem etwas wirklich Böses angetan haben, liegt vor allem in der Unterlassung, in der Blindheit für das Gute, das sie und wir tun könnten, aber versäumen aus Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit, aus Blindheit, weil wir die Not neben uns nicht sehen oder nicht sehen wollen.

Niemand von uns kann alle Not der Welt lindern oder auch nur sich aller Menschen annehmen, die zu unserem nächsten Umfeld gehören. Aber vermutlich fällt jedem von uns irgendjemand oder auch mehrere ein, dem oder denen wir ein Nächster, eine Nächste hätten werden können und sollen.

In einer kurzen Stille könnte jeder von uns sich überlegen, wo ich einem oder mehreren Menschen ein barmherziger Samariter gewesen bin oder noch bin; aber auch, wo ich mehr dem gleichgültigen Priester und Leviten ähnle; vielleicht wäre diesbezüglich auch ein ganz konkreter Vorsatz möglich, den wir mitnehmen als solche, die sich durch die Worte Jesu unmittelbar angesprochen fühlen.

Wir feiern miteinander Eucharistie. Von Johannes Chrysostomos, einem Kirchenvater des 4. Jahrhunderts, stammt der schöne und beherzigenswerte Satz: „Das Sakrament des Altares ist nicht zu trennen vom Sakrament des Bruders.“

Dem Nächsten ein Nächster werden – das macht auch uns zu barmherzigen Samaritern. 

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2007  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de