Predigt vom 8. Juli 2007 (Bürgerwoche)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gott, mitten in unserem Alltag"
Predigttext

Predigt zur Bürgerwoche 2007, Sonntag 8. Juli 2007

„Gott, mitten in unserem Alltag“ 

„Er – ist tot. Wir – verlassen von Ihm. Er, der dem Leben einen neuen Sinn, einen neuen inneren Glanz  gab, ist nicht mehr. Beseitigt von den Menschen, von den Meinungsführern, von der aufgewiegelten Masse.“ Das Innere der Jünger von Emmaus ist leer, einfach nur leer. In ihnen ist Karsamstag. Die Hoffnung ist tot. Die Freude ist tot. Gott – ist tot.

Unser derzeitiger Papst hat unsere Epoche charakterisiert als einen andauernden Karsamstag. Gott erscheint Unzähligen als der einfachhin Abwesende, nicht da, tot, mag es Ihn geben oder auch nicht, das spielt keine Rolle. Weil Er keine Rolle mehr spielt, ist Er tot in den Herzen so vieler. Es ist eine gefühlte, eine erlebte und von vielen gelebte Abwesenheit Gottes; abwesend, belanglos für ein Leben, das man selbst im Griff zu haben meint.

Liegt es daran, dass Gott tatsächlich abwesend ist? Abwesend, weil es Ihn gar nicht gibt? Oder weil Er sich einfach zurückgezogen hat und die Welt sich selbst überlässt? Oder liegt es daran, dass viele die Sensibilität für Seine Gegenwart verloren haben; gleichsam den Empfänger, das Gottesorgan, das uns Ihn entdecken, spüren, lebendig erfahren lässt?

Denken wir darüber ein wenig nach. Gott ist dadurch Gott, dass wir Ihn nicht sehen als „Das ist Er“ oder „Jenes ist Er“, also etwas, das empirisch nachweisbar wäre. Kaum je wurde Törichteres gesagt, als festgestellt wurde: Gott gibt es nicht, denn ich habe Ihn bei meinem Flug durch den Weltraum nicht angetroffen. Gott trifft man nicht an wie dieses oder jenes Objekt unseres Forschergeistes. Wir sehen, erfahren, erreichen Ihn nur indirekt, nämlich in den Spuren, deren die Erde voll ist. Ich behaupte: Nie hat Gott sich in Seinen Spuren so evident bezeugt wie in unserer Zeit. Denn noch nie haben Menschen einen so tiefen Blick in die Geheimnisse der Schöpfung, des Lebens, der Materie mit ihren Kleinst- und Größtstrukturen tun dürfen wie unsere Generation. Aus allem springt uns eine so unermessliche Weisheit entgegen, eine so berückende Schönheit, eine so schier grenzenlose Mannigfaltigkeit und Fülle; die Hinordnung des Einzelnen auf das Ganze und des Ganzen auf das Einzelne offenbart uns eine so komplizierte wie einfache Ordnung, überall zeigen sich so klare Sinnstrukturen – dass es eine überwältigende Plausibilität hat, als Ursache einen dahinterstehenden ordnenden und sinnstiftenden Geist anzunehmen.  

Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kurzen Exkurs einfügen zur derzeit geführten Debatte um Evolutionstheorie und biblischem Schöpfungsbericht im Biologieunterricht, angestoßen durch die hessische Kultusministerin, zum Teil geradezu hysterisch geführt, indem man sich dazu versteigt, mit dem sog. „Kreatianismus“ Demokratie und Menschenrechte gefährdet zu sehen.

Die Frage nach dem letzten Ursprung des Universums, dem Ursprung der so erstaunlichen Entstehung des Lebens auf unserem Planeten und seiner Höherentwicklung ist eine Frage, die mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu lösen ist. Weder die Behauptung der Existenz Gottes noch die Seiner Nicht-Existenz ist Gegenstand naturwissenschaftlichen Forschens. Dennoch ist der Naturwissenschaftler, der Biologielehrer, der Schüler im Biounterricht nie nur Naturwissenschaftler oder Biologe, sondern mitten darin einfach auch Mensch, zu dessen Grundfragen es nun einmal gehört, sowohl nach Ursprung wie auch Ziel unserer Existenz zu fragen. Es bieten sich zwei Alternativen an: Einerseits der Glaube an Gott als den, der angesichts der Information, die wir in den Dingen und Lebewesen entdecken, der Informationsgeber ist, weil es einfach unvernünftig erscheint, Vernünftiges aus Unvernünftigem abzuleiten; andererseits der Glaube – und ich betone ausdrücklich – Glaube an den Zufall als das letztverantwortliche Gestaltungs- und Aufstiegsprinzip der Evolution. In dieser Frage nach dem Ursprung kann der eine Glaube nur durch einen anderen Glauben ersetzt werden. Die Frage ist, was vernünftiger und plausibler ist.

Wie gesagt, steht es dem Biologieunterricht nicht zu, darauf eine definitive Antwort zu geben; aber warum soll die Frage nicht diskutiert werden, welche Argumente für die eine und welche für die andere sprechen?

Wovor wir uns m.E. hüten müssen, ist ein zweifacher Fundamentalismus: vor einem biblischen Fundamentalismus, der den Schöpfungsbericht wie einen historischen und naturwissenschaftlichen Bericht liest, was einfachhin töricht ist; aber auch vor einem wissenschaftlichen Fundamentalismus, der behauptet, mit der Evolutionstheorie seien der Ursprung und die Entwicklung des Lebens nicht nur beschrieben, sondern auch schon insgesamt erklärt. Wer das behauptet – und leider geschieht das vielfach – redet wissenschaftlich unredlich. Und geradezu peinlich wird es, wenn man, wie in einem Kommentar der FAZ und in anderen Kommentaren geschehen, am biblischen Bericht moniert, „Gott habe die Pflanzen vor der Sonne und die Frau aus dem Mann geschaffen“ (FAZ v. 30.6.07, S. 37). Den Schöpfungsbericht zuerst fundamentalistisch lesen, um ihn dann abzulehnen, unterbietet das geforderte Niveau der Diskussion.

Wenn man sich der Grenzen des Wiss- und Beweisbaren, wie es der Naturwissenschaft zugänglich ist, bewusst ist, dann kann die Antwort der Religion eine gute Ergänzung für eine redliche Diskussion sein unter der Voraussetzung, dass keine der beiden Disziplinen eine unzulässige Grenzüberschreitung vornimmt, Religion also nicht pseudowissenschaftlich wird, die Biologie aber genau so ehrlich die grenzen der eigenen Erklärungen darlegt. Das Anliegen, im Lehrplan keine diametral entgegengesetzten Antworten auf gleiche Fragen vorzusehen, erscheint mir als der eigentliche Kern des Problems, dem es Rechnung zu tragen gilt. 

All diese Überlegungen gehören mitten hinein in unser Thema „Gott in unserem Alltag“; denn wenn es Ihn gar nicht gäbe, würde sich diese Frage schlicht erübrigen. Entscheidend ist nun aber, wie die Theorie über Gott sich verwandeln kann in das Gespür für Seine lebendige Gegenwart mitten in meinem Leben und Alltag. 

Ein Grund, warum Gott im Leben vieler ein so kümmerliches Randdasein spielt, ist sicher das Gefühl: Ich habe mein Leben doch selbst im Griff. Ich will es gestalten ganz nach meinem Gusto. Eine tiefere Beziehung zu Gott entsteht oft erst da, wo ein Mensch, oft durch leidvolle Erfahrung hindurch, erkennt und akzeptiert: Letztlich habe ich gar nichts im Griff.

Das Leben habe ich mir nicht selbst gegeben, es ist restlos verdankt. Also besteht Grund zu danken. Wie arm ist der, der nicht dankt, denn er kann gar nicht in der Haltung dessen leben, der sein Leben als Gabe und damit sich selbst als unendlich beschenkt weiß. Und daher: Wie arm ist der, der Gott nicht hat als den, dem er zu danken vermag. Wer dankt, wer in der Haltung der Dankbarkeit lebt, der weiß sich beschenkt und geliebt. Allein das verleiht dem Leben einen neuen Glanz.

Wenn ich den Tag beginne, weiß ich nicht, ob ich ihn überlebe, ob ein Unfall mich außer Gefecht setzt, ob die Arbeit, das anstehende Gespräch gelingt, ob nicht einem aus der Familie etwas zustößt. Jeder Tag besteht aus unzähligen Unbekannten, wiewohl natürlich gleichzeitig vieles von mir persönlich abhängt. Manches haben wir im Griff, die letzten und entscheidenden Dinge entziehen einer letzten Planbarkeit. Grund genug, in den Tag nicht nur hineinzustolpern – aufwachen, Radio an, Zeitung überflogen, Kaffee hinuntergeschüttet, hinein in die Arbeit, sofern man eine hat. Nein, wie wäre es, den Tag mit Gott zu beginnen, Ihm den Tag, die Arbeit, die Gespräche, das Anstehende anzuvertrauen. Fünf, oder auch nur ein bis zwei Minuten genügen, für die ganz Eiligen vielleicht einfach nur das Kreuzzeichen: Herr, ich stelle diesen Tag und all mein Denken, mein Fühlen im Schönen wie im Traurigen und Schweren und all mein Tun unter deinen Namen, segne mich und diesen Tag und alle, die mir begegnen im Namen des Vaters …. Auch der evangelische Christ kann sich so segnen, den Segen leiblich vollziehen. Luther selbst hat diesen Rat erteilt und beherzigt.

Wer keine Muße hat, den Alltagswahnsinn mal für 5 Minuten zu unterbrechen – etwa in der Mittagspause eine Kirche aufzusuchen und sich in ihrer Stille und der Gegenwart Gottes zu bergen – der kann viele Zeitmulden finden, in denen ein Aufblick der Seele, des Herzens, der Gedanken zu Gott möglich ist. Nicht Gott ist nämlich abwesend, wir sind abwesend; und es gilt nur, nicht Ihn uns, sonder uns Ihm zu vergegenwärtigen. Die Fahrt im Auto: Warum sich ständig mit dem dudelnden und schwatzenden und Bayern 1-5 oder Arabella oder wie auch immer die Sender heißen den Geist einnebeln. Das kann Zeit des Nachdenkens, Zeit der Besinnung, Gebetszeit sein, also eine Zeit, die uns keine Zeit kostet, die wir aber sinnvoll vertun oder geistig und geistlich füllen können; ebenso das Stehen in einer Einkaufsschlange, der Gang in ein anderes Zimmer, das Gehen zu einer Besprechung – alles Gelegenheit für ein Vater unser, ein Ave Maria – zumindest für Katholiken –; oder ein einfaches: Herr, segne die Besprechung, die oder den Menschen da; alles Möglichkeiten, Gott hereinzuholen in meine Gedanken, in meinen Alltag, in die Geschehnisse um mich herum.

Diese Lebendigkeit der Beziehung zu Gott mitten im Alltag will geübt sein. Sie braucht die ausdrückliche Zeit des Gebets, die nur Ihm vorbehalten ist, (sie braucht auch das gemeinsame Gebet am Sonntag im Gottesdienst, da Gott uns nicht nur als Einzelne ruft, sondern auch als Einzelne in der Gemeinschaft der Mitglaubenden), und es braucht die Haltung des Gebetes, die eine innere Haltung ist und auch und gerade immer wieder auch mitten im Stress möglich ist, inmitten also der alltäglichen Verrichtungen.

Letztlich ist es eine Frage unserer persönlichen Entscheidung: als Jesus damals bei den Jüngern von Emmaus so tat, als wolle Er weitergehen, war dies nichts anderes als ein Anruf an ihre Freiheit. Wollt ihr mich bei euch behalten, mich, der ich für euch abwesend anwesend war? Oder lasst ihr mich, euren Gott und Erlöser, weiterziehen, um zurückzukehren in einen Alltag ohne mich? Die Jünger entschieden sich, Ihn einzuladen: Ihn erkennend, entzieht Er sich; sich entziehend, ist  Er doch anwesend als der unerkannt neben ihnen Gehende, als der Anwesende im Entzug. So und nicht anders erfahren wir Gott und lässt Gott sich erfahren mitten in unserem Alltag.

Pfr. Bodo Windolf

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