Predigt vom 9. März 2007 - 1. Fastenpredigt

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Tod – und was dann?
Die Lehre von den letzten Dingen in der hl. Schrift und im Glauben der Kirche. 
"
Predigttext
1. Fastenpredigt 2007
Tod – und was dann? Die Lehre von den letzten Dingen in der hl. Schrift und im Glauben der Kirche 

Tota vita meditatio mortis est. Das ganze Leben ist ein Bedenken des Todes, so lautet eine berühmte Sentenz aus der vorchristlichen Antike. Epiktet, ein heidnischer griechischer Philosoph des 1./2. Jh.`s schrieb: „Andere mögen Rechtsfälle studieren, andere mögen Rezitationen und  Syllogismen einüben: du lerne zu sterben!“ Ein spätmittelalterliches Erbauungsbuch aus der Zeit der Pest trug den bekannten Titel: Ars moriendi (Kunst des Sterbens). Und vom französischen Philosophen Michel de Montaigne stammt der Satz: Wer die Menschen lehren könnte zu sterben, der würde sie lehren zu leben.

All diese Sätze enthalten eine unglaubliche Herausforderung, die Fragen provoziert: Kann man das Sterben eigentlich lernen? Wenn ja, dann gibt es offensichtlich auch ein ungelerntes, ein verfehltes Sterben. Wer es aber lernt, der lernt nicht nur das Sterben, sondern mindestens genau so das Leben, das wahre Leben.

Kaum etwas scheint den Menschen unserer Zeit so fremd und ferngerückt zu sein wie solche Gedanken aus den Zeiten unserer Vorfahren. Zwischen Tabuisierung  und Banalisierung des Todes taumelt unsere Epoche hin und her. Leben wollen wir. Das Leben genießen. Das Leben erleben. Und nicht sich den Spaß verderben lassen, indem man sich den Tod zu nahe auf die Pelle rücken lässt, diesen Spielverderber des Lebens.

Den Menschen früherer Zeiten stand der Tod viel näher. Die hohe Kindersterblichkeit, die geringeren Möglichkeiten der Medizin, die wesentlich niedrigere Lebenserwartung, das selbstverständliche Sterben daheim machten den Tod zu einem fast alltäglichen Begleiter des Lebens. Die Versuchung, schon dieses irdische Leben als letzte Erfüllung des Menschseins anzusehen war weitaus weniger ausgeprägt als in unserer wohlstandgesättigten Zeit. Der Glaube an Gott und daran, dass die eigentliche Erfüllung unseres Daseins, das ewige Heil, noch aussteht und allein von Ihm her zu erwarten sei, war ungleich lebendiger und näher.

Daher ist es kaum verwunderlich, dass die vormals so oft gebetete Allerheiligenlitanei die dringende Bitte enthält: „Von einem plötzlichen Tod, befreie uns, o Herr!“ Sie fleht darum, dass der letzte Schritt aus diesem Leben heraus hin vor das Angesicht Gottes uns nicht unvorbereitet und nicht unversehen durch die Sakramente der Kirche antrifft. Die Litanei des modernen Menschen würde wohl eher lauten: Einen plötzlichen und unbemerkten Tod gib uns, o Herr! Schnell, ohne Zeit zum Nachdenken zu lassen, vor allem ohne Leiden soll er eintreten. Klassisch bringt es Woody Allen auf den Punkt: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert“ (zit. nach Falkovitz, Glück – Eros – Tod, 187).

Dieser Tabuisierung des Todes entspricht als nur die andere Seite derselben Medaille die Banalisierung des Todes in den Medien unserer Zeit. Hier tritt der Tod als Massenveranstaltung auf. Abertausende virtuell sterbende, meist ermordete, niedergeknallte Menschen flimmern täglich durch den Äther und belustigen Kinder in Computerspielen. Der Tod als Spektakel, als Nervenkitzel gegen die eigene innere Langeweile. Auch hier wird der Tod zu etwas, was mich eigentlich gar nichts angeht und von dem ich mich persönlich gar nicht betreffen lassen kann.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mich in den Fastenpredigten dieses Jahres der Frage nach dem eigenen Sterben und den Erwartungen über den Tod hinaus stellen, wie sie sich in der hl. Schrift und im Glauben der Kirche entfaltet haben. Was ein Mensch diesbezüglich glaubt, wird sein Sterben, aber auch schon sein Leben prägen. Die Frage danach gehört zu den Urfragen unseres Menschseins, und sich ihr nicht wirklich zu stellen, bedeutet, sich dem letzten Sinn unseres Daseins nicht zu stellen und setzt damit auch der Gefahr aus, diesen letzten Sinn zu verfehlen.

Bevor ich auf das Zeugnis der hl. Schrift komme, möchte ich noch einige allgemeine Überlegungen zum menschlichen Sterben vorausschicken zu der Frage: Was geschieht eigentlich, wenn ein Mensch stirbt?

Eine erste Beobachtung: Nur ein Mensch stirbt, ein Tier verendet. Das heißt: Im Gegensatz zum Tier vermögen wir Menschen unser Sterben zu gestalten. Wir erleiden nicht nur den Tod, er widerfährt uns nicht nur als passives Objekt, sondern wir sind, so oder so, immer auch „Täter“ unseres Sterbens; das Sterben ist ein menschlicher Akt, der gestaltet sein will und den uns auch niemand abnimmt, wiewohl die Begleitung von Menschen eine unendliche Hilfe sein kann, diesen letzten Akt unserer hiesigen Existenz gut und menschenwürdig zu gestalten. Dabei ist die eigentliche und wichtigste „Tat“ im Sterben wohl nichts anderes als die Einwilligung, das Ja zu bevorstehenden Tod, meist nur durch schwere Kämpfe hindurch zu erlangen. Aber nur, wer Ja sagt, kann auch im Frieden diese Welt verlassen. (Dazu mehr im nächsten Vortrag)

Ein Zweites: „Incerta omnia, sola mors certa“, so in der Prägnanz der lateinischen Sprache der hl. Augustinus (Pieper, Tod und Unsterblichkeit, 25) „Alles ist unsicher, sicher ist allein der Tod.“ Dieser absoluten Gewissheit steht die absolute Ungewissheit in Bezug auf den Zeitpunkt des Todes gegenüber. Ich weiß nicht, wann ich sterbe. Vielleicht heute schon. Das ist der Grund, warum es nie zu früh ist, über das eigene Sterben nachzudenken. Der Satz: „Du bist doch erst 30 und machst dir darüber schon Gedanken“ ist ein zutiefst gedankenloser Satz. Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist nie zu früh und trägt nebenbei bemerkt zur Fröhlichkeit des Menschen bei. Denn so und nur so kann er den Charakter einer verdrängten und im Nacken liegenden Angst verlieren.

Damit sind wir bei etwas Drittem: „Der Tod ist, sofern er ‚ist’, je der meine“, so Martin Heidegger in „Sein und Zeit“ (Pieper, 23). Was der Tod im Innersten ist, davon gibt es keine persönliche Erfahrung, weil wir es erst in unserem eigenen Sterben erfahren. Wovon wir Kenntnis bekommen, ist immer nur der Tod der anderen. Genau darin liegt auch die Möglichkeit zur Verdrängung des Todes. „Der Tod ist eine Angelegenheit der Anderen“, heißt es in Thomas Manns Zauberberg (Pieper, 28). „Ein jeder hält einen jeden für sterblich – außer sich selbst“, so ein Autor (Edward Youngs) des 18. Jh`s. (ebd.).

Dennoch gibt es etwas, das einer inneren Erfahrung des Todes zumindest nahe kommt: das ist die Erfahrung des Liebenden. Niemand erfährt das Furchtbare von Tod und Sterben so von Grund auf wie der, der liebt. Da, wo ein Mensch am tiefsten er selbst ist, nämlich als liebender, und zugleich den Tod eines geliebten Menschen erlebt, da wird es schier unmöglich, den Tod zu verdrängen. Und allein diese Erfahrung zeigt schon, dass zu einem wahren und tiefen Leben das Bedenken des Todes, insbesondere des eigenen Todes, untrennbar dazugehört.

Dies wird noch einmal klarer, wenn wir uns ein Viertes und Letztes vor Augen führen: Der Tod ist in einzigartiger Weise etwas Endgültiges. Was immer wir im Leben denken, reden, tun oder unterlassen, ist revidierbar. Genau das hört im Tod auf. Er setzt den Schlussstrich unter unser gelebtes Leben. Nun steht es unwiderruflich da in seiner Summe. Der Tod verendgültigt, was wir durch unser Leben und durch unser Sterben hindurch geworden sind.

Manche moderne Theologen sagen, dass wir im Augenblick des Todes eine Entscheidung setzen, die so radikal und wirksam wie keine zuvor in unserem Leben ist. Wie nie zuvor verfügen wir über unser ganzes Dasein und setzen entweder einen Akt der Bejahung, der Bejahung des Guten oder einen Akt der Verweigerung, der Entscheidung für das Böse. Demnach geschieht im Tod nicht nur „eine Tat“, sondern „die Tat“ schlechthin, woraus, wenn dies stimmt, sich leicht ergibt, wie fundamental für den Menschen als Menschen die ars moriendi, die Kunst des Sterbens ist.

 Wie schon gesagt, hängt sie nicht zum wenigsten davon ab, was ich glaube in Bezug auf das, was „danach“ kommt. Zunächst einmal fällt auf, dass die Kulturkreise der Menschheit untereinander eine große Ähnlichkeit aufweisen, was die Entwicklung der Vorstellungen bezüglich des Lebens nach dem Tod betrifft. Am Anfang steht, verwandt mit unserer Zeit, die Vorstellung: ein Freund der Götter ist, wer reich ist an Gesundheit, materiellen Gütern, langem Leben und vielen Kindern und Kindeskindern, in denen man selbst gewissermaßen weiterlebt. Hierin ähnelt die Frühzeit des Alten Testaments ganz dem, was etwa die Griechen denken. Lieber Bettler sein im Diesseits als König im jenseitigen Reich der Schatten, so drückt es der große Achilleus aus.

Dem ist allerdings hinzuzufügen: Trotzdem wird in keiner Kultur der Tod als totale Vernichtung der eigenen Existenz angenommen. Überall gibt es die Vorstellung eines Weiterlebens, ein gesamtmenschheitliches Wissen, eine Intuition, deren Selbstverständlichkeit erst unserem technischen Zeitalter abhanden gekommen ist.

Aber auch das bleibt zwielichtig. Weil es ein wie immer vorgestelltes Leben nach dem Tod gibt, wird dieses Geheimnisvolle mit allerlei Riten umgeben, die gleichzeitig als Toten- wie auch als Schutzriten zu verstehen sind. Diese sollen die Toten in ihrer Welt halten, damit sie nur ja nicht unheilvoll in die Welt des Lebens      hereinbrechen. Ahnenkult und Totenglaube sind die Begleiter der Menschen aller Zeiten und Orte. Daher sind die Gräber gleichsam die Straße in die Vergangenheit der Völker, wie wir es bei den Ausgrabungen hier in Garching ja gerade eben erst erleben.

Dieser Ahnenkult – das ist das Zwielichtige an ihm – hat die Tendenz, mit der Zeit alle religiöse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und den Hochgott zu einem „Deus otiosus“, zu einem unnützen Gott werden zu lassen, der gegenüber den Ahnen abzudanken hat. Nicht zuletzt das ist der Grund – das sei an dieser Stelle schon vorweggenommen – warum in Israel die Propheten dem Totenkult eine radikale Absage erteilten. Um den ausschließlichen Anspruch Jahwes und damit den Ein-Gott-Glauben zu wahren, galt es, den Ahnenkult kompromisslos auszuscheiden. Alles, was hier mit dem Tod zu tun hat, macht „unrein“ und damit kultunfähig, also unfähig zur gefeierten mit Gemeinschaft mit Gott. Ahnenkult ist verabscheuungswürdige Sünde.

Wie sieht nun die Todesvorstellung Israels aus? Zunächst einmal nimmt sie teil an den in den verschiedenen Kulturen begegnenden Vorstellungen. Die normale Erfüllung des Lebens ist, „alt und lebenssatt“ zu sterben, wie es immer wieder heißt, das irdische Leben also ausgekostet zu haben und die Kinder und Kindeskinder schauen zu dürfen, durch die man teilhat an den Verheißungen und der Zukunft, die Gott nur dem Volk insgesamt schenkt. Kinderlosigkeit und kurzes Leben erscheinen als Strafe Gottes, als Folge der Sünde.

Aber auch hier ist der Tod nicht einfach Vernichtung, das Weiterleben allerdings weniger ein Weiterleben als vielmehr ein trostloses Weitervegetieren. Es ist Leben im Nichtleben, dunkel, trostlos, ein Schattendasein im Reich der Kommunikationslosigkeit. Der ganze Abgrund der Nichtigkeit und Lichtlosigkeit zeigt sich darin, dass Jahwe dort nicht ist; daher wird Er dort auch nicht gelobt. So betet ein vom Tod Bedrohter in Psalm 88: „Ich bin zu den Toten hinweggerafft … an sie denkst du nicht mehr, denn sie sind deiner Hand entzogen … Werden Schatten aufstehen, um dich zu preisen? Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?“

Freilich wird an diesem Psalm auch deutlich, was Israel nun doch auch wieder heraushebt aus den Vorstellungen der anderen Völker. Der Beter dieses Psalms ist ein durch Krankheit schon vom Tod Gezeichneter. Für ihn sind Krankheit und Tod nicht einfach nur das drohende Aufhören der physischen Existenz, sondern ein in erster Linie geistiges Phänomen.

Tod ist Leben im Nicht-Leben, weil es Ferne von dem besagt, der das Leben selbst ist, Ferne von Jahwe. Das Fernsein von Jahwe kann aber auch schon das irdische Leben kennzeichnen, indem man außerhalb Seines Gesetzes lebt. „Hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor. Wenn du auf die Gebote des Herrn, deines Gottes, auf die ich dich heute verpflichte, hörst, indem du den Herrn, deinen Gott liebst, auf seinen wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben und zahlreich werden. Wenn du aber dein Herz abwendest und nicht hörst … dann werdet ihr ausgetilgt werden. … Leben und Tod, lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dtn 30, 15-19).

Leben ist hier Segen und Gemeinschaft, Gemeinschaft mit Jahwe und dem Mitmenschen; Tod aber ist Fluch und Beziehungslosigkeit, der Bereich der Gottferne, damit der Sünde. Das hat eine doppelte Konsequenz: schon der physisch lebende Mensch kann „tot“ sein, im Machtbereich des Todes gefangen sein. Äußerer Ausdruck dafür ist Krankheit und früher Tod als Folge der Sünde. Umgekehrt muss das aber auch zu der Frage führen, ob die Kraft der Gottesgemeinschaft nicht stärker sei als der physische Tod.

Hier ist nun die Einbruchstelle für die weitere Entfaltung des Nach-Tod-Glaubens in Israel. Die alte, bis zum 2 Jahrhundert v. Chr. verbreitete Auffassung von der Scheol als Totenreich, in das die Macht Jahwes nicht hineinlangte, sondern ihre Grenze fand, zeigt, dass die innere Konsequenz des Jahweglaubens noch nicht entfaltet war. Dass es einen Bereich jenseits des Einflussbereichs Jahwes geben könnte, musste mit der Zeit als ein innerer Widerspruch zum Gottesglauben Israels erkannt werden.

Doch diese Entwicklung vollzog sich in langsamen Schritten. Die Bücher Kohelet und Job sind wichtige Stationen auf diesem Weg. Beide Bücher enthalten auf je verschiedene Weise eine radikale Kritik am sog. „Tun-Ergehens-Zusammenhang, wie er vorhin deutlich wurde in der zitierten Stelle aus dem Buch Deuteronomium. Wenn du gut handelst, dann geht es dir gut, wenn schlecht, dann geht es dir schlecht. Dass diese Gleichung nicht einfachhin aufgeht, ist schlicht eine Erfahrungstatsache. Im Buch Kohelet führt dies zu einer tiefen Resignation und Skepsis bezüglich der Sinnhaftigkeit des Lebens. Wenn am Ende doch alle, Gute und Schlechte gleichermaßen, dasselbe Geschick ereilt – nämlich der trostlose Tod – ist dann nicht zuletzt alles gleichgültig und sinnlos? Wäre es dann nicht fast besser, überhaupt gar nicht geboren zu sein?

Diesen Schritt vollzieht Job. Er, der Gerechte, verflucht den Tag seiner Geburt, weil er vollkommen zu Unrecht Krankheit und Leid erfährt. Ein Höhepunkt seiner Streitrede mit Gott ist sicher jene Stelle, wo er an Gott als Erlöser, den er einmal mit Augen zu schauen hofft, appelliert (19,22-25) – eine der ältesten Stelle im Alten Testament, die so etwas wie eine Auferstehungshoffnung erkennen lassen.

Ein weiterer großer Vorstoß kam aus der Erfahrung des Exils. Dass Gott Sein Volk, das Er doch erwählt hatte, so verstoßen könnte, dass Er es zulassen könnte, verbannt zu werden auf fremde erde, fern vom Tempel, der Wohnung Gottes mitten in Israel, ja dass eben dieser Tempel zerstört werden könnte, wurde als etwas absolut Unfassbares erlebt. Aber genau dieses Erleben wurde zum Anstoß für die Vertiefung des jüdischen Glaubens. Mitten im Exil ersteht auf einmal die Gestalt des Gottesknechts. Krankheit, Tod, Verstoßung, Verurteilung als Verbrecher werden, weil es einen Gerechten trifft, als stellvertretendes Leiden begriffen. Was nach alter Vorstellung nur den Ungerechten treffen konnte, können zum weg dessen gehören, der ganz Gott zugehört und für die anderen die Tür zum Leben aufleidet und so für sie zum Retter wird.

Zeugen des sich so allmählich entwickelnden Auferstehungsglaubens sind vor allem die Psalmen. So heißt es in

Psalm 16: „Auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit. Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen … Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.“ Dass Gott stärker ist als die Scheol, wird hier schon sehr deutlich.

Noch tiefer führt Ps 73. Der Psalmist erlebt das Glück der Sünder, die reuelos die Früchte ihrer Bosheit genießen. Er wird geradezu irre an diesem Zynismus des Lebens und letztlich Gottes, er wird irre bis hin zur Versuchung des Verrats an Gott; all seine Frömmigkeit kann ihm nur noch als sinnlos und vergeblich erscheinen. Die Wende erfährt er im Tempel – also nicht durch angestrengtes Nachdenken und Philosophieren, sondern im aufschauenden Gebet zu Jahwe. In dieser Schau erkennt er das Scheinhafte, Nichtige und Erbärmliche dieses auf dem Bösen gegründeten Glücks. „Da sann ich nach, um das zu begreifen; es war eine Qual für mich. Bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes und begriff, wie sie enden. Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzt sie in Täuschung und Trug. Sie werden plötzlich zunichte, werden dahingerafft und nehmen ein schreckliches Ende, wie ein Traum, der beim Erwachen verblasst, dessen Bild man vergisst wenn man aufsteht.“ Und nun fährt er fort mit einer Erwartung, die alles Bisherige sprengt: „Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit. Was habe ich im Himmel außer dir? Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. Mag auch schwinden mein Leib – Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig … Gott nahe zu sein ist mein Glück.“

Die Kraft dieser Verse kann nach einem Wort des evangelischen Theologen Harnack nicht überboten werden. Hier ist einfach aus dem Inneren der Gotteserfahrung, des Gebetes und des Glaubens an eben diesen Gott die Gewissheit aufgestiegen: Gottesgemeinschaft ist stärker als der Zerfall des Leibes. Jahwe ist stärker als alle Todesmacht der Erde und der Scheol. Ohne Zweifel kommt in diesen Psalmversen das AT am meisten zu sich selbst, d.h. zur tiefsten Erkenntnis seines Gottglaubens und zugleich dem NT am nächsten.

Eine letzte Stufe der Entfaltung des Auferstehungsglaubens stellt die alttestamentliche Märtyrerliteratur dar. Die deutlichste Formulierung dieses Glaubens im AT ist zweifellos Daniel 12,2: „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen; die einen zum ewigen Leben, die andern zur Schmach, zu ewigem Abscheu.“ Daneben sind es vor allem das Weisheitsbuch und die Makkabäerbücher, die angesichts des Martyriums derer, die gegen jede Folter- und Todesdrohung am Jahweglauben festhalten, den Auferstehungsglauben formulieren.

So wird deutlich, dass es gerade die Erfahrung durchlittenen und bestandenen Leides ist, die zum Ort der Erkenntnis wurde, dass Gottes Macht stärker ist als alle Krankheits-, Leidens und Todesmacht dieser Erde. Den Höhepunkt dieser Erfahrung wird allerdings erst das NT im Geschick Jesu vor Augen führen.

Die Spätschichten des Alten Testaments kennen den Auferstehungsglauben, wiewohl er sich zur Zeit Jesu keineswegs allgemein durchgesetzt hatte. Die Sadduzäer sind jene Gruppe, die am althergebrachten Glauben der Scheol als Schicksal aller festhalten. Die Auseinandersetzungen Jesu mit dieser mächtigen jüdischen Gruppierung sind ja bekannt.

Das Neue des Neuen Testaments ist daher auch weniger ein neuer Gedanke zum Thema Auferstehung, sondern ein unerhört neues Faktum: Der gekreuzigte Herr ist auferstanden. Er, der Gerechte schlechthin, der zugleich Gott ist, hat in restloser Solidarität das Todesgeschick des Menschen geteilt und auf sich genommen und ist selbst in das unreine Land der Scheol hinabgestiegen. Mit diesem Hinabsteigen Jesu steigt Gott selbst in die Scheol. Und damit hört der Tod auf, das gottverlassene Land reiner Finsternis und erbarmungsloser Gottferne zu sein. In Christus ist Gott selbst eingetreten in den Bereich des Todes und hat den Raum zum Raum Seiner Anwesenheit gemacht. Das aber hat zur Folge: Die eigentliche und tiefste Scheidung verläuft nun nicht mehr entlang der Linie, die das physische Leben vom physischen Tod trennt, sondern entlang der Linie, die den an Christus Glaubenden und aus diesem Glauben Lebenden vom Nicht-Glaubenden scheidet. Wer an Christus glaubt, hat daher die Todesgrenze im Grunde schon überschritten, er ist schon angelangt im letztlich unzerstörbaren Leben, das Christus selbst ist. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11). Ja: „Wer glaubt, hat das ewige Leben“ (6,47). Und: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (17,3).

Ein schöner Gedanke, mit man gut aufhören kann an diesem ersten Abend der Fastenpredigten.

 Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2007  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de