Predigt vom 14. Januar 2007

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Achtsamkeit – und aktuelle Familienpolitik"
Predigttext

Zweiter Sonntag im Jahreskreis 14. Januar 2007
Les: Jes 62,1-5 ; 1 Kor 12,4-11
Ev: Joh 2,1-11

Achtsamkeit – und aktuelle Familienpolitik

 Vor dem Hintergrund des heutigen Familiensonntags einige Bemerkungen zum heutigen Evangelium: Das Erste, das auffällt, ist: Er, Jesus, der ehelos lebt, beginnt sein öffentliches Wirken auf einer Hochzeit. Das ist, zumal beim Verfasser des Johannes-Evangeliums alles andere als ein Zufall. Es zeigt die gegenseitige Bezogenheit beider Lebensformen von Ehe und Ehelosigkeit. Christliche Ehelosigkeit ist etwas vollkommen anderes als ein religiöses Single-Dasein. Der freiwillige Single – ich betone: freiwillig, da es ja auch nicht wenige gibt, die unfreiwillig allein bleiben – ist der, der keine Bindung aus Liebe eingehen will, sich selbst genug ist, dem die eigene Freiheit das Wichtigste ist und die Vermeidung entsprechender Verantwortung über alles geht.

 Christliche Ehelosigkeit dagegen ist nur christlich, wenn sie aus denselben Gründen motiviert ist wie eine Ehe: nämlich aus Liebe. Sie ist eine ganz eigene Form, eine ganz eigene Berufung, die Liebe zu Gott zu leben und diese Liebe weiterzugeben, nicht an eine Familie, sondern an die Menschen, zu denen Gott diesen Berufenen sendet.

 Dass wir Jesus, den Ehelosen, zu allererst als Gast bei einer Hochzeit antreffen, teilnehmend an der Freude dieses Festes, an der Freude des Brautpaares, ja zu dieser Freude durch das Weinwunder selbst beitragend, das zeigt die hohe Wertschätzung, die sowohl die Ehe wie die Ehelosigkeit (als Teilnahme an der Lebensform Jesu) von Anfang an im Christentum und in der Kirche auszeichnete. Beide ergänzen sich gegenseitig. Der Ehelose „um des Himmelreiches willen“ lernt bei Eheleuten und Eltern, dass Liebe zu Gott immer auch zu konkreter Liebe gegenüber konkreten Menschen werden muss. Eheleute lernen von Ehelosen, dass man über den Sorgen des Alltags, auch des Familienalltags, nicht die Liebe zu Gott und den Blick auf Ihn verlieren darf. Denn letzte Erfüllung findet unser aller Leben, ob wir so oder so leben, nur in Gott selbst.

 Schauen wir weiter auf das Evangelium. Das Zweite, das auffällt, ist die Achtsamkeit Marias, der Mutter Jesu. Welch unglaubliche Peinlichkeit für das vermutlich einfache und eher arme Brautpaar, wenn der Wein ausgegangen wäre. Maria fordert nicht, sagt nicht, was ihr Sohn tun soll, sie macht nur auf die Not aufmerksam.

 Achtsamkeit – mit ihr steht und fällt jede Ehe und jede Familie; mit ihr steht und fällt auch Familienpolitik. Aber eben diese Achtsamkeit fehlt dem, was man hierzulande Familienpolitk nennt, zumindest in hohem Maße. Achtsamkeit gegenüber den Schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft, gegenüber der Bedürftigkeit und den Bedürfnissen der Kinder.

„Kinder dürfen nicht länger ein Hindernis für Beruf und Karriere sein“ – so steht es im Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierung. Die Wortwahl – wie verräterisch, entlarvend, fast möchte man sagen: kinderverachtend. Auf die Frage: Wer sind Kinder? Was bedeuten sie uns? Erhalten wir die Antwort: In erster Linie ein Hindernis. Das ist nicht einfach so versehentlich hineingerutscht ins Regierungsprogramm, sondern das bestimmt weithin das gesellschaftliche Klima in unserem Land und führt dazu, dass unser Land weltweit das ungefähr fünftärmste an Kindern ist; dass wir an einer doppelten Kinderarmut leiden: die Geburtenzahlen innerhalb von vierzig Jahren halbiert, der Anteil der Kinder in der Sozialhilfe im selben Zeitraum verzehnfacht. Kinder werden von zu vielen angesehen als ein Hindernis zur persönlichen Selbstentfaltung sowie als das derzeit größte Armutsrisiko.

 Menschen, die Kinder als Hindernis zur Selbstentfaltung betrachten, bekommen in der Regel auch keine Kinder, sie arbeiten dafür gerne mal in Politik und Wirtschaft und wollen, dass andere Kinder bekommen, die sie dann vor allem als künftige Arbeitskräfte und Rentenbeitragszahler sehen. Kinder sind in dieser Sicht entweder Hindernis oder Funktion, Funktion im Wirtschafts- oder Rentensystem, aber nicht ein Wert in sich; das Kind einfach als Kind, das für seine gute Entfaltung unserer Achtsamkeit in hohem Maße braucht; ganz besonders in den ersten drei Jahren seines Erdendaseins.

 Jüngste Hirnforschungen an Kleinstkindern, Forschungen über die Mutterbindung während dieser ersten drei Jahre, beweisen eindeutig, wie unersetzbar in dieser Zeit gerade die Mutter ist, deren liebevolles Dasein für das Kind oder deren Fehlen Folgen für das ganze weitere Leben nach sich ziehen. Unter souveräner Missachtung solcher wissenschaftlicher Studien und Erfahrungen – z.B. kämpft das viel gerühmte Schweden mit den negativen Folgen der entsprechenden Politik – schafft das zum 1. 1. in Kraft getretene Elterngeld einen Anreiz, Kleinkinder just zum ungünstigsten Zeitpunkt ihrer Entwicklung fremden Händen zu übergeben, nämlich im Alter von 10-12 Monaten. Ich weiß, dass manche Mütter aus finanziellen Gründen nicht anders können. Mir geht es jetzt nur um den falschen und für Kleinkinder nachgewiesenermaßen schädlichen Anreiz, den die jüngste familienpolitische Maßnahme darstellt. Denn gerade in dieser Zeit wird die emotionale Entwicklung, die Entfaltung des Sprachzentrums, der Intelligenz, des Vertrauens, der Bindungsfähigkeit etc. in ganz entscheidender und, wie gesagt, für das weitere Leben prägender Weise grundgelegt.

 Der Leserbrief einer jungen Mutter aus Hamburg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor ein paar Tagen hat das Ganze auf den Punkt gebracht: „In Anlehnung an landwirtschaftliche Subventionspolitik könnte man es auch als Wurfprämie bezeichnen.“ Hauptsache, der Beitragszahler in spe ist gezeugt und geboren, schließlich abgestillt – dann nichts wie zurück mit der Mutter in den Arbeitsprozess und mit dem Kind in kollektive Fremdbetreuung.

 Natürlich, Eltern sollen hier in aller Freiheit selbst entscheiden. Aber Umfragen zeigen, dass die meisten Frauen gerade während der ersten drei Jahre lieber bei ihrem Kind bleiben und ihm selbst ihre Nähe schenken und seine Entwicklung mitverfolgen und miterleben wollen, wenn es finanziell machbar ist. Eine Gesetzgebung aber, die diese Mütter schlechter stellt als die in ihren Beruf zurückkehrenden, verdient nicht den Namen Familienpolitik, sondern ist Arbeitsmarktpolitik unter dem Deckmantel der Familienpolitik.

 Liebe Gemeinde!
 „Kinder dürfen nicht länger ein Hindernis für Beruf und Karriere sein.“ Genau umgekehrt wird ein Schuh, wird echte Familienpolitik daraus. Beruf und Karriere dürfen nicht länger ein Hindernis für Geburt und gute Erziehung sein, weil einen Menschen kaum etwas so reich macht an den eigentlichen Werten des Lebens wie Kinder, ein Reichtum der durch Beruf, Karriere und mehr Geld niemals ausgeglichen werden kann. Eine Politik, die sich entschieden zuallererst am Wohl und an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten würde; eine Politik, die den Beruf des Mutterseins als etwas der Erwerbsarbeit mindestens Gleichwertiges ansehen und honorieren würde; schließlich eine Politik, die Rahmenbedingungen schaffen würde, die es insbesondere Frauen erleichtern würde, nach einer Familienphase von drei oder auch mehr Jahren ins Berufsleben zurückzukehren – eine solche Politik würde den Namen Familienpolitik redlich verdienen.

 Schließen möchte ich mit einem Dank: mit einem Dank an meine Eltern, die meinen Geschwistern und mir die Geborgenheit einer Familie geschenkt und Achtsamkeit gelehrt haben. Ich möchte danken allen Eltern unter Ihnen, die Kinder mit Freuden und mit Sorgen groß gezogen haben und den Eltern, die dies bis heute tun und so einen unersetzbaren Beitrag zur Zukunft unserer alternden Gesellschaft leisten. Für alle Familien, für die ich im Hochgebet immer ganz bewusst bete, erbitte ich den reichen Segen Gottes.

Pfr. Bodo Windolf

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