Predigt vom 26. Dezember 2006  - 2. Weihnachtsfeiertag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Vergebung"
Predigttext

Zweiter Weihnachtsfeiertag (Hl. Stephanus) 26. Dezember 2006
Les: Apg 6,8-10 ; 7,54-60
Ev: Mt 10,17-22

Vergebung

„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34) Dies ist eines der letzten uns aus dem Mund Jesu überlieferten Worte, kurz bevor Er starb.

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ (Mt 6,12) So ist uns Christen aufgetragen zu beten im einzigen auf Jesus selbst zurückgehenden Gebet.

„Herr, wenn sich jemand gegen mich verfehlt, wie oft soll ich ihm vergeben? Bis zu sieben Mal?“ „Nein, nicht bis sieben Mal, sondern bis zu siebenundsiebzig Mal“ (Mt 18,21f) – also unbegrenzt. So die Antwort Jesu auf die Frage des Petrus.

„Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Mit diesen Worten auf den Lippen stirbt der hl. Stephanus den Märtyrertod.

Es gibt keine Religion, in der das Gebot zur Bereitschaft bedingungsloser Vergebung so tief verwurzelt ist und so sehr im Zentrum der Spiritualität steht wie im Glauben an Jesus Christus, dessen Geburt wir in diesen Tagen feiern. Wenn ich – wie es gelegentlich passiert – gefragt werde, woher ich denn die Gewissheit nehme, dass der christliche Glaube wahr ist und ob das, was wir glauben, nicht alles im Grunde menschliche Erfindung sei, fällt mir unter anderem auch die vom Evangelium unerbittlich geforderte Haltung einer letztlich grenzenlosen Vergebungsbereitschaft ein, ohne die ein Christ nicht wirklich Christ sein kann.

Die Einforderung einer solchen Haltung erfinden wir Menschen nicht, sie muss von weiter herkommen, weil sie uns aus unserem Eigenen so ungemäß scheint, so fern liegt und so überfordert, wie auch das jesuanische Gebot der Feindesliebe. Viel näher unserem menschlichen Empfinden liegt das sogenannte „ius talionis“, das talionische Recht, das das Alte Testament ausdrückt mit dem bekannten Wort: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ (Ex 21,24) Auch der Islam kennt es, etwa nach Sure 2, wo es um Blutrache geht: „O ihr, die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch die Wiedervergeltung im Mord: Der Freie für den Freien, der Sklave für den Sklaven, und die Frau für die Frau. Der aber, dem von seinem Bruder etwas verziehen wird, bei dem lasse man Güte walten; doch Entschädigung sei ihm reichlich.“ (2,173) Neben das hier für erlaubt erklärte altarabische Gesetz der Blutrache tritt die vorzuziehende Vergeltung durch Blutgeld. Wobei hinzuzufügen ist: Der eigentliche Sinn des „ius talionis“ ist nicht die Aufforderung zu Rache und Vergeltung, sondern deren Begrenzung; das heißt nicht schlimmer zu vergelten, als es dem angerichteten Schaden und dem verübten Unrecht entspricht.

Dieses „ius talionis“ entspricht, wie gesagt, unserem menschlichen Gerechtigkeitsempfinden, aber es lässt kaum Raum für Barmherzigkeit, die doch auch ein menschlicher Zug ist. Ja durchaus, wir haben einen Sinn für Barmherzigkeit, aber wohl nur bis zu einer bestimmten Grenze. Gibt es nicht himmelschreiende Sünden, die nach der Hölle schreien?, wie es der Religionssoziologe Peter L. Berger einmal ausdrückte (Auf den Spuren der Engel, 101); das heißt Sünden, die – so meint er jedenfalls – selbst Gott nicht vergeben kann, und wie soll es dann dem Menschen möglich sein? Denken wir an Vergewaltigung, Kindsmissbrauch, Folter, Beteiligung an einem Genozid oder einfach auch an Verletzungen, zum Beispiel in einer Ehe, unter Verwandten, Freunden, Bekannten, wo jemand sagt: Ich kann einfach nicht verzeihen.

Vielleicht kann uns hier der Begriff „himmelschreiende Schuld“ weiterhelfen. In alttestamentlichen Psalmen betet der Gläubige an verschiedensten Stellen, ja, er schreit betend zum Himmel: Gott der Vergeltung, schaffe du mir Recht, vergib du dem Bösen sein Tun (vgl. Pss 28; 94 u.a.)

Hier geschieht Ver–Gebung in einem zweiten Sinn des Wortes: Ich ver–gebe mein Recht auf Vergeltung an Gott, ich gebe es weg an Ihn, in dem Wissen, dass Er allein vergelten kann in einem nicht zerstörenden, sondern heilenden Sinn. Wo der Mensch Rache und Vergeltung in die eigene Hand nimmt, zerstört er – das ist eine Erfahrung, die wir allenthalben machen – andere, zerstört er möglichen Frieden, zerstört er nicht zuletzt sich selbst. Vergebung bedeutet also nicht einfach den gänzlichen Verzicht auf Sühne und Widergutmachung des Bösen, sondern gleichsam die „Delegierung“ dieses Rechtes an Gott – nicht zuletzt um des eigenen seelischen Gleichgewichts und Friedens  willen. Von Marie von Ebner-Eschenbach stammt der Satz: „Wir sollen immer verzeihen, dem Reuigen um seinetwillen, dem Reuelosen um unsertwillen.“

Wo ein Mensch vergibt – im beschriebenen doppelten Sinn des Wortes – durchbricht er den Kreislauf des Bösen, eröffnet er die Möglichkeit zum Frieden unter Menschen, findet er unfehlbar selbst zu seinem eigenen inneren Frieden und überlässt es Gott, überlässt es Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, mit dem Täter zu verfahren, wie recht ist und auch ihm hoffentlich zur Bekehrung und zum Heil dient.

Das zu vermögen, kann ein langer Weg sein, vielleicht auch für einzelne hier unter uns, die tiefe Verletzungen in sich tragen von den Eltern her, von Geschwistern, Freunden, Nachbarn, Berufskollegen, Chefs, vielleicht sogar auch von Vertreten der Kirche. Die einzige Möglichkeit – im Sinne des weihnachtlichen Festes des Friedens – diesen Frieden für sich selbst und vielleicht auch für andere zu finden, ist Vergebung.

Wie kann es gelingen, besonders dann, wenn sich alles in mir dagegen auflehnt?

Der erste Schritt ist immer eine Entscheidung: Ich will vergeben, selbst wenn ich es im Augenblick noch nicht kann. Ich will es zumindest irgendwann einmal können.

Ein zweiter Schritt könnte sein, anzufangen, für die betreffende Person zu beten, so wie es Stephanus in seiner Todesstunde getan hat. Solches Gebet fängt an, in der Wurzel die eigenen Gefühle und Verletzungen zu heilen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen; es vollzieht sich in einem manchmal längeren, manchmal kürzeren Prozess. Hier dürfen wir viel Geduld mit uns selbst haben, so wie sie auch Gott mit uns hat, wenn wir nur den Weg der Vergebung beschreiten. Das Gebet des hl. Stephanus für seine Mörder hat nicht nur ihn selbst in tiefem innerem Frieden sterben lassen, sondern als Frucht auch die Bekehrung des Saulus zum Paulus mit hervorgebracht, so dass aus einem fanatischen religiösen Verfolger und Mörder einer der größten Träger der Friedensbotschaft des Evangeliums wurde, ein Träger der Friedensbotschaft Jesu.

Ich bin sicher: den Weg bedingungsloser Vergebung, gerade dann, wenn er unsere eigenen menschlichen Kräfte übersteigt, können wir nur gehen im Glauben und in tiefster Verbundenheit mit Ihm, Jesus Christus, dem Friedensfürsten. Wer diesen Weg beschreitet, feiert nicht nur Weihnachten, sondern lebt Weihnachten, lebt die Botschaft des Engels an die Hirten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2,14)

Pfr. Bodo Windolf

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