Predigt vom 17. Dezember 2006  - 3. Adventssonntag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:
"Der Mensch auf der Suche nach Glück und Freude"
Predigttext

Dritter Adventssonntag (Gaudete) 17. Dezember 2006
Les: Zef 3,14-18a; Phil 4,4-7
Ev: Lk 3,10-18

Der Mensch auf der Suche nach Glück und Freude

Ich möchte den Gaudete-Sonntag zum Anlass nehmen, einmal ein wenig über unser Menschsein zu philosophieren und sie alle auf einen Gedankengang mitnehmen, der der Frage gilt: Wie glückt eigentlich Menschsein – und zwar in des Wortes doppelter Bedeutung: wie gelingt es und wie werden wir glücklich

„Alle Menschen streben nach Glück.“ 

Diesen Satz kann man über Jahrhunderte hinweg bis in den Wortlaut hinein gleich bei vielen Denkern und Philosophen finden: bei Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin, Blaise Pascal, Immanuel Kant, Sigmund Freud. „Alle Menschen streben nach Glück.“ Das ist eine Konstante menschlichen Daseins, eine Grundantriebskraft, die letztlich allem zu Grunde liegt, was wir denken, reden, tun oder unterlassen. 

So sehr auf der Hand liegt, dass wir alle glücklich werden wollen, so wenig liegt auf der Hand, wie wir zum Glück gelangen. So sehr alle darin übereinstimmen: „Ich will glücklich werden“, so wenig stimmen wir überein in der Frage: „Was ist denn der richtige Weg zum wahren Glück?“ 

Ja mehr noch: Die Menschheit stimmt nicht einmal darin überein, ob es wahres Glück überhaupt gibt. Denn das wahre, das eigentliche Glück dürfte nicht aufhören. „Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“, so drückt es Friedrich Nietzsche aus. Wenn das Erleben von Glück, von Freude zuletzt unwiderruflich zerstört würde, dann wäre Glück letztlich eine Illusion; ein Buddhist oder Hinduist würde sagen: Maya, Schein, Täuschung, ein Streben, das ständig in der Sackgasse der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit endet. 

Die Antike, die die christliche Hoffnung auf Auferstehung noch nicht kennt, hat diese Überzeugung in die Sage von König Midas gekleidet, der nach langer Jagd den weisen Silen gefangen nimmt, um von ihm zu hören, was denn für den Menschen das Beste und Vorzüglichste sei. Die höhnische Antwort lautete: „Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich, dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Ersprießlichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich: bald zu sterben.“

In unserer Zeit hat Kurt Tucholsky, der große Satiriker, der 1935 Selbstmord beging, es mit resignierendem Humor so formuliert: „Das größte Glück ist es für den Menschen, nicht geboren zu sein, aber wem passiert das schon?“ Mit anderen Worten: Wenn es ein letztes Glück nicht gibt, lohnt dieses leidgeprägte Leben hier auf der Erde gar nicht. Daher wäre es besser, nie gewesen zu sein. 

Im Buddhismus gründet eine der großen Weltreligionen auf der Überzeugung, dass das Leben insgesamt „Leiden“ ist – so lautet eine der vier Edlen Wahrheiten – weil alles momentane Glückserleben schon den Stempel der Vergänglichkeit, der Vergeblichkeit trägt, unweigerlich zerrinnend wie der Sand zwischen den Fingern. Erlösung besteht daher im Nirwana, wörtlich: im „Verlöschen“. Hier gibt es zwar Glück, das ebenfalls im Nicht-mehr-sein besteht, aber keinen Glücklichen, der dieses Glück auch erfährt. 

Wenn man von diesen Überlegungen aus auf die heutigen Lesungen schaut, dann sieht man, wie mit dem Aufkommen des Christentums eine ganz neue Grundstimmung das Lebensgefühl der gläubig Gewordenen prägt. Es herrscht nicht mehr, wie gerade auch zur Zeit Jesu, die Grundstimmung der Resignation und der Vergeblichkeit vor, sondern die eines tiefen Glücks und tiefer Freude; eine Freude, die Schmerz und Leid kennt, aber letztlich stärker, tiefer ist, und Licht noch in das äußerste Dunkel bringt, vor allem aber eine Glückshoffnung über den Tod hinaus. 

Dies zeigen in besonders schöner und eindringlicher Weise die gehörten Worte des heiligen Paulus an die Philipper: „Freut euch im Herzen zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich euch: Freut euch“, schreibt er nicht im Hochgefühl festlicher Stimmung, sondern aus dem dunklen, dreckigen Loch eines römischen Gefängnisses, vermutlich in Ephesus, den möglichen Tod vor Augen. (Dass er damit rechnen muss, äußert er im selben Brief.) 

Ich wage die Behauptung: Den wahren Christen erkennt man nicht zuletzt an der Freude, die er in sich trägt und daran, dass er diese Freude bewahrt auch mitten in großer Not, in Bedrängnissen, Krankheit, Leid, Schicksalsschlägen, oft natürlich durch schwere Krisen und Kämpfe hindurch. Ein Christ ohne Freude ist ein Widerspruch in sich. Ein zentrales Kennzeichen christlichen Lebens ist jene Freude, die mehr und anderes ist als die natürliche Lebensfreude, die natürlich auch ganz wichtig für uns ist; aber hier geht es um eine übernatürliche Freude, die allein Gott schenken kann und die aus dem Glauben, aus einem unzerstörbaren Vertrauen auf Gott, aus dem Gebet, nicht zuletzt auch aus der Quelle der Sakramente, der Eucharistie, der Beichte und aus der Quelle des Wortes Gottes fließt.  

Wie gelangt man zu dieser Freude, die aus dem Philipperbrief des Paulus so erfrischend herausbricht? 

Diese Frage richten im heutigen Evangelium die Menschen auch an Johannes den Täufer: „Was sollen wir tun?“, fragen sie dreimal und meinen damit: Was sollen wir tun, um das Heil, also das unvergängliche Glück zu erlangen? Was sollen wir tun, um heil, gerecht und damit zutiefst froh zu werden?

Die Antworten des Täufers Johannes lassen sich in etwa so zusammenfassen: Handle immer so, dass du das Wohl deiner Mitmenschen nie aus den Augen verlierst. Mit anderen Worten: Du musst immer auch und oft auch zuerst das Wohl und Glück des anderen wollen, um selbst glücklich zu werden. Erst die selbstlos liebende Hinordnung auf das Du schenkt dir gleichsam als Nebenprodukt, als Hinzugeschenktes dein eigenes Glück. 

An dieser paradoxen Grundwahrheit unseres Menschseins lässt sich, wie mir scheint, einer der ganz tragischen Grundirrtümer unserer Zeit festmachen. Viele halten ihr eigenes Glück für machbar und herstellbar und verwechseln dabei Glück und Freude mit Spaß und Erlebnis. Vor allem, wo Menschen das schnelle, möglichst leichte, das käufliche Glück suchen – hier zugreifen, da zugreifen, nie den letzten Schrei, die neueste Glücks- und Wellnessverheißung auslassen, man könnte ja etwas verpassen! – wo Menschen auf diese Weise von einem Kick zum nächsten Kick jagen, stellt sich fast unweigerlich irgendwann eine furchtbare innere Leere, Öde, Langeweile, Frustration bis zur Depression ein, so oft ertränkt in Alkohol, Drogen, Tabletten oder verdrängt durch eine Oberflächlichkeit, die sich den eigentlichen und tiefen Fragen unseres Daseins gar nicht mehr aussetzt und sich mit spießiger Selbstzufriedenheit begnügt. 

Natürlich gehören Spaß und Erlebnis zu unserem Leben und geben ihm Farbe. Wir dürfen nur nicht dem Fehler verfallen, beides für die eigentliche Quelle von Glück und Freude zu halten. Diese Quelle liegt nicht einfach in uns selbst, sondern in dem, der unser Ursprung ist, in Gott und in Jesus Christus, der gesagt hat: Alles, was ich zu euch gesprochen und euch aufgetragen habe, insbesondere die selbstlose Liebe zum Nächsten, soll euch helfen, dass „meine Freude in euch ist und eure Freude vollkommen wird“ (vgl. Joh 15,11). Weil wir alle, jeder Einzelne, Abbild eines Gottes sind, dessen Grundwort nicht ich, sondern Du ist, können auch wir nur über den (scheinbaren) Umweg des Du, über das Du Gottes und das Du des Mitmenschen, zu uns selbst kommen und zu jener Freude, die Paulus einpflanzen will in unseren Herzen durch seinen Zuruf: „Freut such im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich euch: Freuet euch!“

Pfr. Bodo Windolf

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