Predigt vom 2. April 2006  Misereorsonntag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Er hat durch Leiden den Gehorsam gelernt"
Predigttext

Fünfter Fastensonntag  2. April 2006 (Passions-/Misereor Sonntag)
Les: Jer 31,31-34; Hebr 5,7-9
Ev: Joh 12,20-33

“Er hat durch Leiden den Gehorsam gelernt” – Freiheit und Gehorsam

Es ist ein erstaunlicher, geradezu sensationeller Satz, der mitten hineingepflanzt ist in die Lesungen des heutigen Tages und aus ihnen wie ein steiler Felsen herausragt: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt.“ Fast auf jeder Seite des Evangeliums begegnet uns Jesus als Lehrer. An dieser einzigartigen Stelle aber begegnet Er unversehens als Lernender: „Durch Leiden hat Er den Gehorsam gelernt.“

Dass Jesus ein Lernender war, berichtet ansonsten einzig Lukas in Bezug auf seine Kindheit. Dass Er auch als Erwachsener ein Lernender war, wird nirgends so deutlich ausgesprochen, wie in diesem kühnen Satz aus dem Hebräerbrief.

Dieser Satz beginnt: „Obwohl er der Sohn war ... “. Als Sohn, als ewiger, göttlicher Sohn ist es Ihm vollkommen natürlich, gehört es zu Seinem Wesen, in vollkommener Einheit, in restlosem Zusammenklang mit dem Willen des Vaters zu sein. Aber diese Einheit des Willens nimmt in Seiner Menschwerdung die Gestalt des Gehorsams an. Denn einem Menschen ist es nicht natürlich und wesensgemäß, eins mit dem Willen Gottes zu sein. Er muss sich – in der Regel durch mächtige Versuchungen hindurch – immer wieder neu für Gottes Willen entscheiden und gegebenenfalls durchringen.

Die damit gegebene große Versuchlichkeit des Menschen, aus dem Willen Gottes herauszufallen, erlebt Jesus mit aller Macht am eigenen Leib. Vermutlich ist nie jemand so heftig versucht worden wie Er. Die Versuchungen in der Wüste nach Seiner Taufe und kurz vor Seinem öffentlichen Auftreten werfen ganz kurz ein Licht auf die inneren Kämpfe Jesu. Die furchtbarste, geradezu übermenschliche Versuchung erlebt Er am Ölberg. Alles in Ihm schreit, wegzulaufen, zu fliehen vor dem grauenhaften Leidensweg, der Ihm bevorsteht. Welche innere Kraft er brauchte, beten zu können: „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst“, werden wir sicher nie auch nur von Ferne ermessen können.

Ohne Zweifel hätte ein Beobachter damals nie auch nur eine Sekunde befürchten müssen, dass Jesus der Versuchung erliegen und ungehorsam werden, also aus dem Einklang mit dem Willen des Vaters hätte herausfallen können. Aber der innere Kampf, das innere Ringen und damit das Einüben, das buchstäbliche Erlernen dieses Gehorsams ist Jesus nicht erspart geblieben und ein zentraler Aspekt Seines wahren Menschseins. Daher kann derselbe Hebräerbrief auch schreiben: „Wir haben ja keinen Hohenpriester, der uns nicht verstehen würde, denn er ist in allem wie wir in Versuchung geführt worden, hat aber nicht gesündigt.“

Was war die Kraft, aus der heraus Jesus das vermochte? Der Satz unmittelbar zuvor, (also vor der von mir ausgedeuteten Stelle) gibt den Schlüssel, ist aber mit einer Schwierigkeit behaftet: die Einheitsübersetzung übersetzt die in bestem Griechisch geschriebene Stelle mit: „ ... er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden.“ Wörtlich und genauer müsste es heißen: „ ... aufgrund seiner Gottesfurcht wurde er erhört.“

Was im Menschen Jesus allen Raum einnahm, war Gottesfurcht, anstelle von Menschenfurcht. Nie begegnet uns in Ihm auch nur ein Anflug von Menschenfurcht, von Servilität Menschen gegenüber. Nie redet er irgendjemandem nach dem Mund. Nie denkt Er, sagt Er, tut Er, was man denkt und sagt und tut. In Jesus, der dem Vater restlos gehorsam ist, begegnet uns zugleich ein Mensch vollkommener Freiheit und Souveränität. Nie war ein Mensch gehorsamer gegen Gott und deswegen zugleich freier gegenüber sich selbst und gegenüber den Menschen. Nirgends eine Spur der Gebundenheit an persönliche Eitelkeiten, Vorlieben und Egoismen. Hier tut jemand vollkommen gehorsam und zugleich vollkommen frei einfach hin das Gute, indem Er den Willen des einzig Guten tut, den des Vaters.

Aber genau das lernt Er, der Sohn, indem Er es als Mensch einübt durch fürchterliche innere Kämpfe hindurch.

Und genau so kann Er uns ein Vorbild dafür sein, dass Gehorsam gegenüber Gott und persönliche menschliche Freiheit nicht nur kein Widerspruch sind, sondern einander bedingen. In dem Maße, wie ich Gott gegenüber gehorsam bin, im Einklang mit Seinem Willen, werde ich frei: frei von egoistischen Bindungen an mich selbst, frei von Verbitterung und Verzweiflung über Schicksalsschläge, die mich getroffen haben, frei von Süchten, frei von allem, was mich gefangen hält in mir selbst, frei dafür, mich zu verschenken an Gott und Mitmenschen.

Wer so sich einschwingt in die Lebensart Jesu, wird erlöst, gelöst, befreit, heil, - so wie es der letzte Satz der Lesung aus dem Hebräerbrief sagt: „ ... durch Sein Lernen hindurch zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, zum Urheber des ewigen Heils geworden.“


Pfr. Bodo Windolf

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