Predigt vom 29. Januar 2006  Bibelsonntag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Das Christentum ist keine Buchreligion im Gegensatz zum Islam
Predigttext

4. Sonntag i. J.(Bibelsonntag) 29. Januar 2006
Les: Dtn 18,15-20 ; 1 Kor 7,32-35
Ev : Mk 1,21-28

Das Christentum ist keine Buchreligion im Gegensatz zum Islam

Taufe im Jordan, letzte Fastenexerzitien in der Wüste von Judäa, Sammlung und Berufung der ersten Freunde und Jünger – nach diesen Stationen schildert Markus, wie gerade gehört, das erste öffentliche Auftreten Jesu an einem Sabbat in der Synagoge von Kapharnaum. (Vermutlich hatte man Ihn gebeten, das Wort an die versammelte Gemeinde zu richten.) Zweierlei wird darüber berichtet: dass Er lehrte und dass Er heilte.

Was Er lehrte, bleibt ungesagt; nur die Wirkung Seiner Worte wird mitgeteilt: Staunen, Betroffenheit, etwas unerhört Neues gegenüber dem Gewohnten, Altbekannten der Schriftgelehrten begegnet hier. Sie, die Schriftgelehrten, lehren und predigen nicht aus eigener Vollmacht, sondern mit einer nur geborgten Autorität. Denn ursprüngliche Autorität hat allein das Wort Gottes, im Jüdischen die Tora; die Schriftgelehrten haben Autorität insoweit, wie sie dieses Wort gültig auslegen. (Dies gilt bis zum heutigen Tag für jeden Prediger.)

Bei Jesus verhält es sich anders: Er predigt nicht aus verliehener, sondern aus ganz und gar eigener Autorität, mit göttlicher Vollmacht, wie Markus betont, und die Zuhörer spüren das.

Was ist hier das Neue? Es besteht darin, dass die Selbstoffenbarung Gottes, die Weise, wie Gott sich hier zeigt, nicht mehr im niedergeschriebenen Buchstaben, also in heiligen Schriften besteht, sondern in einer lebendigen Person.

Am heutigen Bibelsonntag können wir es uns nicht bewusst genug machen, dass das Christentum eben nicht, wie oft behauptet, zusammen mit Judentum und Islam eine Buchreligion sei.

Werfen wir einen kurzen Blick auf den Islam, um den Unterschied aufzuzeigen. Der Islam ist eindeutig eine Buchreligion. Hier sendet Gott, Allah, mittels des Erzengels Gabriel als diktierendem Überbringer und des Propheten Mohammed als aufschreibendem Empfänger ein Buch zur Erde, den Koran. Der Sinn dieses Buches ist weniger die Selbstoffenbarung Allahs, als viel mehr die Rechtleitung des Menschen. Es gibt in erster Linie nicht Antwort auf die Frage: Wer ist Gott? Denn Gott bleibt ein restloses Geheimnis, der Abstand zwischen Gott und den Menschen wird immer wieder neu und über die Maßen betont und eingeschärft. Die Frage ist vielmehr: Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben? Daher ist Theologie im Islam ähnlich wie tendenziell schon im Judentum vor allem Gesetzesauslegung, Aktualisierung der niedergeschriebenen Vorschriften in die jeweilige Zeit hinein. Das Charakteristische des muslimischen Offenbarungsverständnisses ist darüber hinaus: Jeder Satz, jedes Wort, jeder Buchstabe, ja jedes Komma ist unmittelbar eingegebenes Wort Gottes. In der theologischen Fachsprache wird dies Verbalinspiration genannt.

Das bringt spezifische Probleme mit sich und macht u.a. auch die Schwierigkeit verständlich, die Interpretation des Koran in Einklang zu bringen mit dem, was wir unter Menschenrechten, Menschenwürde, Religionsfreiheit etc. verstehen und seine Wurzeln in unserer von Christentum und Aufklärung geprägten abendländischen Kultur hat.

Paulus schreibt einmal: „Der Buchstabe tötet“ (2 Kor 3,6). Das heißt: er tötet den Geist  im Sinne eines inneren Verstehens des Gemeinten. Manchmal – wir erleben es in unserer Zeit – tut er es auch wörtlich. Man mag darüber streiten, ob das Töten im Auftrag Allahs dem Geist des Koran insgesamt widerspricht oder nicht. Das nicht zu bewältigende Problem ist, dass das Töten von Ungläubigen zur Verteidigung des Islam in vielen Suren ausdrücklich erlaubt, legitimiert, bisweilen sogar gefordert ist. Diese Stellen sind nicht weniger Wort Gottes als andere, die eine gemäßigtere Haltung nahe legen. Für die allermeisten Muslime sind die entsprechenden Stellen irrelevant, was ihren persönlichen Glauben betrifft. Aber leider ist es kaum zu verhindern, dass sich immer wieder auch solche finden, die sich auf diese Stellen und nicht zuletzt auch auf das Beispiel des Propheten Mohammed berufen, der selbst als Krieger mit der Waffe in der Hand den Islam verteidigt und gefördert und verbreitet hat.

Gegenüber dem am Buch des Koran orientierten muslimischen Offenbarungsverständniss bekommt nun das christliche mit dem Auftreten Jesu einen ganz neuen und anderen Charakter. Natürlich gibt es auch für uns Christen heilige Schriften, die wir als geschriebenes Wort Gottes verehren. Auch in unseren heiligen Schriften gibt es sehr problematische Stellen, nämlich im Alten Testament, wo das Töten der Feinde Jahwes und Israels gerechtfertigt, ja sogar gefordert wird. Aber all diese Stellen sind überholt und nur zu interpretieren im Licht dessen, der das lebendige Wort Gottes in Person ist. Was im Alten Testament eigentlich gemeint ist, was sein eigentlicher Sinn und was darin also bleibend gültiges Wort Gottes ist, kommt endgültig erst in und durch Jesus Christus ans Licht. Er ist das Maß jeden geschriebenen Wortes der heiligen Schrift, insbesondere des Alten Testaments. Nur in Ihm und durch Ihn, nur in Seinem Geist - und das ist der Geist eines Menschen, der nicht getötet hat (im Gegensatz zu Mohammed), sondern getötet wurde - wird der Buchstabe der heiligen Schrift richtig ausgelegt. Das Alte Testament ist daher gewissermaßen geschriebenes Wort Gottes auf dem Weg zum endgültigen Wort Gottes in Fleisch und Blut.

Daher ist letztlich Christus, und zwar Er allein, die Offenbarung Gottes, das endgültige Wort Gottes in Menschengestalt; die Bibel aber ist das Wort Gottes in Schriftgestalt. Sie ist nicht selbst die Offenbarung, sondern nur Zeugnis vom Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes. Eine Offenbarung, die geschehen ist im Leben, Lehren, Handeln, schließlich im Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu. Selbstoffenbarung Gottes ist hier primär Tat, und erst sekundär Wort; primär Liebestat, bezeugt im Liebeswort der Schrift.

Genau das drückt der programmatische Titel der am vergangenen Mittwoch veröffentlichen Enzyklika Papst Benedikt XVI. aus: „Gott ist die Liebe“ Dieser Titel ist ein Schriftwort aus dem 1. Johannesbrief. Weil Gott Liebe ist, hat Er die Liebe nicht nur gesagt oder niedergeschrieben, sondern getan. In eine Zeit hinein, in der der Name Gottes so missbraucht und zertreten wird, dass es geradezu dämonische Züge bekommt; „in einer Welt“ – um es mit den Worten des Papstes selbst zu sagen – „in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird“, soll die Entdämonisierung Gottes, wie sie uns im Antlitz Christi, dem fleischgewordenen Wort Gottes, begegnet, wie ein Fanfarenstoß in die Welt hineingerufen werden: „Gott ist die Liebe“.

Schließen möchte ich mit einem der schönen Sätze der Enzyklika: „Die Liebe ist dadurch, dass Gott uns zuerst geliebt hat, nicht mehr nur ein Gebot, sondern Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem uns Gott (sich offenbarend und uns heilend) entgegenkommt.“

Pfr. Bodo Windolf

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