Predigt vom 12. Juni 2005

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Wären wir in einer leidlosen Welt glücklicher als in unserer realen leidvollen Welt ?"
Predigttext

11. Sonntag i. J. 12. Juni 2005
Gottesdienst mit Krankensalbung
Les: Ex 19,2-6a; Röm 5,6-11
Ev : Mt 9,36-10,8

Wären wir in einer leidlosen Welt glücklicher als in unserer realen leidvollen Welt ?

Wo immer Jesus hinkam, haben Menschen ihre Kranken zu Ihm gebracht, in der Hoffnung, dass Er sie heile. Wo immer Er hinkam, hat Er sich dieser Hoffnung nicht verschlossen, sondern voller Mitleid, wie es im heutigen Evangelium ausdrücklich hieß, Gesundheit und Heilung geschenkt. Die Vollmacht, die Er Seinen zwölf Jüngern übertrug, bestand darin, neben der Austreibung unreiner Geister eben auch Krankheiten und Leiden zu heilen.

Die Heilung von Krankheiten gehört also in die Mitte des Lebens und der Verkündigung Jesu.

An dieser Stelle könnte man stutzig werden: Der menschgewordene Gott, der hier heilend über die Erde Palästinas wandert, hat, so glauben wir Christen, diese Erde erschaffen; diese Erde mit all ihrem Unheil, ihren Krankheiten und Leiden. Er, und niemand anderer.

Wenn man das bedenkt, kann man wohl mit Recht fragen: Sind die Wunderheilungen Jesu dann nicht doch kaum mehr als der recht zweifelhafte Versuch, eine missglückte Schöpfung an wenigstens ein paar Stellen zu reparieren? Ein bisschen Flickschusterei an einem ansonsten absolut missratenen Werk? Denn was sind schon die paar Kranke, die damals das Glück hatten, Seinen Weg zu kreuzen, im Vergleich zu jenen Heeren Kranker und Leidender, die dieses Glück nicht hatten und haben. Die Frage: Warum hat Gott nicht eine ganz andere, glücklichere Welt ohne Krankheit, ohne Leid und ohne den Tod geschaffen, findet in den wenigen Krankenheilungen Jesu keine Antwort – und doch drängt sie sich uns immer wieder auf.

An dieser Stelle möchte ich eine auf den ersten Blick vermutlich höchst befremdliche Rückfrage stellen:

Wäre eine Welt ohne Krankheiten und Leid und Tod wirklich eine glücklichere?

Wir alle kennen die Vorstellung vom Schlaraffenland, jenem leidlosen Märchenland, in dem einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, Faulheit höchste Tugend und Fleiß schlimmstes Laster ist. Es gibt darin keinen Misserfolg, aber damit natürlich auch nicht die Freude des Erfolges, die Freude erfolgreicher Mühe, Verzichte und Anstrengungen. Es gibt keine Mühseligkeit, aber damit auch nicht, wie schon das Wort sagt, die Seligkeit eines unter Mühe und Schmerzen erkämpften Sieges, zum Beispiel über eine Krankheit, einen Schicksalsschlag und so weiter.

Es gibt keine Krankheiten, aber damit auch nicht die beseligende Erfahrung von Menschen, die treu, liebevoll und bisweilen sich selbst verzehrend Hilfe und begleitende Nähe schenken. Es gibt keine inneren seelischen Kämpfe, aber damit auch keinerlei Mobilisierung unserer tiefsten, schönsten und reinsten menschlichen Kräfte, die in uns schlummern und oft erst geweckt werden, wenn wir eigenes Leid bestehen lernen und fremdes Leid begleiten und lindern.

Ich persönlich wäre mir gar nicht so sicher, ob wir, wenn wir die Wahl hätten, wirklich wohnen wollten im ersteren Land; also in einem Land, das geprägt ist vor allem von sinnlichem Genuss ohne jede Leiderfahrung. Lust könnten wir in einem solchen Land erfahren, natürlich – aber auch Glück und jene tiefe Freude, nach der wir uns alle in der Tiefe unserer Seele sehnen? Jedenfalls – so können und müssen wir es von unserem Glauben her sagen – gibt es Ostern und die Freude von Ostern nicht ohne den Karfreitag; ohne diesen schrecklichen Tag hätte Ostern eine restlos andere Qualität als jenes Ostern, das wir als Christen feiern und das durch den Karfreitag hindurchgegangen ist.

Auch der Himmel, der auf ein leidloses irdisches Schlaraffenland folgen würde, hätte eine restlos andere Qualität als jener Himmel, an den wir als Christen glauben und in den alles eingehen wird, was wir uns hier auf der Erde als dem Ort unserer Bewährung an innerer Größe durch Siege und Niederlagen hindurch erkämpft, erbetet und erlitten haben.

Ich will die These wagen: Um eines größeren Himmels willen hat Gott eine Welt erschaffen, in der es kraft seiner Zulassung soviel Krankheit und Leid gibt.

Vielleicht hat in unserer Zeit kaum jemand so glaubwürdig und symbolhaft der ganzen Welt die Würde eines kranken, leidenden und alternden Menschen vor Augen gestellt wie unser gerade verstorbener Papst Johannes Paul. Die Worte, die er in Yad Vashem im Gedenken an die unvorstellbaren Leiden des Holocaust gesprochen hat, konnten so überzeugen, weil sie nicht ein vor Kraft und Gesundheit strotzenden Papst, sondern ein selbst Leidender gesprochen hat. Viele, die gesagt hatten; dieser kranke, leidende, alternde Mann solle doch das Feld räumen und einem anderen, jüngeren und gesunderen Platz machen, haben zum Schluss wohl erkannt, dass gerade diese letzten Jahre des Papstes seine gewaltigste Predigt waren, nicht mit Worten, sondern mit dem Leben.

Gegen unseren westlichen Jugend- und Gesundheitskult, unseren Jugend und Gesundheitswahn hat er vielen Kranken und Alten durch sein Zeugnis die Würde wiedergegeben. Wenn einer seiner letzten Sätze mitten im Sterben war: „Ich bin froh, seid auch ihr es“, dann zeigt das: Am glücklichsten sind nicht unbedingt die, die von Krankheit und Leid stets verschont geblieben sind, sondern die, die Krankheit und Leid bestanden haben und daran gewachsen und gereift sind. Darin war er ein wahrer Jünger Jesu Christi.

Er, Christus, hat Kranke geheilt, und Er tut es auch heute. Dabei ist es natürlich eine große Freude, wenn wir Heilung, vielleicht sogar eine außergewöhnliche und unerwartete erfahren. Es geht hier also keinesfalls darum, Krankheit und Leid auf eine unangemessene Weise zu verherrlichen und zu idealisieren. Soweit es möglich ist, ist es sogar unsere Pflicht, zu heilen.  Aber natürlich wissen wir auch, dass dies nicht immer gelingt.

Die wenigen wunderbaren Heilungen Jesu können daher nicht mehr als nur Zeichen sein, nicht weniger, aber auch nicht mehr; Zeichen dafür, dass Gott einst alles Unheil unserer Welt verwandeln wird in Heilung und Heil. Aber die tiefere Antwort auf Krankheit und Leid hat Gott gegeben, indem Er selbst ein Leidender wurde; nicht leidlos über uns, sondern mitleidend an unserer Seite. Weil niemand geringerer als Er, Gott, es für uns an Ostern überwunden hat, haben wir Hoffnung: dass es keine sinnlose Krankheit, kein sinnloses Leid mehr gibt – und dass es einst überwältigender Freude weicht.

In der Krankensalbung steht Christus als Arzt und Heiland an unserer Seite, um uns zu heilen oder einfach nur, um uns zu stärken, dass wir unser Kreuz besser, leichter, vielleicht auch bereitwilliger zu tragen vermögen.

Pfr. Bodo Windolf

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