|
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf
Thema:
"Die
Sinnkrise unserer Zeit – Sinnentdeckung nach Viktor Frankl –
Christus, der Sinn in Person"
|
Ostermontag 28. März 2005
Les: Apg 2,14.22-33; 1 Kor 15,1-8.11
Ev: Lk 24,13-35 oder 28,8-15
Die Sinnkrise unserer Zeit –
Sinnentdeckung nach Viktor Frankl – Christus, der Sinn in Person
Sie haben alles auf eine Karte gesetzt
– und verloren. So könnte man die Stimmung der beiden einsamen Wanderer auf
dem Weg von Jerusalem nach Emmaus beschreiben. Von einem Tag auf den anderen war
ihr ganzer Lebensentwurf zerbrochen. Was in der Gefolgschaft des Nazareners zu
ihrem Lebensinhalt geworden war, hatte sich brutalstmöglich als eine Illusion
erwiesen. All ihre Hoffnungen zerplatzten wie eine Seifenblase.
Was erwartete sie daheim? Der Spott der Familie, der Spott des Dorfes! „Seht
sie euch an, die Traumtänzer: Dieser Prophet aus Nazaret, für den sie alles
stehen und liegen gelassen haben, war ein Blender. Einem Hochstapler sind sie
aufgesessen. Das haben wir doch gleich gesagt.“ Die innere Befindlichkeit der
beiden Emmausjünger könnte man in der Sprache moderner Psychologie als eine existentielle
Frustration und Sinnkrise bezeichnen. Nach all den hochfliegenden Hoffnungen
und Plänen zurückkehren in das alte dahindümpelnde Leben? Das macht doch
keinen Sinn!
Liebe Gemeinde!
Existentielle Frustration, Verlust des
Lebenssinnes sind Phänomene, die zur Signatur unserer Zeit geworden sind, ein
immer weiter sich verbreitendes Krankheitsbild unserer modernen westlichen
Wohlstandszivilisation. Die Gründe sind in der Regel sehr viel alltäglicher
als im heutigen Evangelium: Verlust des Arbeitsplatzes, Scheitern der Ehe,
Zerbrechen der Familie, Vereinsamung als Single, die Erkenntnis, wofür ich lebe
und gelebt habe, ist im Grunde hohl und leer. Und so stellt sich denn auch für
nicht wenige das Gefühl innerer Leere und Sinnlosigkeit des ganzen Lebens ein.
Die Folgen: Arbeitsunlust, Depressionen, Lebensmüdigkeit, Süchte, Apathie,
Langeweile, Alkoholismus, und so fort.
Ein Mann, der diese Zeitdiagnose wie wenige andere erkannt, analysiert und
daraus eine ganz neue psychotherapeutische Schule entwickelt hat, nämlich die Logotherapie,
wäre vorgestern hundert Jahre alt geworden. Es ist der 1997 verstorbene jüdische
Neurologe und Psychiater Viktor Frankl. Der Existentiellen Frustration – in
der er übrigens nichts krankhaftes sah, sondern nur die gesunde
Reaktion eines Menschen, dem ein tragender Lebenssinn abhanden gekommen ist,
was dann allerdings in der Folge zu tiefer seelischer Krankheit führen kann –
der existentiellen Frustration eines Menschen zu begegnen, indem ihm zu eigenständiger
Sinnentdeckung geholfen wird – so könnte man seinen therapeutischen
Ansatz in aller Kürze umschreiben. Entscheidend ist: man muss ihn entdecken, den Sinn einer
bestimmten Lebenssituation, und man darf nicht blind sein für ihn.
Von den beiden Jüngern im Evangelium hieß es nun allerdings, dass sie wie mit
Blindheit geschlagen waren. Wer ging mit ihnen? Für wen waren sie blind? Für
niemand anderen als den, den der Evangelist Johannes als den Logos
– also, wie man übersetzen
kann, als den Sinn in Person – bezeichnet hat. Mit anderen Worten: der Sinn selbst war ihr unerkannter Begleiter.
Das bedeutet: Den Lebenssinn – wir müssen ihn nicht weit weg irgendwo ganz
anders suchen; vielmehr geht er oft unerkannt und nur unentdeckt einher mit
unserer je eigenen Lebenssituation. Frankl hat das den Aufforderungscharakter
eben dieser je eigenen Lebenssituation genannt. In seinem Büchlein
„...trotzdem Ja zum Leben sagen“ – in dem er, der unter den Nazis mehrere
Konzentrationslager erlitten hat, das damalige entsetzliche Erleben
psychologisch analysiert und deutet – schreibt er: „Wir müssen
lernen...dass es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben
noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns
erwartet!“ (S. 124f) Die eigene Lebenssituation, ob wir sie gewählt haben
oder nicht, selbst wenn durch sie unser ganzer Lebensentwurf durchkreuzt,
gleichsam gekreuzigt worden ist; also nicht ein erträumtes
Leben, sondern diese meine konkrete Lebenssituation als Anfrage an mich begreifen, auf die ich die rechte Antwort geben und entdecken soll – das ist der Weg, der
nach Viktor Frankl aus der Sinnkrise herausführt.
Diese Antwort müssen wir selbst
finden und entdecken, aber wir müssen es nicht allein. Begleitende Menschen sind in der Regel hilfreich und
notwendig und unersetzbar. Aber darüber hinaus ist der beste
„Psychotherapeut“ wohl der, der den Jüngern von Emmaus unterwegs die
Schrift und das Leben ausdeutete und den sie schließlich erkannten, als er
ihnen das Brot brach.
Die Sinnkrise unserer Zeit ist nicht zuletzt auch eine Gotteskrise,
nämlich der Verlust Gottes als Den, der allein letzten Sinn zu geben
vermag. Der unerkannte Begleiter der Emmausjünger, der auferstandene Jesus
Christus, ist der, der das restlose Scheitern, das Erleben absoluter
Sinnlosigkeit freiwillig auf sich genommen hatte; denn mit der Frage
„Warum?“ auf den Lippen war Er gestorben. Aber Er, der wahre Logos, hat
dieses irdisch gesehen restlose Scheitern verwandelt
in den Sinn unserer Erlösung. Und
genau das vermag Er für jeden, der sich Ihm glaubend, vertrauend, betend
anvertraut.
Jeden Sonntag, wenn Er auch uns das Brot bricht, jenes Brot, in dem er
sichtbar-unsichtbar unter uns gegenwärtig ist – sichtbar dem Glaubenden –
feiern wir den Sinn unseres eigenen Daseins und des Daseins insgesamt: nämlich
die Verwandlung von Schuld in Vergebung, von Trauer in Freude, von Sinnlosigkeit
in Sinn, von Tod in Leben, von Untergang in Auferstehung.
Pfr. Bodo Windolf
|
© copyright 2005
WebMaster: Herbert Bauernfeind webmaster@bauernfeind-web.de
|