Predigt vom 30. Januar 2005 (Übertragung Deutschlandfunk)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Seligpreisungen / Bezug zur Flutkatastrophe"
Predigttext

Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis Lj. A (30. Januar 2005)
Lg.: 1 Kor 1,26-31
Ev.: Mt 5,1-12a

Vermutlich stehen uns allen die furchtbaren Bilder der Flutkatastrophe noch sehr lebendig vor Augen: Verwüstung, Chaos, Zerstörung, vor allem aber trauernde, weinende, entsetzte, von einer Sekunde auf die andere von furchtbarem Leid  überrollte Menschen. Freilich – wir müssen von Trauer und Leid erfüllte Menschen gar nicht in so weiter Ferne suchen. Manche von uns hier in der Kirche (oder am Radio) kennen solche persönlich oder sind sogar selbst betroffen.

Und nun hören wir Jesus im Evangelium sagen: „Selig die Trauernden …“ Ist das nicht purer Zynismus, geradezu Hohn – von Leid geplagte Menschen selig zu preisen?

Ein Ausweg, gleichsam zur Ehrenrettung Jesus, könnte sein, Er habe eigentlich nur sagen wollen: „Selig werden die sein, die jetzt trauern“; irgendwann später also, vielleicht erst im Himmel, im Jenseits, aber immerhin. Bei näherem Hinsehen macht das die Sache kaum besser; denn es liefe auf eine reine Vertröstungsideologie hinaus: Im Himmel wird alles schon wieder gut werden. So billig speist Jesus sicher keinen Leidenden ab.

Es bleibt also nichts anderes übrig, als den Satz, so wie er uns aus Jesu Mund überliefert ist, stehen zu lassen und seine Herausforderung anzunehmen. „Selig die Trauernden ...“, offensichtlich schon hier und jetzt. Was könnte Jesus damit gemeint haben?

Einen Zugang bietet uns am ehesten wohl der erste Satz der Seligpreisungen, der der Schlüsselsatz zum rechten Verständnis der ganzen Rede Jesu ist: „Selig die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Wer sind diese „Armen vor Gott“? Einen Hinweis gibt uns die heutige Lesung, denn ganz ähnlich wie in den Seligpreisungen werden auch hier die irdischen Maßstäbe einfach auf den Kopf gestellt. „Das Schwache und das als töricht Geltende, das Niedrige, Verachtete und von allen als gering Angesehene – das hat Gott erwählt, um das, was sich als weise und stark und maßgeblich ausgibt in unserer Welt, zuschanden zu machen.

Nun wäre es eine grobe Täuschung zu meinen, diese sog. Schwachen seien vor allem die Menschen mit niedrigem IQ, die „Underdogs“, die „Loser“, die Lebensuntüchtigen.

Nein – gemeint sind all jene, angefangen von den Klügsten und Begabtesten, die wissen: Es gibt nichts, was ich nicht empfangen hätte; nicht einmal das nackte Leben habe ich mir selbst geben können. Daher stehe ich im Grunde immer arm und mit leeren Händen vor Gott. Denn alles, was ich habe und was ich bin – letztlich verdanke ich es Ihm. Auch das, was ich leiste, worin ich vielleicht sogar Großes leiste, beruht auf einem Zuvor-beschenkt-worden-Sein. Und daher bleibe ich auch in Zukunft angewiesen auf Gott und Seine schenkende Güte.

Diese Wahrheit unseres menschlichen Daseins: dass Gottes Reichtum unsere menschliche Armut füllen muss mit Talenten, Kraft, Gnade, Barmherzigkeit, Vergebung, ewiges Leben und so vielem mehr; sowie die Wahrheit, dass wir eben nicht alles im Griff haben, was unser Leben betrifft – erfährt niemand so unmittelbar wie jemand, der von einem schweren Leid oder vom Tod heimgesucht wird. Natürlich gibt es auch die, die an einem Leid zerbrechen, ihren Glauben verlieren, sich verbittert in sich selbst verschließen. Aber denen stehen die Unzähligen gegenüber, die aus dieser Erfahrung von Armut und Ohnmacht heraus sich neu und oft viel tiefer als zuvor für Gott öffnen. Wenn  ich daher anfange, Gott einzubeziehen in meine Gebrechen, Nöte, Ängste und Leiden, dann ist diese Herbeirufung des Heils schon der Beginn neuen Heils.

So müssen wir also in Jesu Satz das Folgende mitdenken: „Selig die Trauernden, die in ihr Leid Den hereinrufen, der ihnen darin Anker, Halt, Kraftquelle, Trost und Hoffnung ist; Hoffnung auf Es-tragen-und-ertragen-Können, Hoffnung auch auf Überwindung. Nie und nimmer preist daher Jesus das Leid oder den Zustand des Leidens selbst selig; wohl aber das Sich-öffnen auf den hin, der mitten darin Heil und Heilung schenken kann.

Diese Auskunft ist natürlich keine Antwort auf die Frage: Warum gibt es überhaupt so viel Leid auf der Erde. Sicher reißt es viele heraus aus einem oberflächlichen Dahinleben, aus der Selbsttäuschung, man habe sich selber und das ganze Leben schon im Griff; und oft entdeckt man ja auch im Nachhinein, wozu etwas gut war für das eigene Leben oder das Leben anderer. Aber all das genügt nicht als Erklärung. Doch wichtiger, als Leid zu verstehen und es „einzupacken“ in irgendwelche abstrakte Erklärungen, ist, es zu bestehen – und die Quellen zu kennen aus denen heraus dies gelingen kann.

Für einen Christen ist die entscheidende Kraftquelle, die sich uns anbietet, Jesus selbst. Zunächst einmal einfach deswegen, weil man wohl nur Ihm die Seligpreisungen auch abnimmt. Denn bei Ihm sind sie gedeckt durch Sein gelebtes Leben. Sie sind ein getreues Abbild, ja wie eine Biographie seiner Person. Und daher konnte auch niemand außer Ihm einen solchen Satz sagen wie den: „ Selig die Trauernden ...“ Jesus konnte ihn sagen, weil Er mehr und unschuldiger gelitten hat als jeder andere Mensch und daher weiß, wovon Er spricht. Er konnte ihn sagen, weil er als Mensch zugleich Gott ist, der das Heil und den Segen Gottes hineingetragen hat in jegliches Leid, indem Er selbst darin eingetaucht ist. Und Er konnte ihn sagen, weil Er alles Leid und auch den Tod überwunden hat in seiner Auferstehung. Die Seligkeit der Trauernden und Leidtragenden hat Jesus in seiner Passion sicher nicht gefühlt, aber sie war ungefühlt (objektiv) gegenwärtig, da Er alles, was Ihm widerfuhr, geborgen wusste in dem Willen und in der Zulassung des Vaters. „Abba, lieber Vater, nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“ Wer in der Nachfolge Jesu sein Schicksal so anzunehmen lernt und eingeborgen weiß in die verwandelnde Segenskraft der göttlichen Liebe – und dies kann oft ein schwerer und lang zu erkämpfender Weg sein, bis man dahin gelangt, vor allem dann, wenn man diese Liebe einfach nicht mehr spürt – den preist Jesus selig.

An dieser Stelle kommt nun auch die Zukunft, also das Leben nach dem Tod ins Spiel; nicht im Sinne von Vertröstung, sondern im Sinne echten Trostes. Wenn Leid und Tod das letzte Wort hätten in unserer Welt, dann könnte es die Seligkeit, von der Jesus spricht, gar nicht geben. Dies ist nur möglich, wenn wir die berechtigte Hoffnung haben dürfen, dass einmal „alle Tränen getrocknet werden“, und zwar, wie es das letzte Buch der Bibel beschreibt, von Gott selbst. Nur weil Jesus weiß, dass Er den Tod töten und alles Leid überwinden und dass daher das letzte Wort Er selbst haben wird (um nicht zu sagen, dass Er es ist; denn Er ist Freude, Leben, Erfüllung in Person) – nur deswegen konnte er die Seligpreisungen verkünden.

Diese Seligkeit und dieser Trost beginnen nicht erst im Jenseits, sondern – das ist das Entscheidende – für den Glaubenden schon hier und jetzt. „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden“; einmal endgültig und unverlierbar in der Seligkeit Gottes.

Pfr. Bodo Windolf

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