Predigt vom 26. Dez. 2004 (2. Weihnachtsfeiertag)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Staat und Religion"
Predigttext

Zweiter Weihnachtstag 26. Dezember 2004
Les: Apg 6,8-10; 7,54-60
Ev: Mt 10,17-22

1992 führte der französische Sozialist und damalige Kommissionspräsident der Europäischen Union Jaques Delors in einer Rede folgendes aus: „Wenn es uns nicht gelingt, unserem Kontinent wieder eine Seele zu geben, verlieren wir den Kampf um Europa ... Hierbei spielen Kirche und Religion eine wesentliche Rolle.“

Am 12. November dieses Jahres schrieb Gustav Seibt, ehemaliger Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in einem Leitartikel der Süddeutschen Zeitung über „den aus verschütteten Tiefen wieder zurückkehrenden Horror des laizistischen Europas vor der Religion.“ Europa habe eine Geschichte religiöser Gräuel hinter sich; und die Freiheit, den Papst und die Kirche und selbst Gott ungestraft zu kritisieren, habe sich Europa mit Strömen von Blut erwerben müssen.

Erst kürzlich war unser Bundeskanzler mit der Bemerkung zu vernehmen, welcher Fortschritt es sei, dass politische Entscheidungen nicht mehr religiös begründet würden.

Ich möchte den Zitatenreigen beschließen mit dem viel zitierten Satz des Verfassungsrechtlers Ernst Wolfgang Bockenförde: „Der freiheitliche säkularisierte Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Vier Zitate, die zwei unterschiedliche Positionen über das gewünschte Verhältnis zwischen Staat und Religion, säkularisierter Vernunft und religiösem Glauben erkennen lassen. Um eine gute Zukunft für Europa zu gewährleisten, vertreten die einen eine strickte Trennung beider, während die anderen eine gegenseitige Verwiesenheit aufeinander betonen.

Wenn wir auf das heutige Fest des heiligen Erzmärtyrers Stephanus blicken, könnten sich eigentlich zunächst einmal die bestätigt sehen, die Religion tendenziell mit Gewalt und Intoleranz einhergehen sehen. Der Mord an Stephanus, der den Untergang des jüdischen Tempels zu Jerusalem prophezeit und seinen Glauben an Jesus Christus bekannt hatte, war im Wesentlichen religiös begründet.

Das Seltsame am Christentum ist überhaupt, dass es nicht zum wenigsten aus religiös begründeter Gewalt heraus allererst entstanden ist. Denn der Justizmord an dem, dessen Geburt wir in diesen weihnachtlichen Tagen feiern, ist integrierender Bestandteil des christlichen Glaubens; freilich nur so, dass dieser brutale Tod Jesu gedeutet wird als Erlösungstod; und Erlösungstod gerade deswegen, weil hier die Spirale religiöser und politischer Gewalt durchbrochen wurde von einer (nach unserem Glauben) gottmenschlichen Liebe, die sich gerade in ihrer gewaltlosen und ohnmächtigen Auslieferung an menschlichen Religions- und Politikterror als stärker erwies. In der Logik des Schicksals Jesu liegt daher auch, dass Christen in den ersten drei Jahrhunderten so wie Stephanus Opfer religiöser und politischer Gewalt waren, nicht Täter.

Dass sich dies mit der konstantinischen Wende änderte und Christen auch zu Tätern religiöser Gewalt wurden, ist nur allzu bekannt. Freilich ist das nur eine Seite der Geschichte des christlichen Europas. Über Schlagwörtern wie Kreuzzüge, Religionskriege und so weiter wird die Humanisierung des Menschen, der Gesellschaft, auch der politischen Gewalt durch die geistig-religiöse Kraft des Christentums nur allzu oft unterschlagen; eine humanisierende Kraft, die auf ihren Gründer Jesus Christus zurückgeht. Und genauso wird oft unterschlagen, wie viel Blut in Europa vergossen wurde im Namen einer säkularisierten Vernunft, die sich vom christlichen Glauben gänzlich losgesagt hatte. Der erste Genozid der Neuzeit fand mitten in der Zeit der Aufklärung im Gefolge der französischen Revolution an den Bauern der Vendée statt, die zu Zehntausenden abgeschlachtet wurden, als man zur selben Zeit die Göttin Vernunft in Notre Dame zu Paris auf den Altar erhob.

Die Geschichte Europas zeigt sehr deutlich: Glaube und Vernunft sind aufeinander verwiesen; beide können ohne den jeweils anderen Part sehr schnell zerstörerisch wirken. Glaube ohne Vernunft wird zu religiösem Fundamentalismus, der Gott und die Religion missbraucht, um politische Interessen durchzusetzen, wie wir es durch islamistischen Terror oder auch durch christlich-konfessionellen Terror wie in Irland erleben können.

Aber auch Vernunft ohne Glaube droht zu einem nicht weniger üblen Fundamentalismus zu mutieren, den ich den säkularistischen Fundamentalismus nennen möchte. Der Fall Buttiglione mag ein noch recht harmloses Beispiel sein für ein Opfer dieser Art des (Religion hassenden) Fundamentalismus. Bedrohlicher ist, wie der Gedanke der Menschenwürde und der unbedingten Achtung menschlichen Lebens mehr und mehr ausgehöhlt, mehr und mehr nur noch pragmatisch gehandhabt wird, vor allem was den Beginn und das Ende menschlichen Lebens betrifft.

Auch die Wertediskussion mit ihren Forderungen nach einem neuen Ethos der Nächstenliebe, der Bereitschaft, dem Gemeinwohl zudienen, und so weiter braucht eine Quelle, die von weiter herkommt als von einer gänzlich säkularisierten Vernunft.

Weihnachten ist das Fest, an dem wir feiern, dass der Logos, das heißt die göttliche Vernunft Mensch geworden ist, um durch ihr Reden, Wirken, Sterben und Auferstehen den Menschen zu humanisieren. Diese Quelle hat das christliche Europa entgegen allen auch bestehenden inhumanen Kräften immer auch geprägt, geformt und geleitet. An uns liegt es, ob diese Quelle ihre humanisierende Kraft auch weiterhin entfalten kann, hier in Garching, in unserem Land, in Europa, in der ganzen Welt.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2005       WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de