Predigt vom 31. Oktober 2004

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Wo stehen wir auf dem Weg zur Einheit der Konfessionen?"
Predigttext

31 Sonntag i. J., 31. Okt. 2004
Les: Weis 11,22-12,2; 2 Thess 1,11-2,2
Ev : Lk 19,1-10

Wo stehen wir auf dem Weg zur Einheit der Konfessionen? Zum 5. Jahrestag der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“

„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“, das war die Frage, die den jungen Augustinermönch Martin Luther fast bis zum Wahnsinn umtrieb. Das Bild eines zornigen Rächergottes, dem er trotz regelmäßiger Beichten, Bußübungen und Gebete niemals gerecht wurde, weil es daneben immer noch die inneren Dämonen gab, die ihn bedrängten – das Bild eines Gerechtigkeit einfordernden Gottes, vor dem es letztlich nur Versagen gab – stand ihm beständig vor Augen. Es fehlte ihm nicht an Menschen wie etwa sein Ordensoberer Staupitz, der ihn auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes verwies. Aber Luther war ein Mensch, der sich die Dinge nicht von außen sagen ließ, sondern von innen her erfahren musste. Und so brauchte es sein zutiefst persönliches Turmerlebnis, um zu verstehen, dass die Gerechtigkeit Gottes nicht primär die ist, die Er von uns fordert, sondern die, die Er uns schenkt. Die sogenannte lutherische Rechtfertigungslehre, die das Zentrum protestantischer Theologie ist, ist in ihrem Kern nichts anderes als das zur Theologie gewordene Turmerlebnis Martin Luthers.

Wozu diese Bemerkungen? Heute am lutherischen Reformationstag, jährt sich zum fünften Mal die Unterzeichnung der sogenannten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 in Augsburg, ein Meilenstein auf dem Weg der Bemühungen um die Einheit der Christen. Vor fünf Jahren haben die katholische Kirche und der Lutherische Weltbund offiziell erklärt, dass in der Frage der Rechtfertigungslehre, also in der Frage, wie wir das ewige Heil erlangen, ein fundamentaler Grundkonsens besteht, und dass die noch vorhandenen Differenzen in dieser Frage keinen kirchentrennenden Charakter mehr haben.

Damals vor fünf Jahren ist eindringlichst dazu aufgefordert worden, man müsse die Rechtfertigungslehre, weil kaum mehr jemand etwas damit anfangen kann, neu erklären. Ich will es anhand des heutigen Evangeliums in gebotener Kürze versuchen.

Zachäus ist als oberster Zollpächter ein durch Betrug, Erpressung und Halsabschneiderei reich gewordener Lump. Aus eigener Kraft würde er niemals herauskommen aus dem Sumpf seines nach irdischen Maßstäben angenehmen, vor Gott aber verpfuschten Lebens. Allein die Begegnung mit Christus schafft das Wunder seiner Bekehrung. „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden“, sagt Jesus. Reine Gnade, reines göttliches Geschenk ist die Rettung des Zachäus aus seiner sündigen Verlorenheit. Dabei ist klar: Der Zachäus aus dem Evangelium, das ich vorhin vorgelesen habe, heißt heute nicht Zachäus, sondern Bodo Windolf, N.N.; er trägt den Namen eines jeden von uns. Soweit in Kürze die klassische lutherische Rechtfertigungslehre.

Der Katholik bestätigt das alles zu hundert Prozent, aber er ergänzt noch: Wenn Zachäus nicht – und sei es auch nur aus Neugier – auf den Baum gestiegen wäre, um Jesus zu sehen; wenn er nicht auf den Ruf Jesu hin heruntergekommen wäre; wenn er Jesu Angebot, heute bei ihm zu Gast sein zu wollen, ausgeschlagen hätte; wenn er nicht gewollt hätte, dass Jesus ihm so nah kommen darf – dann, ja dann hätte Jesu Gnadenangebot niemals bei ihm ankommen und gar nichts ausrichten können. Es handelt sich hier um das nie ganz zu lüftende Geheimnis des Zusammenwirkens göttlicher Gnade – ja, wirklich alles ist Gnade – und menschlicher Freiheit. Diese Freiheit wird durch die Gnade nicht aufgehoben, aber ihr wird aufgeholfen. Wir sind nicht nur passives Objekt der Erlösung, sondern haben die Würde, mitwirkende Person im Prozess unserer Rechtfertigung und Heiligung zu sein.

Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ sieht in dieser fundamentalen Frage – Luther sagt sinngemäß: wenn es darüber keine Einigung gibt, bleiben wir auf ewig getrennt – einen Grundkonsens erreicht, auf dem sich weitere Schritte zur Einheit hin aufbauen lassen.

Wo stehen wir heute auf diesem Weg? Leider Gottes wird von nicht wenigen Ökumenikern eine furchtbar resignative und frustrierte Stimmung verbreitet; ich meine, vor allem deshalb weil man kaum mehr auf das schaut, was schon erreicht ist, sondern fast ausschließlich auf das, was noch nicht möglich ist: nämlich die Eucharistiegemeinschaft.

Was aber ist erreicht? Erreicht ist, dass evangelische und katholische Christen ganz selbstverständlich miteinander leben, arbeiten und vor allen beten, Gottesdienste feiern und vieles andere. Tiefste Gräben, die die konfessionelle Geschichte aufgerissen hat, bestehen nicht mehr. Wie viel hier geschehen ist, weiß der am besten, der nur dreißig/vierzig Jahre zurückblickt. In bezug auf die orthodoxe Kirche ist dies (zumindest teilweise) durchaus anders. Obwohl sich orthodoxe und katholische Christen theologisch viel näher stehen evangelischen Christen – sind die geschichtlichen Gräben noch so tief, dass es leider nach wie vor viel zu viele orthodoxe Würdenträger gibt, die niemals mit einem Katholiken auch nur beten würden.

Was sind die heute noch bestehenden Probleme (die in der Kürze einer Predigt natürlich nicht erschöpfend abgehandelt werden können). In einem Referat, das Kardinal Walter Kaspar auf dem diesjährigen Ulmer Katholikentag hielt, hat er vor zwei ökumenischen Utopien gewarnt. Die eine ist die der rabenschwarz sehenden Pessimisten, die überall nur Verbotsschilder aufrichten und am liebsten alles beim Alten lassen würden. Die anderen nennt er die, die einer  progressistischen Utopie verfallen sind und meint damit jene, die die noch herumliegenden, trennenden Mauerbrocken nicht sehen und auf die Nase fallen, weil man alle noch bestehenden Unterschiede nur für unnützes Theologengezänk „der da oben“ hält. Er bringt folgendes Beispiel: Man stelle sich vor, der katholische Pfarrer werfe den Tabernakel aus der Kirche heraus, weil er keinen Unterschied zu den Evangelischen will, oder der evangelische Pfarrer stellt einen Tabernakel in der evangelischen Kirche auf. „Der Aufruhr in beiden Gemeinden“, so Kaspar, „würde die leider noch bestehenden Unterschiede sehr schnell deutlich machen.“

Was zeichnet dagegen den wahren Ökumeniker aus, der weder Pessimist noch Utopist ist? Kaspar spricht von einer „geistlichen Ökumene“, die die Ökumene der Konsens suchenden Gespräche ergänzen muss. Wer sich geistlich nahe steht, ist dem Mit-Glaubenden auch über Konfessionsgrenzen hinweg nahe.

Den echten Ökumeniker aber zeichnet zunächst einmal das Leiden an der Trennung aus. Wem sie gleichgültig ist, steht außerhalb des Willens Jesu Christi, wie dies v.a. Joh 17 bezeugt. Weiter gehört dazu die Geduld und der Mut zu kleinen Schritten im Ringen um die Wahrheit. Kaspar sagt: „Wer immer gleich das Ganze und Letzte will, der wird am Ende nichts erreichen.“

Was steht diesem Letzten noch im Wege? Wiederum Walter Kaspar: „Die Grundvoraussetzung der Zulassung zur Eucharistie ist, ob man am Ende des eucharistischen Hochgebetes – das ja unter anderem die Glaubensgemeinschaft mit dem Papst und auch anderes enthält, wogegen Luther und Calvin heftigst protestiert haben – ehrlichen Herzens „Amen“ sagen kann: also: ja, so glaube und so lebe ich. Weil dies noch nicht möglich ist, „kann es für uns“ – Zitat Kaspar – „keine allgemeine offene Einladung zur Kommunion geben“, und er fügt sogar hinzu: „auch nicht für Katholiken“; denn der Glaube an die Eucharistie, regelmäßiger Besuch der Sonntagsmesse (nicht nur „regelmäßig“ an Ostern und Weihnachten) und Beichte im Fall schwerwiegender Sünde, was die Versöhnungsbereitschaft mit den Mitmenschen mit einschließt – all das sind nach wie vor notwendige Bedingungen für den rechten Empfang der heiligen Kommunion – damit wir uns nicht das Gericht essen und trinken, wie Paulus im 1 Brief an die Korinther schreibt.

Allerdings gibt es folgende Ausnahmen: Papst Johannes Paul schreibt, dass „in bestimmten Einzelfällen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung“ Nicht-Katholiken gespendet werden kann. „die sehnlich den Empfang der Sakramente wünschen, von sich aus darum bitten und den katholischen Glauben bezeugen“; mit den Worten Kaspars: die nach dem Hochgebet das Amen aus innerer Überzeugung sagen können.

Auf dem Weg zum Gipfel ist die letzte Wegstrecke die mühseligste. Einen weiten Weg sind wir schon gemeinsam gegangen, was uns mit Dankbarkeit und Freude erfüllen muss. Das Ziel echter und wahrer Einheit wird sicher nur Gott uns schenken können zusammen mit unserem Bemühen und Beten. Gegenseitiger Respekt und Wertschätzung der Reichtümern der jeweils anderen Konfession und die Bereitschaft sich damit auch beschenken zu lassen gehören sicher auch dazu. Papst Johannes Paul sagt, Ökumene bedeute gegenseitiger „Austausch von Gaben und Geschenken.“

Der fünfte Jahrestag der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre kann und soll uns auf diesem Weg ermutigen.

Pfr. Bodo Windolf

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