Predigt vom 17. Oktober 2004

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute"
Predigttext

29. Sonntag i. J.; 17. Okt. 2004 (Kirchweih)
Les: Ex 17,8-13; 2 Tim 3,14-4,2
Ev: Lk 18,1-8

Die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute

Erst kürzlich las ich die folgende Aussage eines Agnostikers: Man könne nun einmal Gott weder beweisen noch seine Existenz absolut ausschließen; die Sache bleibe offen. Dagegen sei er aber fest von der Existenz der Hölle überzeugt; denn es genüge ein Blick in den Fernseher, um zu sehen, dass es sie gibt.

Seltsame Feststellung: Wie kann man an die Hölle glauben, wenn man nicht an Gott glaubt? Doch bei näherem Zusehen wird man verblüfft bemerken: Diese Aussage ist ja geradezu eine präzise Definition dessen, was die Hölle ist. Hölle ist der Zustand der Abwesenheit Gottes. Wo Gott nicht ist, wo kein Strahl seines Lichtes mehr hineindringt in unsere Menschenwelt, da ist oder da droht Hölle. Eindringlichst hat uns das letzte Jahrhundert vor Augen geführt, dass der Versuch der Menschen, das Paradies auf Erden zu schaffen ohne Gott, in Wirklichkeit zur Hölle auf Erden führt.

Frage: Wohin sind wir mit unserer westlichen säkularisierten, mehr und mehr Gott verlierenden Zivilisation unterwegs? Müssen wir nicht feststellen, dass inmitten des Wohlstands unseres Landes doch immer mehr Menschen so etwas wie Hölle erleben: die Hölle von Vereinsamung unzähliger Singles und alter Menschen, die Hölle von Depression und Nervenkrankheiten, die Hölle von Alkoholismus und Drogensucht, die Hölle der Verwahrlosung besonders von Kindern und Jugendlichen, die Hölle eines gnadenlosen Konkurrenzkampfes, in dem der Große den Kleinen, der Starke den Schwachen frisst; die Hölle von Langeweile und Sinnleere, in die ein ausschließlich auf Spaß und Genuss setzendes Leben fast zwangsläufig führt. Und ist nicht gerade auch der Verlust und die weitgehende Abwesenheit Gottes im Leben so vieler Menschen ein nicht unwesentlicher Grund für all diese Höllen?

Konfrontieren wir diese Überlegungen mit der geradezu bangen Schlussfrage Jesu aus dem heutigen Evangelium: „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“ Diese Frage ist – das möchte ich am heutigen Kirchweihfest besonders herausstellen – geradezu identisch mit der Frage nach Kirche. Denn ohne Kirche gibt es keinen Glauben.

Ich weiß: Mit dieser Behauptung provoziere ich Widerspruch. In Gesprächen vor allem mit aus der Kirche Ausgetretenen kann ich nämlich immer wieder hören: Ich glaube; und ich kann glauben, auch ohne in der Kirche zu sein.

Doch das ist ein fulminanter Irrtum. Warum? Weil auch diese Menschen überhaupt erst durch die Kirche zum Glauben gelangt sind. Nur weil es Eltern, Lehrer, Pfarrer usw. gibt, die ihrerseits wiederum von Eltern, Lehrern, Pfarrern und so fort, also von der Kirche, den Glauben gelernt haben, gibt es den Glauben auch heute noch. Nur stoßen die Betreffenden die Leiter, auf der sie zum Glauben an Gott und Jesus Christus hochgestiegen sind, oben angelangt einfach von sich. Und so ist es eine reine Selbsttäuschung, zu meinen, ohne die Kirche, in der der christliche Glaube gelebt, gefeiert, gebetet und überliefert wird, könne es auf Dauer Glauben geben.

Damit aber stellt sich die Frage: Was ist denn eigentlich die Aufgabe der Kirche gerade in heutiger Zeit? Was schuldet sie den Menschen, der Welt, unserem Land, damit es hier auch noch in Zukunft Glauben gibt und das Licht Gottes zu uns dringen kann? Ich will sogar sagen: damit nicht mehr und mehr Hölle unter uns wird?

Ich möchte aus den heutigen Lesungstexten vier Aspekte herausarbeiten:

1. „Mein Sohn, lerne aus den heiligen Schriften, die dir Weisheit verleihen“, hieß es in der Lesung. Man könnte auch sagen: „... die deine Vernunft vernünftig machen“.

Es ist ein leider weitverbreitetes, aber wie ich finde, eher einfältiges Klischee, dass die moderne Wissenschaft und ihr Weltbild keinen Platz mehr lasse für Gott und den Glauben. Muss man die Vernunft ablegen, um glauben zu können? Papst Johannes Paul hat dieser Frage eine ganze Enzyklika gewidmet, betitelt „Fides et ratio“, „Glaube und Vernunft“, und darin schreibt er: „Der Glaube ist nicht Gegner der Vernunft, sondern Anwalt ihrer Größe.“

Es gilt gerade heute zu zeigen, dass es im Einklang mit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen weitaus vernünftiger ist zu glauben, als nicht zu glauben. Und es gilt zu zeigen, dass Glaube und Vernunft aufeinander angewiesen sind. Denn wo sie sich trennen, erkranken beide. Die Vernunft wird kalt und verliert ihre Maßstäbe. Sie steht in Gefahr, etwas nicht deswegen für gut zu befinden, weil es gut ist, sondern weil es nützlich ist. Das Gute nach dem Kriterium der Nützlichkeit für eigene Zwecke zu bestimmen und damit nach der Devise zu handeln, der gute Zweck heilige auch schlimme Mittel, erleben wir augenblicklich z.B. im Bereich des beginnenden und endenden menschlichen Lebens auf eine geradezu bestürzende Weise.

Aber auch der rein irrationale Glaube, der die Vernunft beiseite setzt, wird krank und macht krank. Welche Zerstörungen von kranker Religiosität ausgehen kann, erleben wir leider auch immer wieder und gerade auch in der Gegenwart.

2. „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht.“ Die Aufgabe der Kirche ist es nicht, mit aller Gewalt modern sein zu wollen und jedem neuen Schlenker des Zeitgeistes verzweifelt hinterher zu hecheln. Meist kommt sie ohnehin zu spät, der schon längst wieder weitergezogen ist. Die Wahrheit des Wortes Gottes, die Wahrheit des Evangeliums, die Wahrheit Jesu Christi gelegen und ungelegen zu verkünden, - das und nichts anderes ist ihre Aufgabe.

Und diese Wahrheit ist immer modern und unmodern gleichzeitig. Modern, weil sie die notwendige und notwendende Medizin einer jeden Zeit ist. Unmodern, weil sie immer auch ein Stachel im Fleisch jeder Epoche ist. Eine Kirche, an der sich der Zeitgeist nicht mehr reibt, weil sie sich ihm schon gänzlich gleichgeschaltet hat, verdient nicht mehr den Namen Kirche Jesu Christi. Auch Christus ist gekreuzigt worden, weil er für seine Zeit zu unmodern war. Wenn die Kirche auf Ablehnung stößt, weil sie unzähligen Unsinn und viel Krankes unserer Zeit nicht gutheißt und nicht mitmacht, ist sie daher in bester Gesellschaft.

3. „Da sagte Jesus den Jüngern, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen.“ Die Kirche schuldet den Menschen das Gebet. Ohne Gebet kann ein Christ kein Christ und die Kirche nicht Kirche sein. Ohne Gebet ist beides tot. Vielleicht scheitern ja auch so viele Pastoralpläne daran, dass sie zu sehr am Schreibtisch entworfen und zu wenig erbetet und im Gebet begleitet sind – gerade auch in der Kirche unseres Landes.

Persönliches und gemeinschaftliches Gebet in der Messfeier, im Abend- und Morgenlob, in der stillen Anbetung, wie es in unserer Pfarrei angeboten wird, öffnet den Himmel. Die Nichtbeter leben vom Gebet der Beter. Dies ist stellvertretender Dienst der betenden und Gottesdienst feiernden Kirche für die Menschheit insgesamt.

4. Ein letzter Aspekt der Kirche: „Verschaffe du mir Recht gegen meinen Feind“, forderte die Frau vom Richter. Eine Kirche, die nicht an der Seite der Kleinen, der Armen, der Entrechteten, Unterdrückten, Leidenden und Sterbenden steht, verdient ebenfalls nicht den Namen Kirche Jesu Christi. Zwar können wir auch als Kirche nicht das Paradies auf Erden schaffen, aber mit Hilfe unserer Stimme und unserer Hände und Füße kann Gott beginnen gegen die vielfältigen Höllen auf unserer Erde Sein Reich aufzubauen.

Wird der Menschensohn, wenn er kommt , auf der Erde noch Glauben finden? Die Antwort auf diese Frage Jesu können nur wir selbst, jeder einzelne von uns geben.

Pfr. Bodo Windolf

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