Predigt vom 12. April 2004 (Ostermontag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Musste nicht der Messias all das erleiden ...?
Predigttext

Ostermontag 12 April 2004
Les: Jes 50,4-7; Phil 2,6-11
Ev: Lk 22,14-23,56

Musste nicht der Messias all das erleiden ...?“

Schön-erbaulich ist sie anzuhören, die altbekannte Geschichte von den Emmausjüngern; - wenn, ja wenn da nicht dieser Satz wäre, scharf, kantig spitz, unverdaulich: „Musste nicht der Messias all das erleiden...?“

Was heißt dieses entsetzliche „Musste“? Was ist das für eine Religion, in der die Erlösergestalt angeblich so brutal zerfetzt werden musste, wie dies Mel Gibsons „The Passion of the Christ“ so eindrücklich und ohne jedes Pardon für den Zuschauer in Bilder gebannt hat? Was ist das für ein Gott Vater, der angeblich seinen Sohn bluten sehen musste für die Erlösung der Menschheit? Müssen wir gegen dieses „Müssen“ nicht lauthals protestieren, im Namen der Menschlichkeit, im Namen eines erträglichen Gottesbildes? Oder – kann ein Verständnis dieses „Müssens“ gefunden werden, das sich einfügen lässt in jene großen Aussagen des Neuen Testaments über Gott, die wir im 1. Johannesbrief lesen, dass Er reines Licht ohne jede Finsternis, dass Er reine Liebe ist?

Um von vornherein jedes Missverständnis auszuschließen: das „Müssen“ kann in keinem irgendwie gearteten Zwang bestehen, der auf Jesus gelegen hätte. Es ist geradezu eine Forderung der Vernunft, dass Gott sein Erlösungswerk auch anders, auch ohne das Kreuz hätte ausführen können. Dass ein zorniger Gott-Vater seinen Sohn am Kreuz verbluten sehen wollte und Jesus deswegen sterben musste, ist eine Verzerrung und Dämonisierung des neutestamentlichen „Vaters im Himmel“, die ausgetrieben werden muss.

Das Müssen des Leidens des Messias muss von einer anderen Art sein. Und vielleicht kann uns hier ein literarisches Werk auf die rechte Spur bringen. 1958 erschien von Elie Wiesel „La nuit“, „Die Nacht“. Es ist sein überarbeitetes Erstlingswerk, das ihn auf einen Schlag bekannt machte, und in dem er, der als Siebzehnjähriger das Konzentrationslager Buchenwald überlebte, aus seiner jüdischen Sicht heraus die „Gottesfrage nach Auschwitz“ literarisch verarbeitete. Darin gibt es eine Passage, in der er den Menschen in seiner Leidenssituation als Gott moralisch überlegen schildert: „Wer bist du, mein Gott, ... verglichen mit dieser schmerzerfüllten Menge ... Was bedeutet deine Größe, Herr der Welt, angesichts all dieser Schwäche, angesichts dieses Verfalls und dieser Fäulnis?“ „Ja, der Mensch ist stärker, größer als Gott“. Mit anderen Worten: Der leidende Mensch erscheint Elie Wiesel gerade in seinem Elend als der, der größer ist als sein leidloser Schöpfer.

Und die Frage ist: Hat er nicht irgendwie recht? Wobei wir schleunigst hinzufügen müssen: innerhalb eines Glaubens, der den Gott des Neuen Testaments, den ins Leid gehenden Gott nicht kennt. Aber wir können weiter fragen: Ist es von solchen Überlegungen her, die geprägt sind vom Gottesbild eines jüdischen Gläubigen, nicht nur noch ein kleiner Schritt zu der christlichen Überlegung, dass es Gott aus reiner Liebe dazu drängt, sich selbst ganz und radikal und bis zur äußersten Konsequenz auf die Seite seines leidenden Geschöpfes zu stellen?

Wir alle wissen: Nichts ist freier als wirkliche Liebe. Nichts kann Liebe von außen zwingen. Und dennoch gibt es auch in der Liebe ein „Müssen“; eines, das viel stärker sein kann als äußerer Zwang, eines, das von innen her, aus ihr selbst aufsteigt. Aus freiestem Wollen will sie, ja muss echte Liebe die je größere Liebe tun, und würde es sie das größte Opfer kosten. Das weiß jeder Liebende. Eine liebende Mutter, ein liebender Vater, die unter Einsatz ihres Lebens ihr ertrinkendes Kind zu retten suchen, tun dies aus innerster Freiheit, und zugleich können sie gar nicht anders.

So und nicht anders kann das „Musste der Messias nicht leiden“ verstanden werden. Und in diesem Sinn, als das Muss einer freiesten Liebestat gehört der leidende Messias, der erniedrigte, Mensch gewordene Gott auch mitten hinein in die Frohe Botschaft, in die Osterbotschaft des heutigen Tages.

Und darin liegt auch das Besondere und Unterscheidende unseres christliche Auferstehungsglaubens. Keine andere Religion verehrt einen Gott, der sich selbst so radikal auf die Seite der leidenden und zertretenen Kreatur gestellt hat wie das Christentum. Wer behauptet, letztlich seien doch alle Religionen gleich und es sei egal, was wir glauben, der hat den entscheidenden Kern des christlichen Glaubens nicht verstanden.

Daisetz Suzuki, der große Vermittler buddhistischen Denkens an den Westen, schrieb einmal in den fünfziger Jahren: „Immer wenn ich ein Bild des gekreuzigten Christus sehe, muss ich an die tiefe Kluft denken, die zwischen Christentum und Buddhismus liegt.“ Und er stellt die Erlösergestalt des heiter lächelnden, unter dem Bodhibaum, dem Erleuchtungsbaum sitzenden und allem Leid enthobenen Buddha der Erlösergestalt des sich im Ölbergsgarten vor Angst verzehrenden und am Kreuz mit einem Schrei sterbenden Jesus gegenüber.

Jesus stirbt nicht wie ein Erleuchteter, wie ein Buddha. Nein, Er stirbt in unüberbietbarer Nähe zu jedem Leidenden, und das heißt auch, in unmittelbarer Nähe zu jedem Opfer menschlicher Gewalt. Als Er am Kreuz hing, war er zugleich in Auschwitz, im Archipel Gulag und wo immer Schreckliches geschah, geschieht und geschehen wird. Weil es Gott ist, der hier leidet, kann Er den Leidenden aller Zeiten und Orte gleichzeitig und ein erlösender Mitleidender werden.

Dabei muss für uns Christen klar sein: die letzte und eigentliche Erlösergestalt ist nicht der Gekreuzigte als solcher, sondern der Auferstandene; aber der Auferstandene mit den Wundmalen, daher der Gekreuzigte-Auferstandene, der Erlösung gewirkt hat nicht am Leid vorbei, sondern durch das Leid hindurch. Seit das geschah, seit es Gott aus freiesten Stücken heraus drängte, Er sich selbst nötigte, auf die Seite seines leidenden Geschöpfes zu treten, indem Er zugleich den Hass eben dieses Geschöpfes erlitt, seitdem gibt es kein sinnloses Leid mehr, mag man es auch anders empfinden, wie es ja auch Jesus selbst erlebte, als Er sein „Warum?“ herausschrie. Dass es durch den leidenden Messias Jesus Christus kein sinnloses Leid mehr gibt, auch das ist Teil der österlichen Botschaft, es gehört mitten hinein in die österliche Freude, die wir nur so nicht als billiges „Happy End“, sondern in ihrer alles verwandelnden Tiefe verstehen.

„Musste der Messias leiden?“ Ja, Er musste es in dem Sinn, weil Er selbst es aus Liebe so wollte, für uns und mit uns; nicht um das Leid in falscher Weise zu verherrlichen. Nein, christliche Haltung ist, es zu lindern, wo immer dies möglich ist; wohl aber, um das sinnlos Scheinende unserer Welt mit Sinn zu erfüllen, was letztlich allein für unser ganzes Leben mit seinen Freuden, seiner Schuld, seinem Leid allein Gott vermag.

Der Gekreuzigt-Auferstandene mit seiner Botschaft der Liebe, die Ihn das Leben kostete, der Gekreuzigte-Auferstandene mit seinen verklärten Wundmalen – das ist die Antwort Gottes auf die Not der Welt und nicht zuletzt auch auf unsere Frage nach dem Leid.

Pfr. Bodo Windolf

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