Predigt vom 26. Dezember 2003

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Den "Wahlkampf" des Bösen durchschauen 
Predigttext

Zweiter Weihnachtstag (Heiliger Stehpanus) 26. Dezember 2003
Les: Apg 6,8-10; 7,54-60
Ev: Mt 10,17-22

Den „Wahlkampf“ des Bösen durchschauen

Ich erlaube mir, die heutige Predigt auf eine etwas ungewöhnliche Weise zu beginnen. Ich will Ihnen nämlich einen Witz erzählen. Vielleicht denken einige von Ihnen: Einen Witz an einem Märtyrerfest – das passt doch nicht? Aber vielleicht wissen Sie, dass die Christen schon immer den Todestag eines Märtyrers zugleich als seinen Geburtstag gefeiert haben, nämlich als seinen Geburtstag zum ewigen Leben. Am Geburtstag aber darf man fröhlich sein. Und daher bin ich sicher, dass der heilige Stephanus es mir nicht übel nimmt, wenn ich jetzt einen Witz erzähle:

Ein hochgestellter Politiker – irgendeinen Namen können Sie nach Ihrem eigenen Belieben einsetzen – ich will ihn Felix nennen, ist gestorben. Er kommt oben an der Himmelspforte bei Petrus an. Nach Erledigung der Formalia, Feststellung der Identität und so, fragt Petrus ihn: „Wollen Sie lieber in den Himmel oder lieber in die Hölle?“ „Ach, ich wusste gar nicht, dass ich mir das noch aussuchen kann. Nun ja, über den Himmel hab ich eher ziemlich Langweiliges gehört. Ich probier`s mal mit der Hölle.“ Petrus weist ihm den Weg, und als er unten ankommt, ist er überwältigt: Alle sind bestens gekleidet, erlesene Speisen sind aufgetischt, er sieht schöne Frauen, fetzige Musik spielt. Er lässt es sich gut gehen. Aber nach dem ersten Tag kommt ihm doch die Neugier, wie es wohl im Himmel wäre. Also noch mal zurück zu Petrus, der ihn tatsächlich in den Himmel rein lässt. Da war es auch nicht schlecht. Aber die Musik! Dieses ewige Halleluja! Das geht einem ja auf den Geist. Und schon war er wieder unterwegs, am verdutzten Petrus vorbei, schnurstracks zur Hölle. Kaum eingetreten, schlägt ihm ein Höllenlärm von prasselndem Feuer, Schreien, Ächzen, Stöhnen entgegen. Und ehe er kehrtmachen kann, wird er schon von zwei Teufeln gepackt, die ihn zum Folterstuhl schleppen. Felix schreit: „Das muss ein Irrtum sein. Ich will den Oberteufel sprechen. Das war doch gestern ganz anders hier!“ Und schon steht er vor ihm, der Oberteufel, und sagt ihm mit scheußlichem Grinsen: „Aber Felix, wusstest Du das denn nicht? Gestern hatten wir doch – Wahlkampf!“


Liebe Gemeinde,

mit diesem Witz geht es mir natürlich nicht nur einfach um eine unterhaltende Einlage – das wäre in einer Predigt zum heutigen Tag eher unpassend, sondern um etwas ganz anderes. Der Witz ist nämlich tiefgründiger, als es auf den ersten Blick scheint. „Gestern hatten wir doch Wahlkampf!“ Die Hölle, das Böse betreibt Wahlkampf, permanent, und zwar in der Regel, ohne dass man es merkt und so lange, bis man sich für das Böse entschieden hat. Erst irgendwann danach lässt es die Maske fallen und zeigt, allerdings dann immer zu unserem eigenen Leidwesen, sein wahres Gesicht, seine Fratze. Denn fast nie tritt das Böse in seiner nackten Bosheit auf. Sein Wahlkampf besteht darin, das Böse als gut, verlockend, faszinierend, fortschrittlich, modern, auf der Höhe der Zeit erscheinen zu lassen, das Gute aber als böse oder langweilig, fortschrittsfeindlich, uncool, engstirnig.

Beispiel: Der heilige Stephanus: Man gibt vor, Gott einen Dienst zu erweisen, und beseitigt einen unbequemen Zeugen Jesu Christi, also dessen, den man ebenfalls unter demselben Vorwand schon liquidiert hatte.

Aktuelle Beispiele: Man hält hunderte Menschen über Monate ohne Rechtsbeistand unter unwürdigen Bedingungen in Guantanamo gefangen und gibt vor, dies sei zur Terrorbekämpfung notwendig. Größter Triumph des Bösen: wenn es ihm gelingt, seine Opfer selbst böse zu machen, in unserem Fall: aus Rechtsstaaten Unrechtsstaaten werden zu lassen.

Oder: denken wir an die Diskussion um künstlich gezeugte menschliche Embryonen, die endlich für Forschungszwecke freigegeben werden sollen. Man spricht von Forschungsfreiheit, einer Ethik des Heilens, aberkennt ihnen kurzerhand einfach einmal die Menschenwürde, und kaschiert mit den genannten edlen Motiven nur die Barbarei, menschliches Leben als reines Rohstoffmaterial zu vernutzen.

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Schließlich kennen wir es ja auch an uns selbst: Eigentlich wüsste ich: dieses oder jenes ist Unrecht, böse, darf ich nicht tun; aber ich drehe und wende es so lange, bis es mir irgendwie als gerechtfertigt erscheint. Wahlkampf des Bösen, das beklagenswerterweise in unserem eigenen Leben, um uns herum, in der Welt so oft stärker zu sein scheint als das Gute, stärker auch als Jesus Christus, stärker als Gott. „Jerusalem, du tötest deine Propheten, die, die Gott zu dir gesandt hat. Wie oft habe ich nicht deine Kinder sammeln wollen, doch ihr habt nicht gewollt.“ Diese Klage Jesu selbst über den Triumph des Bösen unter dem Anschein des Guten wird im Anschluss an diese Predigt als Sopranarie aus dem Paulus von Mendelsohn-Bartholdy erklingen.

Doch wird diese Klage das letzte Wort haben? Nein, denn das Böse ist immer nur Schein, scheint nur gut und verlockend; am Ende, spätestens in unserem Tod, wird es immer als falscher Zauber voller Illusionen entzaubert. Sein hat allein das Gute, das Wahre, das Schöne; und am Ende wird das Sein über den Schein triumphieren. Aber auf dem Weg bis dahin braucht es immer Einzelne, solche wie den heiligen Stephanus, die den Geist der Unterscheidung haben, die sich nicht täuschen lassen; die den Mut haben, das Böse zu demaskieren, auch wenn man sich damit nicht beliebt macht; die zeitgeistresistent sind, die nicht tun, was man sagt und man denkt und man tut; die auch heute noch (wiederum) den Mut haben, zu dem zu stehen, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, zu Jesus Christus. Mag das Böse und Widerchristliche in unserer Zeit auch noch so viele Wahlkampfregister ziehen: Wir brauchen die, die auch um den Preis von Nachteilen, Belächelung oder sogar des Lebens bereit sind, redlichen Wahlkampf zu führen für Jesus Christus und für das Gute, das mit Ihm, das mit Gott identisch ist. Die Gestalt des Erzmärtyrers Stephanus ist für solche mutige Zeugenschaft ein ermutigendes Beispiel.


Pfr. Bodo Windolf

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