Predigt vom 16. November 2003

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Apokalyptische Schrecken ... 
Predigttext

Dreiunddreißigster Sonntag im Jahreskreis 16. November 2003 (Volkstrauertag)
Les: Dan 12,1-3; Hebr 10,11-14.18
Ev: Mk 13,24-32

Apokalyptische Schrecken – nicht das Werk Gottes, sondern das der Menschen

Was wir soeben im Evangelium gehört haben, ist der Schluss der so genannten „endzeitlichen Rede“ Jesu, die auch „kleine Apokalypse“ genannt wird. Sie ist eine große Mahnrede und prophetische Vision über das Ende der Welt und schließt das öffentliche Wirken Jesu ab. Unmittelbar danach geht Er seiner eigenen Apokalypse, seiner Passion, seinem Untergang in Leid, Kreuz und Tod entgegen.

Wer die ganze endzeitliche Rede Jesu kennt, weiß, in welch furchtbaren, grauenerregenden Bildern Jesus und überhaupt die apokalyptische Literatur des Alten und Neuen Testamentes das Ende der Weltzeit beschreibt: Kriege, Terror, Orgien von Gewalt, Hungersnöte, Seuchen, Katastrophen kosmischen Ausmaßes werden prophezeit und scheinen alles in einem einzigen Strudel der Zerstörung mit zu reißen; restlos alles wird versinken in einem Meer aus Tränen und Blut – so der Tenor der ganzen Rede.


Liebe Gemeinde!

Soll das das Evangelium, die Frohbotschaft über die Zukunft unserer Welt sein? Was ist das für ein Gott, der die Erde und ihre Geschichte auf dieses grausame Ende zutreiben lässt? Was ist das für ein Gott, der – so scheint es jedenfalls – ein solches Ende verhängt, womöglich noch als Strafe für die Sünden der Menschheit? Und – weitere Frage – wenn es so kommen wird, was nützt es denn dann noch, sich für eine bessere Zukunft hier auf der Erde ein zu setzen? Oder ist das alles nicht doch nur eine irrwitzige Schwarzmalerei, eine beispiellose Angstmacherei, - denn so schlimm wird schon alles nicht kommen?

Was gerade diesen letzten Punkt betrifft, so wissen wir alle sehr genau: theoretisch und praktisch wären wir Menschen heute in der Lage, die ganze Erde zu zerstören, menschliches und überhaupt alles Leben in ihr auszulöschen und sie unbewohnbar zu machen, sie in eine Wüste der Zerstörung zu verwandeln. Und dieser Punkt gibt Antwort auch auf die anderen Fragen: Jesus beschwört nicht das Bild eines Gottes, der die Erde strafend und rächend mit Unheil überzieht. Nein, Jesus spricht von dem, was der Mensch sich selbst bereitet, bereiten kann, womöglich bereiten wird, mit einer sich immer mehr steigernden Zerstörungskraft und Zerstörungswut.

Beispiel: Wir kennen die Redeweise vom finsteren Mittelalter, aber mir will scheinen, wer so redet, weiß eigentlich gar nicht, was er sagt; denn noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es ein so finsteres Jahrhundert wie das letzte, unser 20. Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen und unzähligen anderen Kriegen, mit seinen Konzentrationslagern und Gaskammern, seinen Archipel Gulags und anderen Menschenschindereien, mit seinen Vertreibungen und ethnischen Säuberungen, mit seinem systematischen abermillionenfachen Morden an unschuldigen Menschen anderer Rasse, anderer Klasse, anderen Glaubens; und das Ganze – man kann es kaum fassen – im Namen des Fortschritts, im Namen der Vernunft, im Namen einer im wörtlichen Sinn entfesselten Vernunft, entfesselt nämlich von allen religiösen Bindungen an Gott und sein Recht.

Dass das vergangene Jahrhundert gezeichnet ist von diesen apokalyptischen Spuren der Verwüstung, von dem, was Menschen anderen Menschen angetan haben, das ist der Grund für das heutige Gedenken, Erinnern und Beten, das ist der Grund für den heutigen Volkstrauertag. „Nie wieder“, wird einmal mehr der Tenor der Reden zu diesem Tag sein. Und doch frage ich mich, ob wir nicht schon wieder im Begriff sind, uns selbst sehenden Auges durch menschenverachtendes Handeln größtes Unheil zu bereiten.

Auch dazu ein Beispiel: Uns allen ist bewusst und wird immer bewusster, dass wir auf einer demographischen Zeitbombe sitzen. In so gut wie keinem Land der Erde werden so wenige Kinder geboren wie in Deutschland. Unsere ganzen sozialen Sicherungssysteme drohen über kurz oder lang daran kaputt zu gehen. Aber zur gleichen Zeit leistet es sich unser Land, mit staatlicher Förderung einen großen Teil unseres kindlichen Nachwuchses umzubringen. Am Donnerstag war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Nordrhein-Westfalen zigmillionen an Steuergeldern ausgibt, mit denen 94% der über 20 000 Abtreibungen der letzten drei Jahre finanziert wurden. So oder so ähnlich wird es in anderen Bundesländern auch aussehen. Die Zahl der mit Steuern und von Krankenkassen finanzierten abgetriebenen Kinder entspricht etwa der jener Kinder, die wir zusätzlich bräuchten, um in unserem Land ein gesundes Verhältnis von Alt und Jung zu haben.

Sie, die nie das Licht der Welt erblicken durften, haben meines Erachtens am heutigen Volkstrauertag ebenfalls ein ehrendes Gedenken verdient. Was mich in diesem Zusammenhang mit am meisten erschüttert, ist die weit verbreitete Gleichgültigkeit, mit der dieses schreckliche Geschehen mitten unter uns Schulter zuckend zur Kenntnis genommen wird.


Liebe Gemeinde,
wenn wir uns diese Beispiele vor Augen halten, die sich beliebig vermehren ließen, dann ist das doch kein Grund, hoffnungslos in Zukunft zu blicken; denn dieses und all das andere von Menschen selbst herbeigeführte Unheil wird nicht das letzte Wort haben – das ist die Hoffnung schenkende Freudenbotschaft des heutigen Evangeliums. „Himmel und Erde werden vergehen, aber nicht meine Worte“, nicht meine Worte der Verheißung. Im Klartext sagt Jesus damit: „Am Ende steht nicht das Chaos, sondern ich!“ Am Ende steht nicht der Untergang, sondern der Aufgang eines neuen Himmels und einer neuen Erde.

Daher braucht der gläubige Christ nicht in Angst vor der Zukunft zu leben, sondern in freudiger Erwartung. Gott selbst wird diese gute Zukunft schenken. Allerdings tut Er es nicht ohne uns, es ist nicht zwecklos, sich für eine bessere Erde ein zu setzten. Wo immer wir uns für das – jetzt schon – ankommende Reich Gottes einsetzten, wo immer wir es gegen den allgemeinen Strom der Zeit, gegen den Ungeist der Zeit tun, und gegen die Versuchung zu Resignation und Gleichgültigkeit, wo wir es tun, auch um den Preis der Anfeindung – da wird all unser Tun, Reden und nicht zuletzt Beten eingehen in den neuen Himmel und die neue Erde. Nichts, was aus dem Geist Jesu Christi geschieht, wird vergeblich sein. Diese Hoffnung und dieses Vertrauen dürfen wir aus dem heutigen Evangelium mitnehmen. Hoffnung auf eine Zukunft, die inmitten von so manchem Schrecklichen hier und heute beginnt und sich vollenden wird in der Ewigkeit.

Pfr. Bodo Windolf

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