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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf
Thema:
Apokalyptische
Schrecken ...
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Dreiunddreißigster Sonntag im Jahreskreis 16.
November 2003 (Volkstrauertag)
Les: Dan 12,1-3; Hebr 10,11-14.18
Ev: Mk 13,24-32
Apokalyptische Schrecken – nicht das Werk Gottes, sondern das der Menschen
Was wir soeben im Evangelium gehört
haben, ist der Schluss der so genannten „endzeitlichen Rede“ Jesu, die auch
„kleine Apokalypse“ genannt wird. Sie ist eine große Mahnrede und
prophetische Vision über das Ende der Welt und schließt das öffentliche
Wirken Jesu ab. Unmittelbar danach geht Er seiner eigenen Apokalypse, seiner
Passion, seinem Untergang in Leid, Kreuz und Tod entgegen.
Wer die ganze endzeitliche Rede Jesu kennt, weiß, in welch furchtbaren,
grauenerregenden Bildern Jesus und überhaupt die apokalyptische Literatur des
Alten und Neuen Testamentes das Ende der Weltzeit beschreibt: Kriege, Terror,
Orgien von Gewalt, Hungersnöte, Seuchen, Katastrophen kosmischen Ausmaßes
werden prophezeit und scheinen alles in einem einzigen Strudel der Zerstörung
mit zu reißen; restlos alles wird versinken in einem Meer aus Tränen und Blut
– so der Tenor der ganzen Rede.
Liebe Gemeinde!
Soll das das Evangelium, die Frohbotschaft über
die Zukunft unserer Welt sein? Was ist das für ein Gott, der die Erde und ihre
Geschichte auf dieses grausame Ende zutreiben lässt? Was ist das für ein Gott,
der – so scheint es jedenfalls – ein solches Ende verhängt, womöglich noch
als Strafe für die Sünden der Menschheit? Und – weitere Frage – wenn es so
kommen wird, was nützt es denn dann noch, sich für eine bessere Zukunft hier
auf der Erde ein zu setzen? Oder ist das alles nicht doch nur eine irrwitzige
Schwarzmalerei, eine beispiellose Angstmacherei, - denn so schlimm wird schon
alles nicht kommen?
Was gerade diesen letzten Punkt betrifft, so wissen wir alle sehr genau:
theoretisch und praktisch wären wir Menschen heute in der Lage, die ganze Erde
zu zerstören, menschliches und überhaupt alles Leben in ihr auszulöschen und
sie unbewohnbar zu machen, sie in eine Wüste der Zerstörung zu verwandeln. Und
dieser Punkt gibt Antwort auch auf die anderen Fragen: Jesus beschwört nicht
das Bild eines Gottes, der die Erde strafend und rächend mit Unheil überzieht.
Nein, Jesus spricht von dem, was der Mensch sich selbst bereitet, bereiten kann,
womöglich bereiten wird, mit einer sich immer mehr steigernden Zerstörungskraft
und Zerstörungswut.
Beispiel: Wir kennen die Redeweise vom finsteren Mittelalter, aber mir will
scheinen, wer so redet, weiß eigentlich gar nicht, was er sagt; denn noch nie
in der Geschichte der Menschheit gab es ein so finsteres Jahrhundert wie das
letzte, unser 20. Jahrhundert
mit seinen zwei Weltkriegen und unzähligen anderen Kriegen, mit seinen
Konzentrationslagern und Gaskammern, seinen Archipel Gulags und anderen
Menschenschindereien, mit seinen Vertreibungen und ethnischen Säuberungen, mit
seinem systematischen abermillionenfachen Morden an unschuldigen Menschen
anderer Rasse, anderer Klasse, anderen Glaubens; und das Ganze – man kann es
kaum fassen – im Namen des Fortschritts, im Namen der Vernunft, im Namen einer
im wörtlichen Sinn entfesselten Vernunft, entfesselt nämlich von allen religiösen
Bindungen an Gott und sein Recht.
Dass das vergangene Jahrhundert gezeichnet ist von diesen apokalyptischen Spuren
der Verwüstung, von dem, was Menschen anderen Menschen angetan haben, das ist
der Grund für das heutige Gedenken, Erinnern und Beten, das ist der Grund für
den heutigen Volkstrauertag. „Nie wieder“, wird einmal mehr der Tenor der
Reden zu diesem Tag sein. Und doch frage ich mich, ob wir nicht schon wieder im
Begriff sind, uns selbst sehenden Auges durch menschenverachtendes Handeln größtes
Unheil zu bereiten.
Auch dazu ein Beispiel: Uns allen ist bewusst und wird immer bewusster, dass wir
auf einer demographischen Zeitbombe sitzen. In so gut wie keinem Land der Erde
werden so wenige Kinder geboren wie in Deutschland. Unsere ganzen sozialen
Sicherungssysteme drohen über kurz oder lang daran kaputt zu gehen. Aber zur
gleichen Zeit leistet es sich unser Land, mit staatlicher Förderung einen großen
Teil unseres kindlichen Nachwuchses umzubringen. Am Donnerstag war in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Nordrhein-Westfalen zigmillionen
an Steuergeldern ausgibt, mit denen 94% der über 20 000 Abtreibungen der
letzten drei Jahre finanziert wurden. So oder so ähnlich wird es in anderen
Bundesländern auch aussehen. Die Zahl der mit Steuern und von Krankenkassen
finanzierten abgetriebenen Kinder entspricht etwa der jener Kinder, die wir zusätzlich
bräuchten, um in unserem Land ein gesundes Verhältnis von Alt und Jung zu
haben.
Sie, die nie das Licht der Welt erblicken durften, haben meines Erachtens am
heutigen Volkstrauertag ebenfalls ein ehrendes Gedenken verdient. Was mich in
diesem Zusammenhang mit am meisten erschüttert, ist die weit verbreitete
Gleichgültigkeit, mit der dieses schreckliche Geschehen mitten unter uns
Schulter zuckend zur Kenntnis genommen wird.
Liebe Gemeinde,
wenn wir uns diese Beispiele vor Augen
halten, die sich beliebig vermehren ließen, dann ist das doch kein Grund,
hoffnungslos in Zukunft zu blicken; denn dieses und all das andere von Menschen
selbst herbeigeführte Unheil wird nicht das letzte Wort haben – das ist die
Hoffnung schenkende Freudenbotschaft des heutigen Evangeliums. „Himmel und
Erde werden vergehen, aber nicht meine Worte“, nicht meine Worte der Verheißung.
Im Klartext sagt Jesus damit: „Am Ende steht nicht das Chaos, sondern ich!“
Am Ende steht nicht der Untergang, sondern der Aufgang eines neuen Himmels und
einer neuen Erde.
Daher braucht der gläubige Christ nicht in Angst vor der Zukunft zu leben,
sondern in freudiger Erwartung. Gott selbst wird diese gute Zukunft schenken.
Allerdings tut Er es nicht ohne uns, es ist nicht zwecklos, sich für eine
bessere Erde ein zu setzten. Wo immer wir uns für das – jetzt schon –
ankommende Reich Gottes einsetzten, wo immer wir es gegen den allgemeinen Strom
der Zeit, gegen den Ungeist der Zeit tun, und gegen die Versuchung zu
Resignation und Gleichgültigkeit, wo wir es tun, auch um den Preis der
Anfeindung – da wird all unser Tun, Reden und nicht zuletzt Beten eingehen in
den neuen Himmel und die neue Erde. Nichts, was aus dem Geist Jesu Christi
geschieht, wird vergeblich sein. Diese Hoffnung und dieses Vertrauen dürfen wir
aus dem heutigen Evangelium mitnehmen. Hoffnung auf eine Zukunft, die inmitten
von so manchem Schrecklichen hier und heute beginnt und sich vollenden wird in
der Ewigkeit.
Pfr. Bodo Windolf
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