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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf
Thema:
Das
Fegefeuer ....
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Einunddreißigster
Sonntag im Jahreskreis 2. November 2003 (Allerseelen)
Les: Ijob 19,1.23-27; Röm 8,14-23
Ev: Joh 5,24-29
Das Fegefeuer als das reinigende Feuer der Liebe Gottes selbst
Es ist fast genau tausend Jahre her, dass
in der westlichen Christenheit das heutige Allerseelenfest zum ersten Mal
begangen wurde. Es war der heilige Abt Odilo von Cluny, der am 2. November 998
mit seiner benediktinischen Communität in Cluny erstmals Allerseelen feierte,
der es schon im darauf folgenden Jahr für alle seine Klöster vorschrieb; und
schon acht Jahre später, 1006, ordnete Papst Johannes XVIII. dieses umfassende
Seelengedächtnis für die ganze Kirche an. Als Sinn gibt das Statut des
heiligen Odilo die Erinnerung an alle verstorbenen Gläubigen an, und zwar ausdrücklich
vom Anfang bis zum Ende der Welt; es wird für sie ganz besonders intensiv
gebetet, das heilige Messopfer für sie gefeiert, und in manchen Gegenden kommt
der Brauch auf, Allerseelenstriezel oder Seelwecken an Arme zu verteilen, so als
wollte man sagen: den geistlichen Gaben für die so genannten „Armen Seelen“
müssen auch materielle Gaben für die Armen unter den Lebenden entsprechen.
Dieses nun schon über tausendjährige umfassende christliche Totengedenken an
Allerheiligen und Allerseelen bringt ganz offensichtlich eine so wichtige Saite
in unserem Leben zum Klingen, es hat sich daher auch so tief eingegraben in das
Bewusstsein der Menschen, dass selbst viele, die kaum mehr etwas mit dem
christlichen Glauben anfangen können, alljährlich an diesem Tag den Weg zu den
Gräbern ihrer Lieben finden und einfach teilnehmen an der christlichen Liturgie
für sie. Und in dem, was „man“ an diesem Tag einfach tut, drücken auch sie, bewusst oder
unbewusst, ganz wesentliche Inhalte unseres Glaubens aus. Denn das Schmücken
der Gräber mit Blumen heißt ja nichts anderes als: So wie über dir, der du in
der Totenkammer des Grabes ruhst, diese lebendige Blume wächst, so erwächst
auch aus deinem Tod unvergängliches Leben, jenes Leben, zu dem Gott dich seit
Ewigkeit berufen hat. Und so, wie auf deinem Grab dieses Grablicht leuchtet, so
leuchte dir nun das wahre und ewige Licht Gottes, der dich aus der Dunkelheit
von Tod und Schuld ins Licht ewiger Vollendung führt.
Doch nun eine Frage: Wem gelten denn
eigentlich die Gebete und die Feiern der heiligen Messe am heutigen Tag?
Offensichtlich nicht denen, die die Kirche am
gestrigen Allerheiligentag gefeiert hat; jenen unzähligen bekannten und
unbekannten Heiligen, die schon in Gott vollendet sind. Sie brauchen nicht mehr
unser Gebet. Vielmehr sind sie es, die betend und fürbittend für uns eintreten
und uns zur Seite stehen.
Sie können auch nicht jenen gelten, die ein endgültiges Nein zu Gott gesagt
haben, die gleichsam sich selbst von Ihm wegverflucht haben in die äußerste
Finsternis. Wir nennen sie Hölle. Ob es sie gibt, wissen wir nicht. Aber Jesus
spricht zu oft und zu eindringlich von dieser furchtbaren Möglichkeit eines
endgültigen Scheiterns unseres Lebens, als dass wir sie in einem allzu banalen
Heilsoptimismus für alle einfachhin leugnen könnten.
Es muss also noch ein Dazwischen geben, also Menschen, die zwar ein grundsätzliches
Ja zu Gott gesagt haben, aber ein Ja, das noch von vielen Nein durchsetzt und
verunklärt ist; ein Ja, das noch der Läuterung bedarf; besser ein „Jein“
zu Gott, das noch zu einem vollständigen Ja restloser Liebe hin gereinigt und
durchklärt werden muss. Die Volksfrömmigkeit spricht vom Fegefeuer und hat
sich dieses oft in schauerlichen Bildern äußerst phantasievoll ausgemalt; und
auch die Verkündigung ist nicht selten der Gefahr erlegen, Gott als fast so
etwas wie einen jenseitigen Folterknecht vorzustellen, der für jede Sünde
peinlich genau die entsprechende Strafe verhängt. Gegenüber solchen oder auch
anderen, etwas vergeistigteren Vorstellungen von dem, wie der Schmerz der Läuterung
dem endgültigen Himmel entgegen für uns aussehen wird, sollten wir zugeben:
wir wissen es nicht. Wir können es uns auch nicht vorstellen. Nur so viel können
wir wohl sagen: Es muss ein um so furchtbarerer Schmerz sein, je weiter entfernt
von Gott, je egoistischer, je liebloser, je unversöhnter, je oberflächlicher
ein Mensch gelebt hat. Vielleicht erleidet mancher schwer Sterbende schon etwas
von diesem läuternden Fegefeuer hier auf der Erde. Aber es muss im letzten ein
– paradox formuliert, je näher ein Mensch Gott kommt – ein seliger Schmerz
sein, weil ich weiß: Die ganze Wahrheit über mich selbst, die ich in dem
Augenblick erkenne, da ich mich bis in die letzte Faser meines Daseins im
Spiegel der grenzenlosen Liebe Gottes erkenne und erblicke, mag schrecklich,
beschämend, demütigend sein – aber dies bringt mich wirklich zu mir selbst,
zu der Person, die ich hätte sein sollen und die ich auch hätte sein können
und die Gott vorgeschwebt ist, als Er sich mich ausgedacht hat. Wie Gott daher
mir, uns, unseren Verstorbenen jenseits der Schwelle des Todes begegnet, habe
ich besonders schön, kurz und prägnant ausgedrückt gefunden bei Hans Urs von
Baltasar: „Gott ist ... als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender
Gericht, als Reinigender Fegefeuer.“
Das Feuer des Fegefeuers ist also gar nichts anderes als das Feuer
seiner Liebe, in das wir sterbend hineingehalten werden. Und es ist dieselbe
Liebe, von der das heutige Evangelium spricht. Sie und sie allein wird der
letzte Maßstab im Gericht sein. Was nicht Liebe von Seiner absolut reinen und
selbstlosen Liebe ist, muss in diesem Feuer verbrennen, muss befreit werden aus
dem Kerker von Egoismus und Ichverhaftung. Aber der heutige Allerseelentag sagt
uns: Wir müssen unsere Verstorbenen diesen Prozess nicht allein durchstehen
lassen. Hier zeigt sich wieder, was Kirche zur Kirche macht. Dass wir eine
einzige große Gebetsgemeinschaft sind, in der einer für den anderen eintreten
und fürbittend einstehen kann. Die heilige Messe für unsere Verstorbenen
feiern heißt daher, sie unter das Kreuz stellen, sie hineinstellen in das Feuer
der leidenden Liebe Gottes für uns in Jesus Christus, in jenes Erlösungswerk
also, das in jeder heiligen Messe sakramental gegenwärtig wird. Es ist ein
Dienst der Liebe, ein Dienst der Dankbarkeit, ein Dienst, der Kirche zur Kirche
macht, wenn wir auf diese Weise für unsere lieben Toten, aber auch für die
Vergessenen unter ihnen beten und die Eucharistie feiern. Auch das ist Teil
jenes Gebotes, das uns der Herr heute ans Herz legt: Du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken
und all deiner Kraft; und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Mk
12,30-31)
Pfr. Bodo Windolf
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