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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf
Thema:
Warum lässt Gott das Schreckliche zu?
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St. Severin Garching
Fünfter Fastensonntag 6. April 2003
Les: Jer 31,31-34; Hebr 5,7-9
Ev: Joh 12,20-33
Gott lässt Kriege und anderes Schreckliche
zu, weil Er uns als seine freien
Mitarbeiter an einer besseren Welt will
Morgen werden über sechzig Firmlinge aus
unserer Pfarrei, die sich seit Weihnachten auf den Empfang des Firmsakramentes
vorbereiten, im Gottesdienst ihre Anmeldung zum Empfang eben dieses Sakramentes
abgeben. Als ich vorgestern die Firmhelfer fragte, worüber ich denn predigen könnte,
d.h. ob sie wüssten, was die Firmlinge momentan stark beschäftigt, war die
prompte Antwort: der jetzige Krieg, die Opfer, das Leid, das er verursacht und
die Frage: Wo ist denn da Gott? Wie kann Er das zulassen? Ja, gibt´s ihn überhaupt?
Ist all das viele Leid in der Welt nicht ein Beweis gegen seine Existenz?
Ich bilde mir nicht ein, auf diese Fragen
eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort geben zu können. Aber ich will ein
paar Gedanken dazu vortragen, wobei ich beginnen will mit einigen persönlichen
Gedankensplittern zur jetzigen Situation im Irak.
Für das irakische Volk ist es innerhalb von
dreiundzwanzig Jahren der dritte Krieg, den es erdulden muss. 1980 war es der
achtjährige Krieg gegen die iranischen Ayatollahs, bei dem unter wohlwollendem
Zusehen des Westens zehntausende persische Schiiten den Giftgasgranaten Saddam
Husseins zum Opfer fielen. Man unterstützte auch und gerade mit Waffen
Beelzebul im Irak, um den angeblichen Teufel im Iran los zu werden.
In
Washington ging damals das Wort um: „We know he is a son of a bitch, but he is
our son of a bitch.” (Wir
wissen, dass er ein Hurensohn ist, aber er ist unser Hurensohn.)
Als Beelzebul seine Giftwaffen nicht mehr gegen die Perser im Iran wendete,
sondern den Westen bedrohte, kam 1991 „Desert Storm“, wurde aber nur halb zu
Ende geführt. Kurden und besonders Schiiten, die man zum Aufstand ermutigt
hatte, ließ man schmählich im Stich und lieferte sie zu tausenden ans Messer
des Schlächters von Bagdad.
Dann begann ein zwölfjähriger Krieg ohne
Waffen, der für die Bevölkerung den langsamen und schleichenden Tod brachte.
Man wusste im Westen gut genug, dass das Embargo nicht wirklich Saddam Hussein
und seinen Clan trifft, sondern letztlich vor allem die Bevölkerung, die
zermahlen wurde zwischen den Mühlsteinen der Brutalität des eigenen Regimes
und der westlichen Gleichgültigkeit, wahrhaftig kein Ruhmesblatt für den
Westen und seine Politiker. Ein hoch entwickeltes Land, zurückgeworfen auf den
Stand eines Entwicklungslandes, mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate der
Welt, etwa fünftausend sterben pro Monat durch Mangelernährung, mangelnde
medizinische Versorgung und chronische Durchfallerkrankungen und auch aufgrund
von verseuchtem Trinkwasser. Man kann hören, dass es cirka eine Millionen
Menschen sind (jedenfalls habe ich diese Zahl gelesen, ohne nachprüfen zu können,
ob sie stimmt), die das menschenverachtende Embargo des Westens das Leben
gekostet hat. Aber für die Toten aus der Zivilbevölkerung interessieren wir
uns und die Medien sich erst wieder, seit Bomben fallen, (die sicher nur einen
Bruchteil der durch das Embargo zu Tode Gekommenen fordern werden).
Natürlich sind wir alle oder jedenfalls die
meisten unter uns gegen den Krieg. Aber dabei sein wollen wir trotzdem. Und so
beginnt nach Feierabend das totale TV vom Tod. Die Bilder von den Bomben, die
Tod und Zerstörung bringen, - sehen wollen wir sie auch. Und nun die Frage, die
zu diesem Voyeurismus gar nicht passen will, die aber dennoch viele stellen: Wo
ist Gott? Wie kann Er das zulassen? Wieso verhindert Er es nicht,
wenn Er doch Gott ist?
Liebe Gemeinde!
Ich will einmal mit Gegenfragen antworten,
und ich wage es, diese Gegenfragen gleichsam Gott selbst in den Mund zu legen.
Ich stelle mir vor, Er würde mich und uns alle fragen: Ihr fragt: Wo bist du,
Gott? Ich aber möchte euch, dich, die Menschheit fragen: Wo bist du, Mensch?
Warum suchst du immer andere Schuldige, statt an die eigene Brust zu klopfen?
Wer ist es denn, der Terror und Gewalt verübt und Kriege anzettelt? Meinst du
im Ernst, dass ich das verhindern sollte anstatt dass du selbst, Mensch, es
verhinderst?
Ja, in einem spreche ich mich „schuldig“.
Ich spreche mich schuldig, dass ich euch nicht zu meinen Marionetten degradiere.
Ich spreche mich schuldig, dass ich euch etwas geschenkt habe, das ihr als eines
der kostbarsten Geschenke empfindet, nämlich eure Freiheit.
Ich spreche mich schuldig, dass ich euch nicht zwinge, an mich zu glauben und
auf mich zu hören. Ich spreche mich schuldig, dass ich euch nicht zwinge, in
die Kirche zu gehen und nach dem Evangelium zu leben und nur Gutes zu tun. Ich
spreche mich schuldig, dass ich das Projekt einer Welt mit freien
Geschöpfen verfolge, die ich als freie Partner auch dann achte und
respektiere, wenn sie Böses tun, und von denen ich will und erhoffe, dass sie
eben nicht aus Zwang, sondern aus freiem innerem Antrieb mitbauen an einer
besseren Welt. Ich spreche mich schuldig, dass ich mit dieser Mitgift der
Freiheit an meine Geschöpfe natürlich auch die Möglichkeit ihres Missbrauchs
eingegangen bin.
Doch letzte Frage: Würdet ihr in einer Welt
ohne Freiheit, die damit ja nur eine andere Art von Konzentrationslager mit mir
als alles bestimmendem Diktator wäre, überhaupt leben wollen?
Liebe Gemeinde, liebe Firmlinge!
In einer Welt ohne Freiheit gäbe es ohne
Zweifel all die Perversitäten menschlicher Bosheit nicht. Aber, das ist die
Kehrseite: es gäbe auch keine Liebe, keine Treue, keine Versöhnung, keine aus
freien Stücken kommende Hilfsbereitschaft; es gäbe nur ein Funktionieren
wie Marionetten an den Strippen eines Puppenspieler-Gottes, der alles nach
Seinem Gutdünken lenkt.
Die Antwort Gottes auf das Böse und das Leid
in der Welt ist nun aber eben nicht, dass Er uns das Geschenk der Freiheit
einfach wieder entzieht. Seine Antwort ist, dass Er in das von uns Menschen
verursachte Desaster der Welt selbst hinabsteigt; dass Er, Gott, einer von uns,
gerade auch einer der Leidenden wird. Unser Schreien, unsere Tränen, unsere
Schmerzen hat er an sich selbst erduldet, wie es in der Lesung hieß. Der Gott,
an den wir als Christen glauben, ist nicht einer, der hoch oben im Himmel
unserem Leiden ungerührt zusieht, sondern einer, der wie kein anderer in das
Dunkel und die Finsternis unserer Erde eingetaucht ist und uns als ein mit uns
leidender und mit uns sterbender und für uns unsere Schuld tragender Gott erlöst
hat.
Er ist
das Weizenkorn, das sich von den finsteren Abgründen der Erde hat verschlingen
lassen; aber in diesem Geschehen zeigt sich, dass die Liebe Gottes stärker ist
als selbst alle zerstörenden Kräfte des Bösen. Im Leidenstod und in der
Auferstehung des Weizenkorns Jesu hat der Aufbau einer neuen und besseren Welt
schon begonnen, und Frucht bringen will dieses Weizenkorn in uns.
Die neue und bessere Welt will Gott daher
durchaus bauen, aber nicht ohne uns, sondern nur mit uns. Jeder von uns hat die
freie Wahl, diesem Gott, der die Liebe ist und die Liebe getan hat, im eigenen
Leben und damit in dieser unserer Welt Raum zu geben. Dabei wird niemand von uns
den Krieg im Irak stoppen können. Niemand von uns wird die Erde in ein Paradies
verwandeln können. All das ist auch gar nicht unsere Aufgabe.
Aber jeder von uns kann die Welt verändern,
und zwar genau jenes Stückchen Welt, auf dem jeder von uns lebt und
Verantwortung trägt: für einen Ehepartner, Kinder, Familie, im Beruf, in der
Freizeit. Daher sollte das Leid und das viele Böse in unserer Welt uns nicht
gegen Gott und seine Existenz einnehmen. Denn mit dieser Einstellung ist nicht
einem einzigen Leidenden in der Welt geholfen. Vielmehr könnte es uns im
Gegenteil Ansporn sein, uns noch viel mehr zu Verbündeten Gottes zu machen,
nicht als seine Marionetten, sondern als seine freien Mitarbeiter.
Pfr. Bodo Windolf, St. Severin Garching
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