Predigt vom 19. Januar 2003

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Väter gesucht
Predigttext

St. Severin Garching
Zweiter Sonntag im Jahreskreis 19. Januar 2003
Les: 1 Sam 3,3b-10.19; 1 Kor 6,13c-15a.17-20
Ev: Joh 1,35-42

Väter gesucht

„Suchen. Und finden.“ So lautet das Motto des diesjährigen ökumenisch begangenen „Jahrs der Bibel“. Zugleich ist es das Motto das heutigen Familiensonntags.

„Suchen“! – Wir alle sind auf der Suche nach Glück, Geborgenheit, Erfüllung, mitmenschlicher Wärme und Nähe; und in all dem immer auch auf der Suche nach Gott.

„Und finden“! – Hinter diesem Teil des Mottos müsste eigentlich ein Fragezeichen stehen. Denn so sehr ausnahmslos wir alle nach dem Genannten suchen – aber das Finden, bleibt es nicht für Unzählige fragwürdig, enttäuschend, vergeblich?

Ohne Zweifel gibt es einen Ort, wo das Finden des Gesuchten am nachhaltigsten grundgelegt wird – oder auch nicht: das ist die Familie; das ist die Weise, wie Kinder durch das Erleben oder Nicht-Erleben ihrer Mutter als Mutter und ihres Vaters als Vater hineingeführt werden in ihr eigenes, persönliches Leben. So wichtig und unersetzlich hierbei die Mutter ist, in dieser Predigt möchte ich einmal das Hauptaugenmerk auf die Rolle des Vaters lenken. Drei Schlaglichter, wo mir das Thema in letzter Zeit begegnet:


Erstes Schlaglicht:

Es war wie ein Paukenschlag, als vor genau vierzig Jahren, 1963, in München das Buch von Alexander Mitscherlich erschien: „Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft“, eine soziologische und psychologische Studie über den schleichenden Zerfall männlicher Autorität, männlicher Vorbildlichkeit und insbesondere der Gestalt des Vaters.

Neununddreißig Jahre später, im vergangenen Jahr, veröffentlichte der deutsche Kurienbischof Paul Josef Cordes ein von dem Schriftsteller Botho Strauß sehr gelobtes Buch: „Die verlorenen Väter. Ein Notruf“. Es ist ein bewusst gewählter Titel, um auszudrücken: Der von Mitscherlich prognostizierte Weg in die vaterlose Gesellschaft ist inzwischen zu einem Gutteil zu Ende gegangen worden. Und unterwegs ging nicht nur der Vater vielen Kindern verloren, sondern unzählige Väter sich selbst, Männer sich selbst, weil total verunsichert und in Frage gestellt in ihrer männlichen Identität.


Ein weiteres Schlaglicht:

Vor wenigen Tagen sind Herr Fichtl und ich mit unseren diesjährigen Sternsingern in einem Kinderfilm gewesen, der von Freundschaft, Liebe zu den Eltern und besonders der Liebe zum Vater handelte. Bei der zwölfjährigen Ida, der Protagonistin des Films, ging sie so weit, dass sie bereit war, mit ihren Freunden einen wagemutigen Coup auf den hochgesicherten Tresor einer Bank durchzuführen, um an das Geld für eine lebensrettende Operation ihres Vaters zu kommen. Natürlich habe ich den Sternsingern den gescheiterten, aber glimpflich ausgehenden Bankraub nicht zur Nachahmung empfohlen. Aber eine Szene war für mich besonders eindrücklich: als nämlich Ida voller Verzweiflung über den möglichen Tod ihres Vaters spricht, und dazu einer der beiden Freunde nur sagt: „Wenn mein Vater sterben würde, würde ich das nicht einmal merken.“ So pragmatisch der Junge das feststellte, so abgründig tief ließ das in seine einsame Kinderseele blicken. Welch notvoller Schrei verbarg sich in dieser sachlichen Feststellung. Aber um einen solchen Vater wie den von Ida zu retten, war er bereit, alles zu geben.


Ein letztes Schlaglicht:

Auf einer Fortbildung, die erst diese Woche in der Grundschule West stattfand, stellte die Referentin fest: Wenn es heute überhaupt noch nachhaltig prägende Vorbilder für Kinder gibt, dann sind es Mütter und Frauen. Väter und Männer fallen weitestgehend aus.

Vielleicht ist dies ein wenig zu pauschal geurteilt; aber immerhin ist es ja tatsächlich so, dass es in Kindergärten, Grundschulen und Horten so gut wie nur Frauen. Unzählige Kinder erleben während der prägendsten ersten zehn Jahre ihres Lebens und oft darüber hinaus weder in der Familie noch in den öffentlichen Einrichtungen irgendein männliches Vorbild. Es ist aller Bewunderung wert, was hier Mütter, oft auch Alleinerziehende, und viele Frauen leisten.  Aber entwicklungspsychologisch weiß man inzwischen viel genauer als früher, wie wichtig die gegenseitige Ergänzung von Mutter und Vater, von Frau und Mann, von weiblich und männlich ist, und dass keine Seite die andere einfach zu ersetzen vermag.


Werfen wir noch einen Blick auf soziologische Studien der jüngsten Zeit: Die Autorin einer amerikanischen Untersuchung: „Father Hunger: Fathers, Daugthers & Food“, zeigt, wie wichtig Väter gerade auch für ihre Töchter sind, und dass Essstörungen wie Appetitlosigkeit oder dauernder Heißhunger, Bulämie und auch klinische Depressionen oft mit der Abwesenheit väterlicher Liebe zusammenhängen. Viktoria Secunda schreibt in „Women and their Fathers“: „Väter bestimmen viel mehr noch als Mütter, was es bedeutet, ein ‚Mädchen’ zu sein und ob sie sich wohl fühlt in ihrer eigenen weiblichen Haut.“ Viele Töchter erleben die Abweisung von Vätern nicht nur persönlich, sondern auch als Herabsetzung ihrer Weiblichkeit.

Bei Jungen und späteren Männern ist es nicht anders. Es gibt erschütternde Berichte darüber, wie viele an Vater-Mangel leiden: wie schwer sich die einen tun, eine positive männliche  Identität zu entwickeln, oft mangels entsprechender Vorbilder; andere reagieren so, dass sie ihre Männlichkeit in einer pervertierten Absetzung von allem Weiblichen suchen, in Machogehabe, teilweise auch in Gewalt und Brutalität.

In seinem Buch verfolgt Cordes an vielen Beispielen die verheerenden Spuren erlittener Vaterlosigkeit, deren Leid sich ausdrückt in Bemerkungen wie: „Er hat sich nie für mich interessiert.“ „Mein Vater hat mir nie beigebracht, wie man einen Ball wirft ... nie beigebracht, wie man ein Mann wird.“ „Er hat mich nie gelobt.“ „Eines Tages war er einfach weg.“

Als Resümee sei ein weiterer Autor zitiert:“ Es gibt etwas, das nur ein Vater vermag: nur er kann das drohend Gebietende seiner Erscheinung durch das Hüteramt seiner leitenden, lenkenden Stimme ausgleichen (...) Nächst dem Erkennen, das ein gütiges Gesichts bekundet, ist die Bestätigung das Hauptelement des menschlichen Identitätsgefühls. Es geht hier weniger um die Frage, ob ein Vater im Urteil anderer mustergültig ist, als darum, dass er greifbar ist, dass er bestätigt. Unerreichbare gute Väter sind die schlimmsten“ (Cordes 50).

Doch es gilt, noch einen Schritt weiter zu gehen. Bischof Cordes untersucht in seinem Buch nicht nur die seelischen, sondern auch die geistlichen Folgen nicht erlebter Vaterschaft. Eine Grundthese von ihm lautet: Eine vaterlose Gesellschaft führt letztlich zu einer gottlosen Gesellschaft.

Es ist fast logisch: Wer mit dem leiblichen Vater keine oder eher negative Erfahrungen verbindet, für den ist der Weg zum biblischen Vatergott zumindest sehr erschwert. Man weiß aus Untersuchungen, dass für die religiöse Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und späteren Erwachsenen, besonders was die Buben betrifft, der Vater fast noch wichtiger ist als die Mutter. Vielleicht deswegen, weil es als viel weniger selbstverständlich empfunden wird, dass auch der Vater betet, für sich allein, mit den Kindern, dass er den Gottesdienst besucht, oder um es einmal so auszudrücken: dass auch er vor Gott seine Knie beugt.


Liebe Gemeinde!

Ich will zusammenfassen: Wenn ein Vater seinen Kindern wirklich ein Vater und eine Mutter ihren Kindern eine Mutter ist, dann sind beide zusammen zwar nicht eine Garantie, aber ein entscheidender Schlüssel für eine seelisch gesunde Entwicklung ihrer Kinder und auch dafür, besonders wenn sie sich als eine christliche Familie verstehen, dass Kinder ihr Leben verankern lernen in Gott, unserem Vater, der zugleich wie eine Mutter ist.

Damit ich nicht missverstanden werde: Ich kenne Mütter und vereinzelt Väter, die mehr oder weniger allein in vorbildlicher Weise ihre Kinder großziehen. Ich kenne natürlich auch nicht wenige Väter, die ihren Kindern wirklich ein Vater sind. Aber es schmerzt mich sehr, den gesamtgesellschaftlichen Trend zu einer immer mehr vaterlosen (und teils auch mutterlosen) Gesellschaft zu beobachten und die furchtbaren Folgen für unzählige Kinder.

Schließen will ich mit einem Gedanken von Traugott Giesen.

„Kinder machen uns zu Liebenden.
Sie sind ein Sog von mir weg.
Ein Kind sieht Dich an und Du weißt,
Du musst Dich kümmern,
sonst verrätst Du alles, was Dir heilig ist.“

Pfr. Bodo Windolf

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