St. Severin Garching
Taufe des Herrn und Patrozinium zu St. Severin am 12. Januar
2003
Les: Jes 42,5a.1-4.6-7; Apg 10,34-38
Ev: Mk 1,7-11
Wer ist ein Heiliger?
Zwei Feste an einem Tag: Fest der Taufe
des Herrn und Fest des Patroziniums unserer Pfarrgemeinde; Fest Jesu Christi,
auf dessen Namen wir alle auch getauft sind und Fest seines
heiligen Dieners Severin. Lassen sich beide Feste miteinander verklammern?
Ja,
ich denke schon. Am besten vielleicht über die Frage: Wer ist denn eigentlich
ein Heiliger?
Eine Antwort könnte lauten: Ein Heiliger ist ein Mensch, der es mit Hilfe der
Gnade Gottes vermocht hat, radikal, das heißt bis an die Wurzel das ganze
eigene Dasein erfassend, aus der Gnade der
Taufe zu leben; und zwar auf eine immer einmalige, je ganz persönliche
Weise. Heilige waren zu allen Zeiten große, originelle Persönlichkeiten mit
einem unverwechselbaren Profil, so auch der heilige Severin.
Doch Frage: Ist Heiligkeit nur der Weg einer winzigen Elite aus der unabsehbaren
Schar der Getauften? Unser jetziger Papst wird nicht müde zu betonen, dass im
Grunde ausnahmslos jeder Christ, also auch jeder von uns, zur Heiligkeit berufen
ist. Wir sind berufen, zum Resonanzraum jenes Rufes zu werden, den wir vorhin
gehört haben: „Du bist mein
geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter!“ – eine Liebeserklärung des
Vaters, die nicht nur seinem Sohn Jesus Christus gilt, sondern in ihm uns allen;
auch uns zugesagt in unserer eigenen Taufe. Als von Gott Geliebte aus dieser
Liebe heraus zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen, zu beten und wieder zu lieben,
Gott und unsere Mitmenschen, und dies entschieden, radikal, bei Versagen in
immer wieder neuen Anläufen und Versuchen zu tun – das heißt Christ sein;
das heißt, den Weg der Heiligkeit gehen, mit anderen Worten: den Weg des Heilwerdens.
Im Wort heilig steckt ja nicht von ungefähr das Wort heil im Sinne von heil
werden und heil sein. Der Weg der Heiligkeit als ein Weg des Heilwerdens, damit
gleichsam Medizin für Wunden, Leiden, Verkehrtheiten, Sünden unserer Zeit,
unserer Gesellschaft, von uns selbst.
Schlaglichtartig nur zwei Wunden, zwei Krankheiten im Profil des modernen
Menschen, hochgradig ansteckend auch für uns Christen, aber heilbar in einem
entschiedenen Weg des Glaubens.
Eine erste Wunde: Der moderne Mensch hat einen bis zum Rand gefüllten
Terminkalender, kaum eine Minute die nicht schon verplant wäre, und daher
vielfach kaum mehr Zeit für das eigentlich Wichtige des Lebens: zum Beispiel für
die Familie, und am allerwenigsten Zeit für Gott. Eine endlose Unrast
beherrscht, ja versklavt unzählige Menschen unserer Zeit, permanente Geschäftigkeit
in Arbeits- und Freizeitstress, ein ständiges sich Aufhalten in so viel
Unwesentlichem, Unbeständigem, das uns kaum zur Besinnung kommen lässt. Was
heute top ist, ist morgen schon hop.
Renate Köcher vom demoskopischen Institut Allensbach hat erst kürzlich in
einem Artikel im Rheinischen Merkur als symptomatisch für dieses Leben im
Unbeständigen, in der Zerstreutheit und ohne Bereitschaft, in die Tiefe zu
gehen, das folgende Phänomen beschrieben: Die Menschen sind „heute immer mehr
von kurzlebigen Aufregungszyklen bestimmt, die sich in rasender Folge ablösen
... BSE, Terroranschläge, Pisa, Nitrofen, Amoklauf von Erfurt, Geiselnahme von
Moskau, Jahrhundertflut, Irak-Kriese. Die Ereignisse lösen sich in kürzester
Folge ab und fesseln und beschäftigen die Menschen jeweils für einige Tage,
manchmal Wochen und verschwinden wieder, teilweise so, als hätte es sie überhaupt
nicht gegeben.“
Diese ungeduldige,
sensationshungrige Orientierung an kurzlebigen Ereignissen liegt nach Renate Köcher
quer zum geduldigen und in die Tiefe gehenden Fragen nach Sinn, Religion, religiöser
Erziehung und ethischen Fragen.
Demgegenüber wird nun der Christ sicher keinen weniger gefüllten
Terminkalender und beileibe auch kein geringeres Interesse an den genannten
Themen haben. Wohl aber wird er jemand sein, der mitten im rasenden Fluss der
Zeit hat, nein, sich Zeit nimmt
für das, was Bestand hat, für das Ewige, für das die Zeit Tragende und
ihr Sinn Verleihende, für Gott. Der Christ wird ein nachdenkender und vor allem
betender Mensch sein. Ein Christ ohne Gebet ist wie ein Schwimmbecken ohne
Wasser. Ein Christ aber, der betet, heiligt sich und die, für die er betet und
heilt jene klaffende Wunde unserer Epoche, die im Vergessen Gottes und damit im
oft schmerzlichst empfundenen Verlust des Lebenssinns vieler Menschen besteht.
Eine zweite Wunde sei illustriert an einem tagespolitischen Ereignis. Dass
jemand einen gefüllten Terminkalender hat, ist in unserem Land geradezu zu
einem Privileg geworden. Über vier Millionen Arbeitslose teilen dieses Privileg
nicht. Der gestrige Tarifabschluss erscheint mir persönlich als symptomatisch für
unser Land und auch als ein Schlag ins Gesicht dieser vier Millionen Menschen.
Die besitzende Schicht der Arbeitsplatzbesitzer streicht ein, wir wissen nicht,
wie vielen dies wieder ihre Arbeitsstelle kosten wird. Vier Millionen, eine
anonyme Zahl. Dahinter verbergen sich ungezählte Einzelschicksale, oft ganze
Familien. Wir alle wissen, dass wir kürzer treten müssten. Aber bitte die
anderen, doch nicht ich. Wir alle wissen, dass wir alle miteinander schon seit
drei Jahrzehnten weit über unsere Verhältnisse leben, und hier und heute das
Geld und den Wohlstand der zukünftigen Generation verfrühstücken. Aber was
geht mich das an? Nach mir die Sintflut! Mag sein, dass die Politik und die
Politiker einiges zu wünschen übrig lassen. Aber mit Verlaub gesagt: es ist
auch nicht einfach, ein Volk von unzähligen Egoisten zu regieren, wobei die
gewiss nicht wenigen Ausnahmen, die es gibt, leider doch nur bestätigen, was
bei uns tendenziell zur Regel geworden ist: zunächst einmal das eigene
Scherflein ins Trockene bringen, alles andere ist höchstens zweitrangig.
Was zeichnet dagegen den Christen aus? Nicht in erster Linie Selbstbehauptung,
nicht zuallererst „Ich, Ich“ stehe ganz oben auf der Agenda, sondern Du; Du,
mein Mitmensch. Damit es Dir gut geht,
kann ich auch auf etwas verzichten, kann ich zuerst an dich
denken, für dich da sein, mich dir geben. Du statt vor
allem ich, Hingabe statt vor allem Selbstbehauptung,
auch einmal Verzicht statt immer nur haben
wollen. Tun das nur Christen? Nein, sicher nicht. Aber wir sollten es
besonders radikal tun, heiligmäßig, und so wiederum uns und andere heiligend
und heilend.
„Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter.“ So spricht
Gott zu Jesus, so spricht er zu uns. Aus dieser Liebe leben, diese Liebe leben
– das heißt Christsein; das heißt, heil und heilig zu werden, wozu wir alle
berufen sind.
Pfr. Bodo Windolf
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