St. Severin Garching
Zweiter Sonntag nach Weihnachten 5. Januar
2003
Les: Sir 24,1-2.8-12; Eph 1,3-6.15-18
Ev:Joh 1,1-18
Das „Wort Gottes“ in den Religionen, insbesondere im Christentum
Der Prolog, den Johannes seinem Evangelium
voranstellt, ist dichteste und vollendetste Theologie; theologische Reflexion
auf das Weihnachtsgeheimnis, auf den Logos, das fleischgewordene Wort Gottes;
Grund genug für mich, der ich selbst ein leidenschaftlicher Theologe bin, Ihnen
in der heutigen Predigt ein wenig Theologie zuzumuten.
Gemeinsam mit Ihnen möchte ich einmal darüber nachdenken, was eigentlich das Wort Gottes ist; was vor allem wir Christen für ein Verständnis
von jenem Wort haben, in dem Gott sich uns offenbart.
Zunächst ein kurzer
Blick auf den Koran. Dieser bezeichnet Juden, Moslems und Christen insgesamt als
die „Leute des Buches“. In Sure 13,39 spricht er von der „Mutter des
Buches“, einer himmlischen ungeschaffenen Urschrift aller heiligen Bücher,
die allerdings im Judentum und Christentum verkürzt und verfälscht worden sei,
während sie allein im Koran absolut getreu überliefert ist.
Judentum, Christentum und Islam also als die drei großen Buchreligionen
im Verständnis des Islam. Auf den ersten Blick scheint dies auch zu
stimmen. Die Juden verehren die Tora,
die ersten fünf Bücher Mose als Wort Gottes, wozu noch die Propheten- und
Weisheitsbücher hinzutreten, weitestgehend identisch mit dem christlichen Alten
Testament; die Moslems verehren den Koran;
die Christen die Bücher sowohl des Alten wie
auch des Neuen Testaments.
Doch schauen wir von dieser oberflächlichen Gemeinsamkeit einmal auf das
tiefere Verständnis von dem, was hier jeweils die Selbstoffenbarung Gottes in
seinem Wort meint. Zunächst noch einmal ein Blick auf den Koran. Der Koran und
damit die Offenbahrung Gottes im Islam hat eigentlich keine wirkliche
Geschichte. Innerhalb der Zeitspanne eines einzigen Prophetenlebens, nämlich
das des Mohammed, wird das Wort Gottes gewissermaßen als Buch
zur Erde gesandt. Anders ausgedrückt: Das Wort Gottes wird Buch, ja es wird
Buchstabe bis ins letzte Zeichen hinein. Wort für Wort ist es von Gott
vermittels des Erzengels Gabriel diktiert; restlos alles von gleicher göttlicher
Würde.
Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus? Die, dass es hier eigentlich keine
historisch-kritische Exegese des Koran geben kann und in der Tat in der gläubigen
moslemischen Koraninterpretation auch nicht gibt. Koranstellen, die von Gewalt,
Verfolgung, Heiligem Krieg und so fort sprechen, aus der Zeit heraus zu
verstehen und zu relativieren gegenüber Stellen, die eine relative Toleranz
ausdrücken, wie zum Beispiel die, wo es heißt, dass es in der Religion keinen
Zwang gibt, - dafür bleiben so gut wie keine Spielräume. Da es hier auch kein
Lehramt gibt, das eine authentische Auslegung geben könnte, werden die, die den
Islam tolerant und friedlich auslegen, sich genau so auf den Koran berufen können
wie die, die ihn aggressiv und Gewalt legitimierend auslegen. Ein Problem, das
wir heute sehr konkret spüren.
Wie ist das Verständnis des Wortes Gottes im Judentum? Hier hat die
Selbstoffenbarung Gottes eine Geschichte,
die sich über Jahrhunderte erstreckt. Das Buch fällt nicht als Buch gleichsam
vom Himmel. Im Gegenteil: Immer wieder neu werden die Taten, Hulderweise und die
durch die vielen Propheten gesprochenen Worte Gottes bedacht, meditiert, neu
interpretiert, neu gelesen und über einen langen Prozess mündlicher Tradition
hinweg immer wieder neu schriftlich niedergelegt. Man kann hier eine
Entwicklung, ein immer tieferes Verstehen Gottes feststellen. Viele Stellen sind
nur im Licht anderer richtig zu verstehen. Hier kann gar nicht jedes einzelne
Wort isoliert als göttlich offenbart
und ewiggültig und damit irrtumslos verstanden werden. Die Irrtumslosigkeit
bezieht sich nicht auf jeden einzelnen Satz, sondern auf die Aussageabsicht, die
immer nur im Licht des Ganzen deutlich
wird.
Aber im Kontext des jüdischen Glaubens geschieht noch mehr mit Gottes Wort. Es
ist nicht so: hier das Wort, fixiert
in der Tora, und dort droben, in
unendlicher Ferne Gott. Nein, die heutige Lesung drückt es sehr schön aus: in
seinem Wort, in der Weisheit seines Wortes wohnt Gott selbst mitten unter seinem
Volk. Hier hat sie, seine Weisheit, ihre Ruhestätte, ihr Zelt, ihre Wohnung,
das Volk allezeit behütend, begleitend, mahnend, anspornend. Schechinah
wurde diese Gegenwart Gottes mitten in seinem Volk, insbesondere im
Bundeszelt der Wüstenwanderung und im Tempel zu Jerusalem, bezeichnet.
Was wir hier erleben, ist so etwas wie ein Vorverständnis von dem, was für uns
Christen das Wort Gottes ist. Für uns ist das Wort
Gottes letztlich nicht ein Buch, nicht die Bibel, sondern ein Mensch. Die Bibel ist das
inspirierte Zeugnis vom Wort, das der Sohn,
das Jesus Christus ist. Das Wort wird für uns daher auch nicht ein Buch, sondern es wird Fleisch,
es nimmt ein menschliches Antlitz an; es ist unendlich viel mehr als ein toter
und starrer Buchstabe, es ist ein lebendiger
Mensch; Gott offenbart sich endgültig nicht in geschriebenen Sätzen,
sondern im lebendigen Schicksal eines
Menschen, im menschlichen Leben, Reden, Handeln, Sterben und Auferstehen Jesu
von Nazareth. In all dem offenbart sich und sehen wir, wer und wie Gott ist und
was er für uns tut.
Wobei in dem Aufgezählten noch eine Dimension fehlt. Buddhisten und Hinduisten
könnten einwenden: Es gibt gar kein Wort, das, weil menschliche Worte immer
endlich sind, den unendlichen Gott ausdrücken und erfassen könnte. Die
letztlich angemessene Haltung vor Gott ist, alle Worte hinter uns zu lassen und
ins reine Schweigen einzutreten.
Was sagt ein Christ dazu? Zunächst einmal: Es ist Gott selbst, der sich ausgesagt und damit für uns sagbar
gemacht hat in seinem Wort an uns, zuhöchst im fleischgewordenen Wort des
Sohnes. Dieses Wort können und dürfen wir nie hinter uns lassen, wollen wir
Gott nicht verfehlen. Aber in dieses Wort gehört das Schweigen mitten hinein.
Bedenken wir nur: neun Zehntel seines Lebens hören wir nichts vom
fleischgewordenen Wort Gottes. Es schweigt. Schweigend, in Stille arbeitend,
betend, meditierend reift das Wort, der Sohn, jenen höchstens drei kurzen
Jahren entgegen, in denen es öffentlich spricht und handelt. Und das heißt:
Wir müssen auch das Schweigen mitten in seinem Wort hören. Gott selbst und das
Wort von ihm ist immer unendlich größer als das, was wir von beidem verstehen.
Besser verstehen werden wir es auch nur, wenn wir schweigend und betrachtend im
Wort und beim Wort verweilen. Christliches Beten, das nicht auch die Dimension
des Schweigens, des schweigenden Verweilens vor Gott enthält, steht in Gefahr,
zu Plapperei zu werden. Aber immer ist dies ein Schweigen nicht jenseits des Wortes, sondern immer ein Schweigen mitten
im Wort und im Angesicht des Wortes Gottes, in dem Gott selbst zu mir
spricht.
Liebe Gemeinde!
Dieses Jahr ist von der evangelischen und
katholischen Kirche als ein ökumenisches Jahr der Bibel ausgerufen. Im Wort
der Schrift begegnet uns das Wort im
Fleisch, Jesus Christus, der uns Kunde gebracht hat vom Vater. Vielleicht könnte
dieses Jahr der Bibel ein Anlass sein, sich einmal mit dem Wort Gottes
vertrauter zu machen, zum Beispiel indem man eines der Evangelien einmal im
Zusammenhang liest, jeden Tag einen kleinen Abschnitt, über den man nachdenken
und beten kann. Das Markus- oder Matthäusevangelium würden sich für den
Anfang sicher am besten eignen. Dieses Wort ist uns geschenkt gleichsam als die
Liebesbriefe Gottes an uns. In ihnen begegnen wir Christen, dem Sohn, der am
Herzen des Vaters ruht und uns Kunde gebracht hat, die Gnade und die Wahrheit.
Pfr. Bodo Windolf
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