Predigt vom 29. Dezember 2002

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Staatliche Betreuung oder familiäre Erziehung?
Predigttext

St. Severin Garching
Sonntag in der Weihnachtsoktav - Fest der Heiligen Familie 29. Dezember 2002
Les: Sir 3,2-6.12-14; Kol 3,12-21
Ev: Lk 2,22-40

Staatliche Betreuung oder familiäre Erziehung?

Gottes ewiger Sohn steigt herab aus der Ewigkeit des Vaters in die Endlichkeit unserer Welt und wird Mensch. Er fällt nicht vom Himmel herab als fertiger Mensch, sondern er wird es in der ganzen zeitlichen Erstreckung, die das Wort „werden“ ausdrückt. Wo wird er es? In einer ganz normalen, unscheinbaren Familie in Nazareth. Er wächst heran in einer Familie. Er lernt wie unzählige Kinder vor und nach ihm gehen, reden, glauben, beten in einer Familie. Er hat die Wurzeln seines Menschseins in einer Familie. Er wird nicht, wie ein Dalai Lama, herausgerissen aus dem Schoss der Familie, um in der Abgeschiedenheit eines Klosters in strengstem Reglement auf seine große Aufgabe vorbereitet zu werden. Vielmehr reift er, der schlechthin Besondere, auf eine gänzlich unbesondere Weise seiner Sendung entgegen: eben, in einer ganz und gar unspektakulären Familie.

Dabei erfahren wir von der selbstverständlichen Sorge und Präsenz der Mutter Maria und des Nährvaters Josef; wir erfahren, zum Beispiel im heutigen Evangelium, wie sie Jesus über die bergende Gemeinschaft der Familie hinaus einführen in die Glaubensgemeinschaft seines jüdischen Volkes. Das häusliche Gebet und das öffentliche Gebet im Tempel und Synagoge zeigen, dass die innere Mitte dieser Familie Gott ist. Und dieses schlichte Faktum der Einbettung Jesu und seines Gedeihens in familiärer Geborgenheit ist der Kirche so wertvoll und wichtig, dass sie dieser Familie ein eigenes Fest widmet: das Fest der Heiligen Familie.


Doch stopp!

Ist das nicht pure Nostalgie? Altbackene Tradition? Ein längst überholtes Konzept von Familie? Wo es noch einen Vater gibt, der noch dazu auch erlebt wird von seinem Kind oder seinen Kindern, anstatt keines Vaters oder gleich deren mehrere, was Kinder oft innerlich zerreißt. Wo es auch noch eine Mutter gibt, die einfach da ist, zu Hause, für ihre Familie? Haben wir es da nicht wieder: die Frau als das Heimchen am Herd, anstatt dass sie im Beruf, ich sage in diesem Zusammenhang bewusst nicht: ihre Frau, sondern ihren Mann steht; denn immer noch erscheint das traditionell männliche Tun der Erwerbsarbeit als das Wertvollere und gesellschaftlich Angesehenere gegenüber der häuslichen Arbeit.

Ich möchte, Stimmen unserer Zeit aufgreifend, weiter fragen: Ist es überhaupt noch wünschenswert, wenn einer der beiden Eltern – die Mutter oder auch der Vater – bei ihren Kindern bleibt? Wird nicht Arbeitskraft und berufliche Qualifikation dem eigentlich doch viel wichtigeren Wirtschaftsprozess des Landes entzogen? Steht das nicht außerdem der eigenen Selbstverwirklichung entgegen? Ja kann man und soll man überhaupt noch Eltern die Erziehung ihrer Kinder einfach so überlassen? Kann man ihnen das überhaupt zutrauen? Sollte da nicht unbedingt und massiv der Staat mit seinen öffentlichen Erziehungseinrichtungen einspringen? 

„Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen“, war die Familienministerin erst kürzlich zu vernehmen. Erlernen von Liebe als neues Unterrichtsfach in der Schule: weil normale Eltern damit natürlich vollkommen überfordert sind, springt Väterchen Staat in die Bresche. Das Ergebnis kann man sich ausmalen: nach dem Vorbild ranghoher Politiker könnte man z.B. sehr Persönliches über das Eheglück mit der soundsovielten Frau erzählen oder auch eine Liebesromanze über Romeo und Julius zum Besten gegeben wird. 

Noch schlimmer der Satz, den kurz nach der Wahl der neue Generalsekretär einer der Regierungsparteien von sich gab. Mit dem massiven Ausbau der Ganztagsbetreuung der Kinder wolle man, so wörtlich, „eine kulturelle Revolution“ erreichen und „die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“. Dieser Satz mit seiner menschenverachtenden Wortwahl wäre für mich ein klarer Kandidat für das Unwort des Jahre. Wie soll man sich da nicht erinnert fühlen an den scheinbar zu unrecht tot geglaubten Staatssozialismus der DDR mit seiner angezielten totalen Kontrolle über seine Untertanen.

Was wäre demgegenüber die wirkliche Aufgabe des Staates? Wie ich meine, wäre seine Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Müttern und Vätern erlaubt, in Freiheit zu entscheiden, ob einer von ihnen überwiegend bei den Kindern bleibt, um sie selbst zu erziehen  und so den Beruf einer Hausfrau oder eines Hausmannes auszuüben; oder ob beide einem bezahlten Beruf nachgehen und mit dem für die Kinder erhaltenen Geld eine Betreuungseinrichtung bezahlen wollen. Seine Aufgabe ist sicher nicht, Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese freie Wahl nicht ermöglichen oder zumindest sehr erschweren. Denn mit dem einseitigen Hineinpumpen von Geldern in Krippen, Ganztagskindergärten und –schulen werden unzählige Eltern vom Staat in einem gewissen Sinn entmündigt. Viele, auch die, die es eventuell anders wollten, werden in die doppelte Erwerbsarbeit getrieben, weil man sich Kinder mit einem Einkommen kaum mehr leisten kann. Weil auf diese Weise Kinder zum Armutsrisiko Nummer eins in unserem Land geworden sind. Und das ist so, weil es von der ganzen Steuer- und Rentengesetzgebung her niemanden gibt, der hierzulande vom Staat so geplündert und ausgebeutet wird wie die Familien. Wobei ich unter entsprechenden Rahmenbedingungen nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht schon längst geforderte finanzielle Besserstellung verstehe, sondern auch, dass die Niedrigbewertung, ja teils Verächtlichmachung von Haus- und Erziehungsarbeit jener Mütter und Väter aufhört, die gegen den gesellschaftlichen Trend dazu noch den Mut aufbringen.

Deutschland gilt in Europa als eher kinderunfreundliches Land. Eine Veränderung muss in unseren eigenen Köpfen beginnen; um nur ein Beispiel zu nennen: es muss ganz konkret hier in der Kirche beginnen. Wo Eltern mit Kindern sind, ist ein Gottesdienst einfach ein wenig unruhig. Es bedarf hier einer – ich betone – natürlich gegenseitigen Rücksichtnahme; von den Älteren aber einfach Toleranz, nein, noch mehr, einfach das Sich-freuen an den Kindern.

Dass Kinder in der Geborgenheit einer intakten Familie aufwachsen können, damit sie zu seelisch gesunden, leistungsfähigen, verantwortungsbewussten und sozial eingestellten jungen Frauen und Männern heranwachsen, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Wo wir als Noch-Singles, als werdende oder schon Eltern bzw. Großeltern das unsere zu einem familienfreundlichen und unterstützenden Klima beitragen können, durchaus nach dem Vorbild der Heiligen Familie, da sind wir alle in die Verantwortung gerufen.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2003    WebMaster: Herbert Bauernfeind   bauernfe@t-online.de