Predigt vom 24. Dezember 2002 (Hl. Abend)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein
Predigttext

St. Severin Garching
Heilig Abend 2002
Les: Jes 9,1-6; Tit 2,11-14
Ev: Lk 2,1-14

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Was feiern wir an Weihnachten? Jüngsten Umfragen zufolge wächst in Deutschland rapide die Zahl derer, die auf diese Frage keine Antwort mehr wissen, besonders unter der jungen Generation. Eine neue Art von Analphabetismus macht sich unter uns breit. Man kann virtuos den Computer bedienen. Man kennt noch den achten Mann auf der Reservebank des 1. FC Bayern. Aber Schweigen im Walde, wo es um die einfachsten Grundkenntnisse unseres christlichen Glaubens geht. Religiöser Analphabetismus. Es sind nicht nur Christen, sondern auch Ungläubige, die etwas tiefer nachdenken, denen diese Entwicklung große Sorge bereitet: dass nämlich die Wurzeln unserer Kultur, unseres Gemeinwesens, unseres abendländischen Humanismus mehr und mehr einfach abgeschnitten werden.

Und weit und breit nichts in Sicht, das an die Stelle treten könnte; das das entstandene Vakuum ausfüllen könnte, außer in der Regel dem banalen Materialismus unserer Konsum- und Spaßgesellschaft. (Natürlich machen wir uns berechtigte Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land und damit über die materiellen Grundlagen unseres Daseins. Aber können wir es uns auf Dauer leisten, darüber die geistigen und religiösen Grundlagen unseres Lebens und unserer Kultur so zu vernachlässigen, wie es zur Zeit der Trend ist? Wo wir das Wort: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, nicht mehr ernst nehmen und so tun, als sei es uns doch genug satt zu werden und Spaß zu haben – wird das nicht auf Dauer zu seelischen Verwüstungen beginnend unter Kindern und Jugendlichen führen, die sich heute schon abzeichnen?)

Noch ein weiteres Kennzeichen unserer Zeit, ebenfalls eine Folge mangelnder Kenntnis des eigenen christlichen Glaubens: Es wird immer schicker zu sagen: Die Religionen – ob Christentum oder Judentum oder Islam oder Buddhismus oder Hinduismus – seien letztlich ja doch alle gleich. Ungefähr, so wird behauptet, sagten sie alle dasselbe, nur die einen formulieren es so und die anderen ein wenig anders.


Liebe Schwestern und Brüder!

Ich behaupte: Wer so redet, weiß in der Tat nicht, was wir heute feiern und was Weihnachten letztlich und eigentlich bedeutet. Ich will versuchen, es in ein paar Sätzen zu skizzieren.

Was feiern wir Weihnachten? Selbstverständlich: Wir feiern Gott. Doch was für einen Gott? Und genau hier sind wir am springenden Punkt; da, wo der Unterschied zu allen anderen menschheitlichen Religionen aufreißt; wo, wie der Schweizer Dichter Kurt Marti schreibt, „Gott die Gottesbilder, die wir uns von ihm machen, zerschlägt“. Es hört sich ganz einfach an und revolutioniert doch unser Gottesbild. Denn wir feiern einen Gott, der die Liebe – tut. Der es leid ist, nur Sprüche über die Liebe zu machen, wie es in einem gewissen Sinn noch im Alten Testament der Fall ist, wo es immer wieder heißt: Spruch des Herrn. Der Gott, den wir heute an Weihnachten feiern, wollte es nicht dabei bewenden lassen, uns seine Liebe immer nur mündlich zu beteuern. Er wollte nicht nur ein Gott sein, der sagt: Ja, ich liebe dich zwar, aber das Leiden, das Sterben, das, was dir das Leben oft so schwer macht – damit will ich nichts zu tun haben. Vielmehr wollte er ein Gott sein, der solchen Einwürfen den Wind aus den Segeln nimmt.

Wir alle wissen: Liebe erweist sich nicht in noch so schönen Worten, sondern in Taten. Offensichtlich gilt dies auch für Gott. Und so entschloss Er sich, seine Liebe in der Tat zur Tat werden zu lassen. Er entschloss sich, eine menschliche Gestalt anzunehmen mit restlos allen Konsequenzen. Er entschloss sich, ein Mensch wie wir zu werden. Die Menschwerdung des ewigen Sohnes Gottes im Menschen Jesus Christus ist daher die Praxis der göttlichen Liebe zu uns.

Theopraxie anstelle von nur Theologie; Gottes-Tun statt nur Gottes-Rede. Dass an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte der Ewige selbst in die Zeit eintritt; dass der unendliche Gott, ein endlicher Mensch wird; dass der Leidlose leidensfähig, der Unsterbliche sterblich, der göttlich Reiche arm und elend wird; dass der Allgewaltige und Allmächtige als gewaltlos-ohnmächtiges Kind in der Armseligkeit eines lausigen Stalles geboren wird, und dass Er bei all dem nicht nur so tut als ob, sondern sich wirklich und wahrhaftig bis ins Letzte schicksalhaft-tragisch einlässt auf unser menschliches Leben; dass Gott sich einmenscht in unsere Welt, einwurzelt bis zur letzten Konsequenz seiner Entwurzelung am Kreuz, mit dem wir Ihn damals wie heute hinauswerfen wollen aus dieser unserer Welt, damit Er, Gott, unsere Kreise nicht stört – all das zeigt uns einen Gott, wie ihn keine andere Religion auch nur von ferne kennt. Vor allem aber zeigt uns dieser Gott, der solchermaßen seine Liebe tut – was wir Menschen  ihm wert sind. Er zeigt uns, was ich, Mensch, Ihm, Gott, wert bin. Dass Gott Sich würdigt, mein Bruder zu werden im Geburtstagskind dieser Nacht; dass ich Ihm Schwester und Bruder sein darf; und dass Er mein Schicksal auf sich nehmen und mit mir teilen will, um mich zu erlösen, um mich in die Freude, in den Frieden und in die Freiheit der wahren Kinder Gottes zu führen, dass Gott dies für den Menschen, für jeden Menschen tut, - das ist eine der entscheidenden Wurzeln unseres abendländischen Humanismus; hier wird auch die Botschaft unserer Menschenwürde geboren.

Die Botschaft der Weihnacht zu kennen, noch mehr, an sie zu glauben; noch mehr: aus ihr zu leben, das heißt, sich in jenen Gott einwurzeln, der sich durch seine Menschwerdung schon in mich und mein Menschsein eingewurzelt hat.

Diese Botschaft aber braucht Zeugen. Sie trägt sich nicht von selbst weiter. Wer sind diese Zeugen heute? Wer anders sollten sie sein als Sie, die Sie zu dieser Christmette gekommen sind. An dieser Stelle ein persönliches Wort an Sie. Ich finde es wunderbar, wie gefüllt die Kirche heute ist. Aber ich fände es mindestens so wunderbar, wenn dies nicht nur an einem Tag wie heute so wäre, sondern auch unterm Jahr. Jeder möge einmal in sich gehen und bei sich selbst überlegen, was ihm persönlich dieser Gott und diese Botschaft bedeutet und welchen Platz im Leben er Ihm einzuräumen bereit ist – diesem Gott, der so viel für uns getan hat. Nun aber wollen wir ihn feiern, ihn, der menschwerdend seine Liebe zu  einem jeden von uns getan hat.

Pfr. Bodo Windolf

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