Predigt vom 20. Oktober 2002 

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Die schwierige Situation der Kirche als Chance
Predigttext

St. Severin Garching
29. Sonntag im Jahreskreis - Kirchweih 20. Oktober 2002
Ev: Mt 22,15-21

Die schwierige Situation der Kirche heute als Chance begreifen

Kirche, Glauben an den dreifaltigen Gott, Gebet, Gottesdienst – all das steckt, wie wir oft bedauernd und klagend hören, in einer tiefen Krise. Ohne Zweifel, das stimmt. Doch stimmt auch unsere Reaktion darauf?

Einige, es sind nicht sehr viele, suchen das Heil in der Flucht nach hinten, wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Das Konzil mit seinem Aggiornamento, mit seiner Öffnung zur Welt, sei an allem schuld. Es sollte wieder so wie früher sein, als die christ-katholische Welt noch in Ordnung schien.

Andere wiederum treten die Flucht nach vorne an. Modernitätsverträglicher müsste die Kirche und ihre Verkündigung werden! Mit der Zeit (und nicht gegen sie) gehen. Angepasster an die Standards und Trends unserer Gesellschaft. Nur so gebe es noch eine Chance, gehört zu werden.

Und so stehen sich so genannte Konservative und so genannte Progressive bisweilen geradezu unversöhnlich gegenüber. Ein oft bedrückendes, aber auch seltsames Phänomen, besonders ausgeprägt bei uns in Deutschland; seltsam, weil sich darin ein früheres Phänomen nur auf etwas andere Weise haarklein wiederholt. Der frühere Milieukatholizismus war weitestgehend eine in sich geschlossene Einheit, seiner selbst gewiss. Man wusste, was und wer katholisch ist. Die Gegner waren klar, weil sie klar außerhalb standen: die Protestanten, die Welt, die Andersgläubigen.

Mit dem Wegfall solcher „Feindbilder“ spätestens (und Gott sei Dank) durch das Konzil –  wobei allerdings auch die 68er Revolution zu nennen ist – verflüchtigt sich nicht etwa einfach der Konflikt, sondern er wurde hineingetragen in das Innere der Kirche. Die Front, die früher entlang der Grenze zur anderen Konfession oder zur Welt verlief, verlagert sich nun in die Mitte der Konfession, in die Mitte der Kirche. So unerbittlich und unversöhnlich der Streit früher gegenüber dem außerkirchlichen Andersdenkenden ausgefochten wurde, so unerbittlich und unversöhnlich wird er heute oft gegen den innerkirchlich Andersdenkenden geführt.

Bei aller Verschiedenheit scheinen mir nun aber die streitenden Fraktionen eines gemeinsam zu haben: Es geht wieder und wieder allein um die Kirche, ihre Strukturen, ihr Erscheinungsbild. In der Außenwahrnehmung von Kirchendistanzierten scheint es, als seien wir Christen ständig und bisweilen geradezu selbstquälerisch mit uns selbst beschäftigt, mit unseren inneren Problemen und Querelen; anstatt DEN in Blick zu nehmen und den Menschen zu verkünden, um dessentwillen die Kirche allein überhaupt eine Existenzberechtigung hat: nämlich Gott, den Vater, unseren Schöpfer, Jesus Christus, unseren Erlöser, den Heiligen Geist, der in uns den Glauben, die Hoffnung und die Liebe entfacht. Hier ist die glühende Mitte der Kirche und unseres Glaubens, zu der hin wir alle, ausnahmslos jeder in der Kirche, sich immer wieder neu bekehren muss, um nicht in irgendwelche Grabenkämpfe rechts oder links abzurutschen; hier die Mitte, wo sich so mancher Gegensatz versöhnen oder als zweitrangig erweisen könnte.

Von dieser Mitte her haben wir meines Erachtens keinen Grund, uns angesichts der Glaubens- und Kirchenkrise mit langem Gejammer aufzuhalten. Im Gegenteil: Wir könnten die heutige Situation durchaus auch als eine Chance begreifen, die der Heilsplan Gottes für unsere Zeit bereit hält.

Dazu ein kurzer Blick auf unser heutiges Evangelium. Es ist auf eine überraschende Weise modern. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“

In heutige Sprache übersetzt kann das durchaus auch das meinen, was wir als Trennung von Kirche und Staat bezeichnen. Diese Trennung ist eigentlich ein erst neuzeitliches Phänomen. Im Judentum des Alten Testaments, im Islam, wo er vorherrscht, bis heute, und im Christentum seit Kaiser Konstantin, das heißt seit dem 4. Jahrhundert, gibt es eine Symbiose, eine Gegenseitige Durchdringung von Kirche, Gesellschaft und Staat. Dies hatte sicher auch positive Auswirkungen für beide Seiten, aber es führte auch zu so manchen ganz und gar nicht evangeliumsgemäßen Zwängen. (Das „Mea culpa“, das der Heilige Vater im Jubiläumsjahr 2000 aussprach, bezog sich auf solchen im Namen der Kirche oft mit Hilfe des Staates ausgeübten Zwang.)  Es war gesellschaftliche Norm, ja bisweilen gesellschaftlicher Zwang, getauft zu sein, je nach Milieu katholisch oder protestantisch zu sein, in die Kirche zu gehen, kurz: nicht aus dem Rahmen dessen zu fallen, was als die staatliche, gesellschaftliche und kirchliche Norm galt.

Diese Form des Christentums, das häufig auch mit Mitteln wie autoritären Gesetzen, reinem Brauchtum, Ritualismus, Gruppenzwang und anderen Formen des Zwanges arbeitete, ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts, ich vermute endgültig zusammengebrochen.

Der Verlust – wenn man es positiv ausdrückt – der gesellschaftlichen Stützen für das Heimischwerden im christlichen Glauben; negativ ausgedrückt: der Verlust der entsprechenden gesellschaftlichen Sozialisationszwänge ist sicher ein entscheidender Grund für die heutige Glaubens- und Kirchenkrise.

Aber genau das möchte ich nun als eine Chance für die Kirche unsere Zeit begreifen. Denn unter solchen Bedingungen ist es kaum mehr anders möglich, als dass, wie es Bischof  Wanke aus Erfurt ausdrückt, „der christliche Glaube wieder neu zu einer echten, persönlichen Entscheidung (wird)“; zu einer Entscheidung, die jenseits aller reinen Konvention aus der innersten Freiheit eines Menschen aufsteigt und gedeckt ist von einer reifen und gereiften Überzeugung.

Was aber muss geschehen, damit auch heute noch Menschen sich aus einer solchen Überzeugung heraus zum Christentum bekennen; also nicht, weil „man“ Christ ist, sondern aus einem ganz und gar persönlichen Freiheitsakt heraus?

Mir scheint, es muss das geschehen, was am erstem Pfingsttag nach der Predigt des Petrus geschah. Es heißt dort in der Apostelgeschichte: „Es traf sie mitten ins Herz.“ Nicht Konvention, nicht ein „Das-war-immer-schon-so“, nicht äußerer Druck, sondern allein die überzeugende Kraft des Evangeliums selbst hat hier Menschen getroffen, sie in ihrem Innersten berührt und zu Jesus Christus bekehrt.

Wenn dies auch heute geschehen soll, dann müssten auch wir – nicht nur die Priester, sondern jeder Christ – solche sein, die von Gott, von Seiner Liebe, von der Liebe Jesu Christi im Herzen berührt, im Herzen getroffen sind; anders gesagt: wir müssten solche sein, die sich von dieser unsagbaren Liebe treffen lassen, sie zulassen für unser Leben, um aus ihr unser Leben zu leben. Wer das tut und für sich zulässt, ist ein Zeuge und lebt als ein lebendiger Zeuge des Evangeliums. Solche Zeugen braucht die Kirche, ja braucht Gott in unserer Zeit und für unsere Zeit. Ohne sie ist es nicht ausgeschlossen, dass das Christentum in unserem Land eines Tages ausstirbt. Mit ihnen aber kann es immer wieder auferstehen in einzelnen Menschen, die sich im Herzen treffen lassen vom Zeugnis z.B. eines gläubigen Kindes, eines Jugendlichen, einer Mutter, eines Vaters, eines einfachen Arbeiters, eines Topmanagers, eines Priesters, aufgrund des Zeugnisses von einem von Ihnen, den hier Anwesenden, den Hörern im Radio. Vielleicht kann die bald hier stattfindende Pfarrmission einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Beten wir am heutigen Kirchweihfest um lebendige Zeugen des Evangeliums, um eine lebendige Kirche hier mitten unter uns und durch uns in der Kraft des Heiligen Geistes.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2003    WebMaster: Herbert Bauernfeind   bauernfe@t-online.de