St. Severin Garching
16. Sonntag im Jahreskreis
21. Juli 2002
Ev: Mt 13,24-43
Das Unkraut des Bösen in der Welt, das
dennoch manche gute Frucht ermöglicht
Es ist ein seltsamer Landwirt, der Sämann, von dem Jesus erzählt. Reinen
Weizen hatte er ausgesät. Bis dahin ist alles normal. Ungewöhnlich ist nach
zeitgenössischen Quellen aus dem Orient auch nicht, was dann geschieht: dass nämlich
jemand aus persönlicher Rache Unkrautsamen unter den frisch gesäten Weizen
streut. Es handelt sich im Gleichnis um „Zizania“, um den im Orient sehr
verbreiteten Taumellolch, der dem Weizen ähnelt und an dem besonders schlimm
ist, dass er einen Pilz trägt, der eine ganze Ernte verderben kann. Seltsam
aber ist, was nun passiert – nämlich nichts. Beides soll einträchtig
nebeneinander herwachsen, das schlimme Unkraut genauso wie der gute Weizen.
Was in Wirklichkeit kein vernünftiger Bauer täte, will Jesus innerhalb seines
Reiches beachtet wissen. In einem ersten Schritt können wir das Gleichnis als
ein Plädoyer für eine recht verstandene Toleranz deuten. Jesus verbietet
seinen Zuhörern – und das sind wir – die Anmaßung, über irgend jemanden
so zu Gericht zu sitzen, dass wir ihn definitiv als „Unkraut“ verurteilen
und vielleicht sogar am liebsten ausmerzen wollen – denken wir nur an die
Diskussion über die Todesstrafe. Das letzte Gericht darüber, ob ein Mensch
„Unkraut“ oder „Weizen“ ist, beziehungsweise inwieweit, wie man wohl
sagen muss, in einem jeden von uns beides wächst,
steht nur Einem zu: Jesus, dem Menschensohn, unserem Richter und Erlöser, Gott
selbst.
Wo immer dagegen Menschen – sei es eine Familie oder Dorfgemeinschaft, sei es
die Kirche, sei es der Staat – versucht
haben, eine kleinere oder größere Welt mit reinem Weizen zu schaffen unter
Beseitigung sogenannter schwarzer Schafe, unter Beseitigung Andersdenkender,
Andersglaubender, der wirklichen oder oft auch nur vermeintlich Bösen; wo der
reine Weizen in Gestalt der homogenen Familie oder Dorfgemeinschaft, in denen
nichts Fremdes Platz hat, in Gestalt der reinen kirchlichen Lehre, in Gestalt
der reinen arischen Rasse, in Gestalt der reinen proletarischen Klasse
durchgesetzt werden sollte, indem mit inquisitorischen und gewalttätigen Maßnahmen
angebliches Unkraut ausgemerzt wurde – wo Menschen dies versucht haben, haben
sie immer unendlich viel mehr an Unrecht und Unheil bewirkt als beseitigt. Das
Reich Gottes hier und jetzt mit Mitteln selektierender Gewalt zu schaffen, hat
nie den Himmel, stets aber die Hölle auf Erden hervorgebracht.
Doch ich möchte in der Deutung des Gleichnisses noch einen Schritt weiter
gehen. Mag auch uns Menschen weder zustehen noch überhaupt möglich sein, das Böse
in der Welt mit Stumpf und Stil zu beseitigen - warum
tut Gott das nicht? Was ist das für ein Gott, der neben Weizen soviel
Unkraut duldet; der es zulässt, dass es neben dem vielen Guten und Schlimmen in
der Welt soviel Unheil, Böses, Leidvolles, Krankhaftes, die Menschen und die
Welt Vergiftendes gibt? Warum hat er nicht eine Welt ohne all diese Plagen, ohne
all dieses „Unkraut“ geschaffen?
Liebe Gemeinde!
Ich maße mir nicht an, auf diese Frage so vieler Menschen, eine Antwort zu
wissen. Aber die Richtung, in der ich selbst sie suche, möchte ich kurz
darstellen, und zwar zunächst mit Hilfe eines Bildes.
In etwas abgewandelter Form hat das Gleichnis Jesu erst vor kurzem hier in
Garching gleichsam stattgefunden. Sie alle erinnern sich noch an das überwältigend
schöne Mohnfeld vor einigen Wochen am Südeingang unserer Stadt. Ich habe mir
sagen lassen, dass der Bauer – bislang hat mir niemand sagen können, wem das
Feld gehört – zwar zur rechten Zeit das entsprechende
Unkrautvertilgungsmittel gespritzt, der bald einsetzende Regen es aber weggespült
und unwirksam gemacht hatte – dem Bauern vermutlich zum Verdruss, uns dagegen
zur Freude über den prächtigen Anblick.
Was hier geschehen ist – die Entfaltung einer durch Unkraut herangewachsenen
wahren Blütenpracht – möchte ich einmal auf unser Leben, auf das Schicksal
von Menschen übertragen. Unendlich vieles von dem, was wir als die besten,
tiefsten, schönsten, kostbarsten, wunderbarsten Eigenschaften eines gereiften
menschlichen Lebens erachten und für uns selbst wünschen, gäbe es ohne die
Erfahrung von Leidvollem und auch Bösem nicht.
Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Die Größe eines Menschen, dem
schweres Unrecht widerfahren ist, der es aber gelernt hat, vielleicht durch
schwere innere Kämpfe hindurch zu verzeihen
und sich zu versöhnen – gäbe es nicht. Mitleid, Güte, Geduld, Nachsicht, Solidarität mit denen, die
Unrecht oder ein Unglück erleiden – gäbe es nicht. Reue, durch die jemand sich von einem falschen Weg abkehrt, um um so
entschiedener das Gute zu tun – gäbe es nicht. Bekennermut, jene Freude,
die nur der kennt, der zum Beispiel Gott wiedergefunden oder ein schweres Leid
bestanden hat – all das gäbe es nicht ohne all die Schatten in unserer Welt.
Lässt Gott das Unkraut, das Böse in der Welt zu, damit hier Blüten reifen,
die es sonst nie gäbe?
Ich möchte meine Antwort in Gestalt dieser Frage stehen lassen. Das Unkraut,
das Böse, durchaus auch in mir selbst sowie um mich herum durch das Gute
zu überwinden – durch ein Mehr an Liebe und Wohlwollen das Böse zu überwinden,
durch ein Mehr an Güte und Verständnis das Böse zu überwinden, durch ein
Mehr an Vergebungs- und Versöhnungsbereitschaft das Böse zu überwinden –
das ist es, wozu Jesus uns indirekt mit dem heutigen Gleichnis aufruft. So und
nicht anders wachsen wir selbst zu gutem Weizen heran und vermögen darüber
hinaus etwas eigentlich Unmögliches, etwas das nur die Liebe vermag: nämlich
Unkraut nicht auszutilgen, sondern in Weizen zu verwandeln; das heißt Umkehr
und damit Liebe, Güte, Freude, Versöhnungsbereitschaft in uns und in anderen
Menschen zu wecken.
Pfarrer
Bodo Windolf
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