Predigt vom 14. Juli 2002 

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Kardinal Faulhaber und sein Wirken während des 3. Reiches
Predigttext

St. Severin Garching
15. Sonntag im Jahreskreis
14. Juli 2002
Ev: Mt 23,1-23

Kardinal Michael von Faulhaber und sein Wirken während des 3. Reiches

„Auf felsigen Boden ist der Same bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt, aber keine Wurzeln hat ... sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird, kommt er zu Fall.“


Liebe Gemeinde!

Die Worte Jesu könnten in einem jeden von uns die Frage hochkommen lassen – und ich selbst stelle sie mir durchaus öfters: Wie tief verwurzelt ist eigentlich der Glaube in mir? Würde ich in Verfolgung und Bedrängnis standhalten, wenn es um meine Freiheit oder gar um Leben und Tod ginge?

Es ist letztlich eine müßige Frage, weil sie keiner von uns wirklich beantworten kann. Vermutlich dürfen wir alle dankbar und froh sein, dass unser Glaube momentan einer solchen Prüfung nicht ausgesetzt ist. Das ist auch der Grund, warum ich selber sehr vorsichtig in der Beurteilung geschweige denn Verurteilung jener Menschen bin, die zum Beispiel vor kaum sechzig Jahren im Dritten Reich erlebt haben, was es heißt, verfolgt zu werden. Unzählige Christen beider Konfessionen haben aufgrund ihrer Opposition zum Nazi-Regime Nachteile, Haft, Konzentrationslager, sogar Tod auf sich genommen. Dennoch ist das Thema „Kirche und Drittes Reich“ in den Augen vieler negativ besetzt. Sie, die Kirche, habe versagt und vor allem geschwiegen, so ist der Tenor in der Öffentlichkeit, in der Regel allerdings vor dem Hintergrund nur sehr dürftiger Geschichts- und Situationskenntnisse der damaligen Zeit. Wie komme ich auf dieses Thema?

In diesen Wochen jährt sich zum fünfzigsten Mal der Todestag einer der exponiertesten    Gestalten unserer Münchner Diözese, ja des deutschen Katholizismus insbesondere während der Nazi-Zeit. Einige von Ihnen erinnern sich sicher noch gut an ihn. Einige sind von ihm vermutlich sogar gefirmt worden. Ich spreche von Kardinal Faulhaber. Aus Anlass dieses Jubiläums und auch, um auf eine Ausstellung unserer Diözese aufmerksam zu machen, möchte ich ein paar Worte über ihn verlieren.

Als Kardinal Faulhaber am 12.Juni 1952 während der städtischen Fronleichnamsprozession starb, sprach Oberrabbiner Ohrenstein vom „Verlust eines der größten Menschen unseres Zeitalters.“ So klangen damals die anerkennenden Worte eines Juden. Keine fünfzig Jahre später hat sich ein Historikerjournalist unserer Tage in einer Buchveröffentlichung nicht entblödet, Faulhaber als des „Führers Schutzpatron“ zu bezeichnen und die historische Haltlosigkeit seiner Angriffe auf diesen Kirchenmann zum Beispiel in folgendem Satz zu dokumentieren: „Dann folgte die ‚Reichskristallnacht’. Spätestens jetzt wäre ein in aller Welt unüberhörbarer Protest notwendig. Doch nichts geschieht und so hat Faulhaber weiter seine Ruhe.“ (Rudolf Reiser, Des Kaisers und Führers Schutzpatron. München 2000, 64f)

Was war wirklich geschehen? Am 9. November1938 erlag der Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris den Folgen eines Attentats eines jüdischen Emigranten. Der unverzüglich vom NS-Parteiapparat inszenierte „spontane Volkszorn“ entlud sich in der Reichspogromnacht. Das ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass nach Ansicht der Nazis das sogenannte „jüdische Mordgesindel“ Bundesgenossen hatte, und das waren in erster Linie die „Schwarzen“, das heißt die katholische Kirche und die kirchentreuen Christen. Am 11. November 1938 brachte die Münchner Ausgabe des „Völkischen Beobachters“, der meist gelesenen Zeitung des Reiches, folgenden „Aufruf an alle: Das nationalsozialistische München demonstriert heute Abend 20 Uhr in 20 Massenkundgebungen ... gegen des Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen.“ Als Oberhaupt der „Schwarzen“ galt niemand anderer als Faulhaber, gegen den der braune Pöbel in der „Hauptstadt der Bewegung“ grölte (ich zitiere einen ziemlich würdelosen Song): „Die alte Judenschande ist endlich ausgefegt,/ die schwarze Lügenbande wühlt weiter unentwegt./ Du, deutsches Volk, muss das sein, / dass dich bespuckt das schwarze Schwein? / Wenn nicht, so dresche doch darauf, / dass Funken fliegen hoch hinauf. / Deutsche Männer, deutsche Frauen. / Jetzt ist`s genug mit der Faulhaberei. / Deutsche Männer, deutsche Frauen, / haut das schwarze Lumpenpack zu Brei.“

Es blieb nicht bei Worten. Steine zertrümmerten fast alle Fenster und Fensterstöcke des Bischofssitzes und wohl nur die Festigkeit des Tores verhinderte, dass der Bischof in die Hände des braunen Mob fiel. So also sah die „Ruhe“ aus, die ihm 50 Jahre später angedichtet wird.

Was war angesichts solcher Geschehnisse das Selbstverständnis Faulhabers als Bischof und was erwartete man von ihm als Bischof?

Zunächst einmal, dass er ein Seelsorger sei, ein Seelsorger für die Menschen seiner Diözese. Viel wäre über Faulhaber als Seelsorger zu sagen. Er war ein weithin bekannter und begnadeter Prediger und ein Bischof, dem die Menschen sehr am Herzen lagen. Allerdings anders als dies heute der Fall ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Erfahrungen im „Dritten Reich“, erwartete man nicht – was man durchaus bedauern kann, was aber einfach so war – regelmäßige Stellungnahmen zu gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Seit dem Schock des Kulturkampfes, den im 19. Jahrhundert der preußische-protestantische Staat gegen die katholische Kirche inszeniert hatte, war man vorsichtig – ich denke sogar zuweilen übervorsichtig. Der aus der Bismarckzeit stammende und erst nach dem 2. Weltkrieg abgeschaffte sog. „Kanzelparagraph“ verbot bei Strafe jede kirchliche Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten. Dennoch hatte Faulhaber erstmals 1923 und dann immer wieder das Wort zugunsten der Juden ergriffen, was ihm seitens der Nazis das Schimpfwort des „Juden-Bischofs“ und „Germanen-Hassers“ einbrachte, bestätigt nicht zuletzt auch durch sein Bischofswappen, das den siebenarmigen Leuchter enthielt. Viele jüdische Mitbürger haben ihm nach dem Krieg seinen mutigen Einsatz gedankt, für den er sich wenigstens zwei Mordanschläge eingehandelt hatte.

Hat er aber nicht, so fragen heute viele, Hitler gegenüber eine für uns sehr befremdliche Hochachtung an den Tag gelegt?

Zunächst einmal galt für Faulhaber, was auch für die übrige Staatenwelt galt, die mit Hitler Verträge schloss: Hitler war legal an die Macht gekommen und rein formal die rechtmäßige staatliche Autorität, die als Ansprech- und Verhandlungspartner zu respektieren war. Bei einem mehrstündigen Gespräch, zu dem ihn Hitler 1936 auf den Obersalzberg eingeladen hatte, gelang es Faulhaber nach dem Zeugnis von Albert Speer immerhin, ihn, diesen abgrundtiefen Egomanen, für eine Stunde zum Zuhören zu bringen, ihm ins Gewissen zu reden und nachdenklich zu machen – wie bekannt, leider ohne nachhaltigen Erfolg. Vermutlich hat Faulhaber sich dabei wie so viele andere einer gewissen Faszination der Persönlichkeit Hitlers nicht ganz entziehen können. Aber wie klar er sah, wen er wirklich vor sich hatte, bezeugt eine kurze Bemerkung, mit der er wenig später das Gespräch zusammenfasste: „Ich habe Satan ins Angesicht geschaut.“ (zit. nach B.J.J. Visser, Gewalt und Gewissen, Würzburg 1974, 214) Und keine drei Monate später wird er den Entwurf für die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ schreiben, die, als sie am Palmsonntag 1937 in 11500 Pfarrkirchen des Reiches verlesen wurde, für die Nazis wie eine Bombe einschlug. In einer fast kriminalistischen Meisterleistung war es gelungen, Verteilung und Inhalt der päpstlichen Schreibens bis zum Tag des Verlesens vor der Gestapo geheim zu halten. (Es ist überliefert, dass manche Priester es im Tabernakel versteckten, um es dort erst zum Verlesen herauszuholen.) Klar und eindeutig wurden in diesem Schreiben der Rassegedanke, das Führerprinzip und der Staatstotalitarismus der Nazis verurteilt. Schon vorher und jetzt wieder war klar, dass die Katholiken den Nazis als Staatsfeinde galten. Noch brauchte man sie für den beabsichtigten Krieg (z.B. als Soldaten). Aber nach „Lösung“ der Judenfrage und nach einem gewonnenen Krieg wären sie „dran“ gewesen. Daran lassen Äußerungen führender Nationalsozialisten keinen Zweifel.

Diese Ausführungen sind natürlich nur einige ganz wenige Schlaglichter. Dass Kardinal Faulhaber und die katholische Kirche in dieser schweren Zeit alles richtig gemacht hätten, wird keiner behaupten. Allerdings ging der gesamtgesellschaftlich bedeutendste Widerstand von der Kirche aus, die sich im Gegensatz zur damaligen Presse und vielen anderen Institutionen nicht gleichschalten ließ.

In Zusammenarbeit mit dem Hauptstaatsarchiv und dem Stadtarchiv München hat das Erzbischöfliche Archiv in den Räumen des Hauptstaatsarchivs in der Ludwigstrasse zum fünfzigsten Todestag Faulhabers eine Ausstellung organisiert – nicht zuletzt auch als Antwort auf die die Geschichte verfälschenden Angriffe gegen Faulhaber. Sie dokumentiert Leben und Wirken einer Person, die in einer Zeit der Bedrängnis und der Verfolgung auch ihre Grenzen hatte, aber dennoch Großes geleistet hat aus der Kraft eines tief verwurzelten christlichen Glaubens, der auch für uns Heutige noch ein Vorbild zu sein vermag.

Pfarrer Bodo Windolf

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