St. Severin Garching
12. Sonntag im Jahreskreis
23. Juni 2002
Ev: Mt 10,26-33
Wahres und falsches Märtyrertum
– einige Gedanken zur aktuellen Diskussion über die Vorgänge in Israel und
Palästina
Die Schreckensmeldungen aus
Israel und dem Palästinensergebiet reißen nicht ab. Eine Orgie von Gewalt und
Gegengewalt, Hass und Terror. Beteiligt ein Volk, nämlich Israel, das wie wohl
kein anderes in seiner Geschichte unter Hass und Verfolgung gelitten hat. Vor
diesem Hintergrund ist es nach meinem Empfinden eine unsägliche Debatte, die
wir in den letzten Wochen haben über uns ergehen lassen müssen. Ein
Spitzenpolitiker unseres Landes, der sicher selbst kein Antisemit ist, ist sich
dennoch nicht zu schade, in den trüben Gewässern eines antisemitischen
Bodensatzes in unserer Gesellschaft fischen zu gehen, um doch irgendwie noch an
die hochstaplerisch angezielte 18%-Marke zu kommen.
Ich möchte nicht falsch
verstanden werden: Auch ich wehre mich gegen ein undifferenziertes Schwingen der
Antisemitismuskeule. Man muss die allem Recht Hohn sprechende Siedlungspolitik
Israels, seine teils menschenunwürdige Behandlung des palästinensischen Volkes
und die einfallslose Politik der Vergeltung kritisieren können, ohne gleich als
Antisemit diffamiert zu werden. Aber Israel einseitig zum Täter zu stempeln,
von der Gewalt zu reden, die man selber verüben würde – wie durch besagten
Politiker geschehen – und bei all dem Gerede zugleich „das laute Beschweigen
der Mittel“, - so drückt es Patrick Bahners in der FAZ aus –, mit denen große
Teile des palästinensischen Volkes Israel hinauswerfen und vernichten wollen,
weil sie ihm, wie eine jüngste Umfrage unter den Palästinensern ergab, kein
Existenzrecht in Palästina zubilligen – das weckt natürlich bei so manchen
jene antijüdischen Instinkte, die in unserem Land nun wirklich keine Nahrung
mehr finden dürften. Die, die so reden, sollen sich doch bitte einmal
vorstellen, wie es ist, wenn man kein Café, kein Kino, keine Synagoge besuchen,
keinen Bus benutzen und auf keinem Markt einkaufen kann ohne die Angst, von
einer Bombe zerfetzt oder verwundet zu werden. Die Perversion der Gewalt, die
wir von moslemischen Extremisten und Selbstmordattentätern erleben, besteht
nicht nur darin, dass Kinder des Feindes wie am vergangenen Dienstag
hingeschlachtet werden, sondern unter Jubel vieler Eltern auch die eigenen.
Jubeln tun sie, weil sie unfasslicher Weise meinen, ihre Kinder stürben als Märtyrer
und Allah selbst würde es gutheißen. Wie lange warte ich schon darauf, dass
eine große Zahl geistlicher Autoritäten des Islam diesen Wahnsinn in aller
Form und hörbar für die Weltöffentlichkeit verurteilt und ächtet und so auch
glaubwürdig macht, was so oft behauptet wird: dass der Islam seinem innersten
Wesen nach eine Religion des Friedens sei und dass hier das Wort „Märtyrer“
missbraucht und pervertiert wird.
Liebe Gemeinde!
Hat dieser kurze Ausflug in eine
der aktuellen tagespolitischen Debatten auch etwas mit dem heutigen Evangelium
zu tun? Ich versuche, eine Brücke zu schlagen. Jesus hat gerade erst aus der
Vielzahl seiner Jünger zwölf ausgewählt, die er mit besonderen Aufträgen und
Vollmachten betraut. Arm und einfach, mit nichts anderem bepackt als mit dem
Wort Gottes im Mund, sendet er sie zu den Menschen. Was er ihnen verheißt, ist
alles andere als erbaulich. Nicht Ruhm, Ehre, Reichtum,
Macht, Erfolg dürfen sie erwarten, sondern Schmach und Verfolgung, mit
anderen Worten: Schicksalsgemeinschaft mit ihm, Jesus – das ist es, was er
ihnen in Aussicht stellt. Denn: „Der Jünger muss sich damit begnügen, dass
es ihm geht wie seinem Meister.“ Also als Zeugen (griechisch: als „martyroi“)
sendet er die Seinen aus; als solche, die bis hin zum Einsatz ihres Lebens als
Zeugen Jesu die Frohe Botschaft zu verkünden berufen sind.
Vor diesem Hintergrund versteht
es sich von selbst, dass nach christlichem Verständnis niemals jemand ein Märtyrer
sein, der selbst Gewalt übt, mag er dabei auch noch so sehr selbst zu Schaden
kommen und für die eigene Überzeugung sterben. Der wahre Zeuge, der wahre Märtyrer
war in der ganzen Kirchengeschichte immer der, der nach dem Beispiel Jesu bereit
war, für seinen Glauben lieber Gewalt, Spott, Schmach und Nachteile zu erleiden
als all dies selbst zu verüben.
Was setzt Jesus dem für seine Jünger
entgegen? Womit „wappnet“ er sie? Nicht mit Schwert und anderen Waffen,
sondern mit nichts anderem als einem dreimaligen „Fürchtet euch nicht“, wie
wir es vorhin im Evangelium gehört haben. Vor wem sollen sie sich nicht fürchten?
Sie sollen sich nicht vor denen fürchten, die uns vielleicht verspotten oder
belächeln und höchstens unserem Leib etwas anhaben können. Sondern „vor
dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.“ Damit ist
Gott gemeint. Jesus sagt hier mit anderen Worten: Wer Gott verleugnet, sich
nicht für Ihn interessiert, wer die Seinen verfolgt, verspottet und schindet
– all diese Menschen stehen in Gefahr, mit Gott alles zu verlieren, nämlich
auch sich selbst mit Leib und Seele. Doch Gott treu zu bleiben, selbst wenn es
Nachteile und Verfolgung einbringt, heißt, alles zu gewinnen: nämlich Gott und
mit Ihm die eigene Seele, die ihr Ziel, ihr Glück, ihre Erfüllung allein in
Ihm findet.
Dieses Gott-Fürchten heißt
selbstverständlich nicht, Angst vor Ihm zu haben; vielmehr will Jesus uns zu
einem unerhörten Vertrauen ermutigen. Ein Vertrauen, dass nichts, was mir oder
anderen widerfährt, Seiner gütigen Vorsehung entgleitet. Denn der Gott, von
dem Jesus spricht, ist ein Vater, der sich sogar um das Geschick eines kleinen
Spatzen kümmert. Um wie viel wichtiger muss ich Ihm dann sein, um wie viel
wichtiger muss es Ihm dann sein, mein Geschick und das jedes Menschen, so weit
wir es zulassen, letztlich zum Guten zu wenden, mag es auch noch so schwer sein.
Was aber heißt nun wiederum
dieses Vertrauen auf Gott, auf Seine Führung, auf Seine Sorge für mich und die
anderen Menschen? Heißt es, passiv zu sein und Ihm alles einfach zu überlassen?
Sind wir zum Beispiel in Bezug auf die Vorgänge in Palästina zu reiner
Passivität verurteilt?
Natürlich nicht. Die Dinge Gott
überlassen fängt erst da an, oder besser: geht damit einher, dass wir alles in
unseren Kräften Stehende tun, um z.B. dem Frieden und der Verständigung unter
den Menschen und Völkern hier bei uns und anderswo zu dienen. In bezug auf Palästina
könnte das heißen, in verantwortlicher Weise über die dortigen Vorgänge zu
sprechen – und auch zu beten. Die Versöhnung stiftende Kraft des Gebetes dürfen
wir nicht unterschätzen, auch wenn wir natürlich „greifbare Ergebnisse“
nicht einfach sehen können. Ansonsten braucht Gott einen jeden von uns als „martyroi“,
als Zeugen Seines Evangeliums. So wie Er uns das Zeugnis für Ihn, Gott und
Seinen Sohn Jesus Christus, überlässt, so dürfen wir auch Ihm in großem
Vertrauen alles überlassen, was nicht mehr in unserer Macht liegt, damit Er es
– letztlich – zum Guten wende.
Pfarrer
Bodo Windolf
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