Fronleichnam 2002
Ev: Joh 6,51-58
Ehrfurcht vor Gott in unserer Zeit
„Gott segne Sie.“ Mit diesen Worten
beendete in der vergangenen Woche George Bush seine mit viel Lob aufgenommene
Rede vor dem Deutschen Bundestag. Dass der, der als der mächtigste Mann der
Welt gilt, so freimütig seinen Glauben an Gott bekennt und durch seinen
Gebetswunsch die segnende Kraft Gottes im Bundestag gegenwärtig setzt, erfüllt
mich mit Hochachtung und Respekt. Für unser Land und sein geistiges Klima ist
das höchst ungewöhnlich. Denn hier spielt Gott öffentlich so gut wie keine
Rolle mehr. Es erscheint hierzulande fast unanständig, öffentlich von Gott zu
reden, es sei denn – man redet unanständig über Ihn.
Genau darum ging es in einer erst vor wenigen
Wochen geführten Blasphemie-Debatte im Deutschen Bundestag,
in der die kirchenpolitische Sprecherin der F.D.P. die Zunahme der „öffentlichen
Verhöhnung und Verspottung der Glaubensgemeinschaften unter dem Vorwand der
Kunst- oder Satierefreiheit“ beklagte. Dass die Beleidigung religiöser Überzeugungen
und sogar Gotteslästerungen auch im Fernsehen zugenommen haben, stellte erst kürzlich
die „Verbrauchervereinigung Medien“ fest. Als beliebiges Beispiel sei nur
das in Heilbronn und Köln aufgeführte Theaterstück „Corpus Christie“
genannt, in dem Jesus und die Apostel als eine Clique Homosexueller und das
Abendmahl als eine einzige Sauf- und Fressorgie dargestellt werden. In der erwähnten
Blasphemie-Debatte ging es darum, Paragraph 166 des Strafgesetzbuches zu ändern,
in dem es heißt: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den
Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer
Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Was sich
beim ersten Hören harmlos und einleuchtend ausnimmt, entpuppt sich bei tieferem
Nachdenken als skandalös. Denn geschützt wird mit diesem Gesetz nicht die
religiöse Überzeugung einzelner geschweige denn das religiöse Bekenntnis
selbst, sondern letztlich allein der öffentliche Friede!
Liebe Gemeinde!
Mit Verlaub, mir erscheint ein solches Gesetz
als ein Hohn und eines Rechtsstaates unwürdig. Denn indirekt fordert es zu
Randale und Gewalt auf. Im Klartext besagt es nämlich: Wird dein Glaube öffentlich
beleidigt, dann wehr dich mit wüsten Beschimpfungen, wirf Steine, droh mit
Bomben – denn erst dann fängt der öffentliche Friede an gefährdet zu sein
und – du kannst mit dem Schutz des Gesetzes rechnen. Aber solange du als
braver Christ, vielleicht noch mit der Bergpredigt im Hinterkopf, nur lammfromm
daherprotestierst – lebe die Freiheit der Kunst, mag sie noch so sehr kübelweise
Unrat über religiöse Bekenntnisse ausgießen.
Der von den C-Parteien eingebrachte und in besagter Debatte diskutierte Änderungsantrag
dieses Gesetzes wurde leider von der derzeitigen Bundestagsmehrheit
abgeschmettert.
Am 28. November 2000 hielt Kardinal Ratzinger
in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin einen Vortrag über die geistigen
Grundlagen Europas. Darin ging er auch auf die Grundrechte-Charta der Europäischen
Union ein und äußerte Verständnis, dass man Gott und die Verantwortung vor
ihm nicht in der Charta verankerte, weil man wohl nicht vom Staat her eine
religiöse Überzeugung verordnen wollte. Allerdings fährt er fort, ich
zitiere: „Aber eines hätte meines Überzeugung nach nicht fehlen dürfen: die
Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist und die Ehrfurcht vor dem Heiligen
überhaupt, vor Gott, die sehr wohl auch dem zumutbar ist, der selbst nicht an
Gott zu glauben bereit ist. Wo diese Ehrfurcht zerbrochen wird, geht in einer
Gesellschaft Wesentliches zugrunde. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft wird
gottlob jemand bestraft, der den Glauben Israels, sein Gottesbild, seine großen
Gestalten verhöhnt. Es wird auch jemand bestraft, der den Koran und die Grundüberzeugungen
des Islam herabsetzt. Wo es dagegen um Christus und das Heilige der Christen
geht, erscheint die Meinungsfreiheit als das höchste Gut, ... Hier gibt es
einen merkwürdigen und nur als pathologisch zu bezeichnenden Selbsthass des
Abendlandes, das sich zwar lobenswerterweise fremden Werten verstehend zu öffnen
sucht, aber sich selbst nicht mehr mag.... Den Kulturen der Welt ist die
absolute Profanität, die sich im Abendland herausgebildet hat, zutiefst fremd.
Sie sind überzeugt, dass eine Welt ohne Gott keine Zukunft hat.“
Haben diese Ausführungen irgendetwas mit dem
heutigen Fronleichnamsfest zu tun?
Mir scheint: indirekt
sogar sehr viel. In Prozession mit dem Allerheiligsten betend und singend durch
die Straßen unserer Stadt zu gehen, heißt, Gott öffentlich
zu machen; heißt, dass wir gemeinsam Seine segnende Gegenwart für Gläubige
und Ungläubige, Christen und Nichtchristen, Gute und Böse, kurz: für alle
Menschen öffentlich bekunden.
Außerdem ist die Fronleichnamsprozession öffentlicher
Ausdruck der Ehrfurcht vor Gott, vor Seiner Größe; allerdings einer Größe,
die darin besteht, sich klein zu
machen, sich in die Unscheinbarkeit eines Stückchen Brotes zu verfügen, um in
dieser Gestalt ganz bei uns und unter uns zu sein. Wenn Gottes Größe für den
Glaubenden und Sehenden am deutlichsten wird in Gottes Bereitschaft zum
Kleinsein, dann muss das in gewisser Weise auch für uns Menschen gelten. Daher
möchte ich behaupten: Nie ist der Mensch, nie sind wir größer, als wenn wir
nicht knechtisch, wohl aber ehrfürchtig vor Gott knien. Wer vor Gott zu knien
vermag, darf auch vor Ihm stehen, hoch erhobenen Hauptes; vor allem aber muss er
nicht mehr und wird er auch nicht mehr vor Menschen knien oder gar kriechen.
Wahre Ehrfurcht vor Gott vertreibt die Furcht vor Menschen, vertreibt die
Menschenfurcht.
Wer aber Gott verspottet, ja in den Schmutz
zieht, oder sich nicht entblödet sich daran zu ergötzen, offenbart meines
Erachtens eigene innere Verworfenheit, ja im tiefsten einen schauerlichen
Selbsthass. Denn solche Menschen ironisieren, bewusst oder unbewusst, ihre
eigene tiefste Sehnsucht; sie verspotten ihre eigene Seele, die nicht von Gott
loskommt, wenn auch unter negativem Vorzeichen.
Wahre Ehrfurcht vor Gott, die nie knechtisch
ist, ist daher eine Weise, nicht nur Gott zu schätzen, sondern auch sich
selbst, ist eine Weise, an der Größe, an der Demut, an der Güte, an der
Freiheit Gottes teilzuhaben. Beten wir auch für uns selbst um diese wahre
Ehrfurcht vor Gott; vor Gott in unserer Mitte, vor Jesus Christus in der
Demutsgestalt des eucharistischen Brotes.
Pfarrer
Bodo Windolf
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