Pfingsten
2002
Ev:Joh 20,19-23
Zeitgeist und Heiliger Geist
Zeitgeist und Heiliger Geist, Geist der
Moderne und Geist des Christentums werden sich offensichtlich immer fremder,
driften immer weiter auseinander. Freilich, der Zeitgeist ist schillernd. Er
beinhaltet manches Gute, aber leider auch viel Beängstigendes.
Zwei Zitate: Im Programm zum „5. Deutschen
Trendtag“, den das Hamburger Trendbüro am 18. Mai 2000 in der Hansestadt
ausrichtete, war folgendes zu lesen: „Ein neuer Geist herrscht in deutschen
Landen: Hausfrauen spekulieren an der Börse, Studenten gründen ihre eigenen
Firmen. Wirtschaft wird zum Lifestyle in einer Zeit, die eine Option auf das Glück
für jeden bereit hält. Das Ich wird als Aktiengesellschaft begriffen, das nach
den Prinzipien der Ökonomie geführt und vermarktet wird.
Der amerikanische Managementberater Tom
Peters drückt diesen neuen Geist unserer Zeit folgendermaßen aus: „Wir sind
die Manager unserer eigenen Firma, der Ich-AG. Um heute im Geschäft zu bleiben,
ist unser Hauptanliegen, Marketingchef der Marke Ich zu sein.“ (beides zitiert
nach: Johano Strasser, Leben und Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen
zu einem Element des Marktes, Zürich München, o.J., 37)
Was hier Platz greift und als der neue Geist
unserer Gesellschaft verkündet wird, ist ein vollkommen neues Menschenbild, und
ich bin nicht sicher, ob wir schon realisiert haben, wie weit es schon
fortgeschritten ist und das Denken vieler Menschen bestimmt. Ich habe diese
Zitate dem Buch „Leben oder Überleben“ von Johano Strasser entnommen –
Pfarrer Kobilke und ich haben erst kürzlich in der Stadtbibliothek anlässlich
der Besprechung seines Buches mit ihm diskutiert – und in seiner, wie ich
finde, in vielen Punkten sehr treffenden Analyse unserer Zeit beschreibt er
dieses neue Menschenbild mit Schlagwörtern wie „Ökonomisierung des
Menschen“, „Selbstvermarktung“, „Selbstinstrumentalisierung“, als
„Deformierung des Menschen zum Produktionsfaktor und zum Menschenmaterial“
(S. 36f); gewissermaßen als Oberbegriff von all dem spricht er von der „empolyability“,
das heißt von der „profitablen Verwendbarkeit“ (S.28) des Menschen, der
hier mehr und mehr zur reinen „Menschenware“ (vgl. S. 53) verkommt.
Das Credo dieses neuen Geistes lautet: Der
Mensch ist das wert, was er leistet. Wird er zum Beispiel aufgrund einer
Behinderung kaum Leistung bringen können, ist der günstigste Fall der, wenn er
rechtzeitig entsorgt werden kann. Was ja auch geschieht. Eine vorgeburtlich
diagnostizierte Behinderung kommt heute so gut wie einem Todesurteil gleich. Ein
weiteres Beispiel ist das inzwischen verabschiedete Stammzellenimportgesetz, bei
dem in geradezu unheimlicher Weise deutlich wird, wie der Mensch zu profitabel
verwertbarem Menschenmaterial verkommt. Was hier am Beginn menschlichen Lebens
geschieht, ist eine Tendenz, die viele in unserer durchökonomisierten
Gesellschaft an ihrem Arbeitsplatz am eigenen Leib erfahren. Zustimmend will ich
noch einmal den eigentlich dem Christentum eher reserviert gegenüberstehenden
Johano Strasser zitieren: „Das ökonomistische Menschenbild ist das
eigentliche Gegenkonzept zum christliche-humanistischen, das die von aller
Leistung und ihrer Bewertung unabhängige Würde des Menschen in den Mittelpunkt
stellt.“ (S. 34)
Liebe Gemeinde!
Was hat all das mit Pfingsten zu tun?
Pfingsten ist der Tag, an dem die junge nachösterliche Kirche das Getto der
nach außen verschlossenen Türen verlassen hat und auf die Straße ging, um in
der Kraft des Gottesgeistes die Frohbotschaft hinaus zu tragen in die damalige
Gesellschaft. Genauso ist es heute auch unsere Aufgabe als Christen, unsere
Stimme auch außerhalb der Kirchenmauern zu erheben. Zustimmend und fördernd,
wo im Zeitgeist Gutes und Schönes enthalten ist, aber Widerstand leistend, wo
der Zeitgeist zerstörerisch, den Menschen in seiner Würde zerstörend wirkt.
Mag sein, dass die Stimme der Kirche und der
Christen immer weniger gehört wird. Das ist alles andere als ein Grund zum
Schmollen und zum Jammern. Entscheidend ist, dass es diese Stimmen auch heute
noch gibt. Es ist immer wieder eine unzeitgemäße Stimme, aber gerade die ist
es, die unsere Zeit am dringendsten braucht, will sie nicht in immer tiefere
Banalität versinken.
Der Heilige Geist ist, wir gesagt, kein Geist
des Schmollens, des Jammerns, kein Geist, der sich in das Schneckenhaus des
kirchlichen Binnenraums verkriecht, sondern ein Geist der Kraft, der Stärke,
des Mutes. Als Christen müssen wir uns nicht entschuldigen, dass wir das
heutzutage überhaupt noch sind und so manches anders vertreten als viele
Zeitgenossen. Vielmehr wäre es an uns, als Getaufte und mit Heiligem Geist
Gefirmte, das heißt Gestärkte, den Gott des Lebens zu verkünden; den
Gott, der den Wert des Menschen nicht nach seinem Leistungsvermögen und
nach seiner Profitabilität bemisst, sondern ihm Würde verleiht, eine Würde, für
die einzustehen durch das Wort und durch die Art unseres Umgangs mit Menschen
uns allen aufgetragen ist.
Es wird auch an uns liegen, ob es entgegen
einem ökonomistischen Menschenbild auch in Zukunft noch das
christlich-humanistische geben wird.
Pfarrer
Bodo Windolf
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