Predigt vom 31. März 2002 (Osternacht)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Die Nacht der Wache des Herrn
Predigttext

Osternacht 31. März 2002
Die Nacht der Wache des Herrn

Für manche dauert sie lang – die Osternacht. Doch wir wissen alle: Großes muss man groß feiern, - mit Muße, mit Hingabe des Herzens; in dieser Stunde mit der Bereitschaft, sich in die Dramatik dieser Nacht hineinziehen zu lassen, in die Dramatik ihrer Liturgie; auch in die Dramatik der Lesungen, die ja fast nicht enden wollen, und die ich versuchen möchte, ein wenig zu erschließen.(Es gibt verschiedene Zugänge zu diesen nicht einfachen Texten. Ich wähle für heute einen Zugang über eine jüdische Auslegung, die ihre Verwurzelung im Judentum hat)

Zuvor sei allerdings erwähnt, dass die etwa zwei Stunden unserer Osternachtsfeier geradezu eine Lappalie sind im Vergleich zu der Intensität, mit der die Christen der ersten Jahrhunderte diese Nacht begingen. Für sie begann sie nach Sonnenuntergang. Man ließ in vielen Schrifttexten die ganze Heilsgeschichte am geistigen Auge vorüberziehen, die Taufe wurde gespendet, und Hymnen singend, wachend und betend verbrachte man die ganze Nacht, bis man erst im Morgengrauen beim ersten Hahnenschrei mit der Eucharistie endete.

Diese Nacht trägt bis heute den Namen „Mutter aller Vigilien“, das heißt „Mutter aller Nachtwachen“, „Nacht der Wache für den Herrn“. Diese letztere Bezeichnung „Nacht der Wache für den Herrn“, wie sie die modernen liturgischen Bücher vorsieht, beinhaltet eine kleine, aber sehr entscheidende Akzentverschiebung, die die Bedeutung der Nacht geradezu auf den Kopf stellt. Sie legt nahe, das Entscheidende sei, dass wir Menschen für den Herrn und bei dem im Grabe ruhenden Herrn bis zu seiner Auferstehung im Morgengrauen wachen. Doch die Pointe der Osternacht ist, dass es sich heute gerade umgekehrt verhält. Hören wir dazu aus einer Osternachtspredigt, die im vierten Jahrhundert der heilige Bischof Chromatius von Aquileia hielt: „Alle (Gebets)-Wachen, die man dem Herrn zu Ehren hält, sind Gott wohlgefällig und werden von ihm angenommen, doch diese Wache steht über allen Wachen. Sie wird in beispielhaftem Sinn, die Wache des Herrn genannt. Denn es steht geschrieben: „Als eine Nachtwache des Herrn gilt sie (den Israeliten) in allen Generationen.“ (Ex 12,42)“

Was ist mit diesem nicht „Wache für den Herrn“, sondern „Wache des Herrn“ gemeint?

Das christliche Ostern wurde von Anfang an im Zusammenhang mit dem jüdischen Pascha gesehen und gefeiert. Nach einer alten jüdischen Überlieferung ist nun aber die Paschanacht die Nacht der „vier Nächte“; die Nacht, auf die die entscheidenden vier Nächte der Heilsgeschichte fallen.

Zum einen ist das die Schöpfungsnacht, in der Gott (Jahwe) die Schöpfung der Nacht des Nichts entriss, um sie mit der Urgewalt seines Wortes: „Es werde Licht“ – und wie soll man sich dabei nicht an so etwas wie den Urknall erinnert fühlen? – ins Dasein zu schleudern.

Die zweite Nacht ist die Nacht Isaaks, als er geopfert werden sollte und Gott ihn der Nacht des (vor Augen stehenden) Todes entriss, aber auch der Nacht eines Gottesbildes, das in der Religionsgeschichte zu Hekatomben entsetzlichster Menschenopfern zur Besänftigung des Zorns der Götter führte.

Die dritte Nacht ist die, in der Gott das Volk Israel der Nacht der Sklaverei Ägyptens entriss und in die Freiheit führte.

Die vierte Nacht wird die Nacht des Weltendes sein, durch die Gott alle Nächte dieser Welt hinüberführen wird in den Tag ewiger Erlösung.

Genau diese Nächte nun, deren man sich am jüdischen Pascha- oder Osterfest erinnert, werden seit ältester Zeit bis heute auch in der christlichen Osternacht lesend vergegenwärtigt. Und zwar deswegen, weil die Verwandlung schlechthin aller Nächte dieser Welt, für die die vier Nächte stellvertretend stehen, in hellsten und freudeerfülltesten Tag gefeiert wird.


Gehen wir einmal durch, wofür diese vier Nächte stehen könnten: Die Schöpfungsnacht steht für unsere Angst, in das Nichts, aus dem wir alle kommen – denn jeder von uns war vor seiner Empfängnis nicht – durch den Tod zurückgestoßen zu werden. Doch in dieser, in der heutigen Nacht hören wir: Um zu sein, um ewig zu sein, um ewig in unvorstellbar seliger Auferstehungsgemeinschaft mit mir zu sein, - allein deswegen habe ich dich geschaffen, dich der Nacht des Nichts für immer entrissen und dich heute vom Tod, vom ewigen Tod erlöst.

Die Nacht der Opferung Isaaks – sie steht für alle Nächte überfordernder Prüfungen, die das Leben uns auferlegt und die uns das Bild des liebenden Gottes so oft verdunkeln, weil wir ihn nicht mehr verstehen, so wenig, wie Abraham ihn hat verstehen können. Doch in der heutigen Nacht hören wir: Auch ich, dein Gott, der ewige Sohn des Vaters, kenne diese Nacht; auch ich habe zu Gott, meinem und deinem Vater geschrien: „Warum?“ Aber ich bin hindurchgeschritten durch diese Nacht hinein in den Tag des Verstehens, hinein in jenes Auferstehungslicht, in dem all unsere irdischen Fragen einmal eine selige Antwort finden werden.

Die Paschanacht, die Nacht der Befreiung aus ägyptischer Sklaverei – sie steht für alle Nächte der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung, der Ausbeutung auf unserer Erde, aber auch für die Nächte unserer eigenen Verstrickung in Schuld, in unfrei machende Süchte und Abhängigkeiten, für die Fesselung an uns selbst in Egoismus und Selbstsucht. Doch auch hier hören wir heute: Das alles habe ich für dich getragen, für dich auf Golgotha erlitten, um die Nacht deiner Schuld, auch der Unterlassung von so viel Gutem, das dir möglich wäre, in den Auferstehungstag der Vergebung und der Befreiung zu selbstloser Hingabe und Liebe zu verwandeln.

Zuletzt die entscheidende Frage: Gibt es all diese Verwandlungen unserer Nächte nur symbolisch in dieser Feier, oder gibt es sie, einzig wichtig, auch in unserem Leben?

Die Antwort kann nur lauten: Ja, es gibt sie. Ich und viele von Ihnen kennen solche Menschen, in deren Leben das geschehen ist und immer noch geschieht. Die unheilbar Kranke, die aus ihrem Glauben an Christus heraus froher ist als unzählige Gesunde; der Schuldbeladene, der, seine Schuld vor Gott bekennend, Befreiung durch Vergebung erfährt; die vom Leben zutiefst Gezeichnete, die nie bitter wurde; der gelassen dem Tod Entgegengehende, weil er weiß: jenseits der Todesgrenze wartet Er auf mich; Er, den wir heute als den Überwinder des Todes feiern. In diesen und unzähligen anderen Menschen erfahren wir die Auferstehung Jesu Christi in uns selbst, in unserem Leben. Er ist es, der über unseren Nächten wacht und meine Nächte verwandelt in dem Maße, wie ich an die mich verwandelnde Kraft des Auferstandenen Jesus Christus glaube.

Die Osternacht – Nacht der Wache des Herrn für uns, ja für mich, damit er in einem jeden von uns auferstehen kann zur Freude des Ostertages.

Pfarrer Bodo Windolf

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