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Sonntag im Jahreskreis 3. Februar 2002
1 Kor 1,26-31; Mt 5,1-12a
Bodo
Windolf: Zur Bundestagsentscheidung über Embryonenforschung
Das Schwache in der Welt,
das ist es, was Gott vor allem anderen erwählt, worauf er ein Auge hat, das
unter seinem besonderen Schutz steht. So schreibt sinngemäß der heilige Paulus
an die Gemeinde in Korinth. Gegen diesen Gott der Armen, Schwachen,
Entrechteten, Ausgebeuteten, Niedergetretenen hat zu Beginn des letzten
Jahrhunderts der Philosoph Friedrich Nietzsche lautstark seine Stimme erhoben.
„Der christliche Gottesbegriff – Gott als Krankengott... ist einer der
korruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind“ (1178) „Das
Christentum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missratenen genommen, es
hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des starken
Lebens gemacht.“
Liebe
Gemeinde!
Diese und andere Auslassungen Nietzsches gegen die von ihm sogenannte
„Sklavenmoral“ des Christentums, gegen die Parteinahme für die Schwachen,
hat ohne Zweifel in direkter Linie zu den schlimmsten Ausgeburten jener
Herrenmoral der Nazis geführt, die eine brutale Moral des Rechts der Starken über
die Schwachen und Wehrlosen war.
In
bewusster Abkehr von diesem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte hat unser
bundesdeutsches Grundgesetz in
Artikel 1 unserer Verfassung den Menschen so sehr unter seinen Schutz gestellt,
dass restlos jeder für immer dem Zugriff des Staates oder auch anderer
Institutionen und Menschen entzogen bleiben sollte, und zwar vom ersten Anbeginn
seiner Existenz bei der Verschmelzung von Samen und Eizelle, wie es das
Bundesverfassungsgericht in einem seiner Urteile ausdrücklich festlegte. Was
damals 1949 in herausragender Weise gelang, steht heute in Gefahr,
scheibchenweise verraten zu werden, nicht erst seit vergangenem Mittwoch; aber
dieser Tag markiert eine weitere entscheidende Niederlage, die unser Bundestag
dem Geist unserer Verfassung zugefügt hat.
Auch
wenn ich erst vor vierzehn Tagen zur Problematik der Forschung an embryonalen
Stammzellen Stellung bezogen habe, wobei ich mich bedanken möchte, dass über
180 Menschen aus unserer Pfarrgemeinde sich durch ihre Unterschrift für den
Schutz menschlichen embryonalen Lebens eingesetzt haben, kann ich, nachdem die Würfel
nun gefallen sind, nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Ich bitte
um Verständnis, wenn ich noch einmal darauf zu sprechen komme. Vielleicht
fragen Sie: Man kann ja jetzt eh nichts mehr ändern, warum dann schon wieder
darüber reden. Ich sage: Eines kann man noch tun – ich drücke es drastisch
aus: Man kann dem „Teufel“, man kann dem Geschehenen die Maske, die
scheinbar liebliche Maske vom Gesicht reißen. Und das will ich tun.
Jesus
hat ja nicht umsonst den Ungeist, den Widerpart des Heiligen Geistes, der in
unserer Welt herrscht, als den Diabolos, den Durcheinanderbringer, den Vater der
Lüge bezeichnet. Seltenst tritt er unmaskiert, in der Gestalt des nackten Bösen
auf. Vielmehr liebt er es, sich unter dem Anschein des Guten, des
Kompromissbereiten und anderer schöner Eigenschaften zu verbergen. Das Böse
wird als gut und das Gute als böse, die Lüge als das Wahre und das Wahre als Lüge
verkauft.
Und
diese Strategie des Durcheinanderbringens ist am vergangenen Mittwoch
hervorragend aufgegangen. Denn wofür am Mittwoch die 340 Abgeordneten aller
Parteien gestimmt haben, wird als ein weiser, die beiden Extreme vermeidender
Kompromiss gefeiert. Doch in Wirklichkeit hat mit diesem Kompromiss nicht einer
der logisch konsequenten, sondern der heuchlerischste der drei Entwürfe den
Sieg davon getragen. Was die Logik der Argumentation betrifft, stimme ich hier
Ulrike Flach von der FDP zu, die in der Debatte ausführte: „Entweder ist die
Forschung an embryonalen Stammzellen moralisch nicht verantwortbar, dann dürfen
wir sie weder im Ausland noch im Inland zulassen und müssten Sanktionen gegen
Staaten erwägen, die dies tun. Oder sie ist moralisch vertretbar, dann muss sie
angesichts der darauf wartenden Patienten umfassend und schnellstmöglich gefördert
werden.“
Im
Klartext: Dann müssen auch bei uns Embryonen zu Forschungszwecken verwendet
werden dürfen. Aber zu sagen: Sicher, wir wollen an embryonalen Stammzellen
forschen; nach deutschem Embryonenschutzgesetz dürfen wir sie in unserem Land
aber nicht gewinnen, weil dazu die Tötung von Embryonen notwendig ist; also
seien wir doch froh, dass andere Länder dieses nach unserem Gesetz schmutzige
Geschäft schon erledigt haben und machen wir uns zumindest zu Nutznießern des
Ergebnisses dieses für uns verbotenen Geschäfts – das ist,
um es zu wiederholen, bodenlose Heuchelei; es ist die nachträgliche Gutheißung
einer bei uns verbotenen Tötungshandlung einhergehend mit der scheinheiligen
Geste: Ich wasche meine Hände in Unschuld.
Stellen wir uns vor, in irgendeinem Land der Erde wäre es legal, zum Beispiel
Sklaven zu töten, um an dringend benötigte Organe für Transplantationen zu
gelangen, und im Namen einer „Ethik des Heilens“ und im Namen der bei uns
wartenden Patienten wären Politiker bei uns bereit, solche Organe zu
importieren, weil deren Besitzer, die Sklaven, ja nicht durch uns getötet
wurden – es würde einem Übel werden vor einer solchen Heuchelmoral.
Das
Perfide an dem Entscheid vom Mittwoch ist, dass es den Anschein hat, man habe
das Schlimmste, die freie Fahrt für die Verwertung menschlichen embryonalen
Lebens ja verhindert. Dem Diabolos, dem Durcheinanderbringer ging es vermutlich
gar nicht darum, die Tür gleich ganz aufzureißen. Taktisch viel geschickter,
weil die schlechten Gewissen beruhigend, war, die Tür nur einen Spalt weit zu
öffnen; den Fuß nur gerade in die Tür zu setzen. Alles Weitere, das langsame
Öffnen Schritt um Schritt wird – wir werden es alle sehen – nur eine Frage
der Zeit sein. Denn schon jetzt gibt es Stimmen, die sagen, dass die zur Verfügung
stehenden Zelllinien nicht ausreichen, dass sie mit der Zeit an Qualität einbüßen,
durch Viren verunreinigt werden können und so fort. Aber wenn es einmal möglich gewesen ist, nach Menschenmaterial zu greifen, dann
gibt es keinen Grund mehr, es nicht auch ein zweites und drittes Mal zuzulassen
und eine Schranke nach der anderen fallen zu lassen.
Liebe
Gemeinde!
Ist es Zufall, dass es nach fast 60 Jahren wiederum ausgerechnet jüdisches
menschliches Leben ist, das wir uns zu Forschungszwecken nach Deutschland
schicken lassen? Oder ist dies kein Zufall, weil es anzeigt, wes Geistes Kind
letztlich die Entscheidung vom Mittwoch ist?
Der
erste, vermutlich entscheidende Schritt zu einem menschenunwürdigen Umgang mit
der Menschenwürde der jüngsten Glieder unserer Gesellschaft ist trotz
bestehender Alternativen (Forschung an adulten Stammzellen) und trotz der
einhelligen Mahnung sowohl der evangelischen wie katholischen Kirche erfolgt mit
Zustimmung von Abgeordneten leider aller Parteien. Nicht ethisch, sondern
pragmatisch ist entschieden worden, menschliches Leben auf dem Altar von
Fortschritt, Forschung und einer ganz vagen Hoffnung auf Heilmethoden zu opfern,
Heilmethoden, für die vermutlich weitere Menschenleben geopfert werden müssen.
Es war eine dunkle Stunde in der Gesetzgebung unseres Landes, der vergangene
Mittwoch. Wir dürfen hoffen und beten, dass unser vermessenes Tun nicht
irgendwann auf uns selbst zurückfällt, weil wir das Schwache, das unter Gottes
besonderem Schutz steht, zu wenig geschützt haben.
Pfarrer
Bodo Windolf
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