Zweiter Weihnachtstag
2001
Evang:Mt10,17-22
Mord, Lynchjustiz durch einen religiös fanatisierten Mob unter Einwilligung der
religiösen Elite, und zwar an jemandem, der den Hass der religiösen Eiferer
nur deswegen auf sich zog, weil er anders glaubte als sie – das ist in
verallgemeinerter Formulierung der Hintergrund des heutigen Stephanusfestes.
Millionen von Christen sind bis heute wie der Erz-Märtyrer Stephanus Opfer
solcher Gewalt geworden. Leider wurden Christen in späterer Zeit auch zu Tätern
religiös motivierter Gewalt.
Was damals war, ist heute, und versetzt in furchtbar gesteigerter Form Menschen
in Angst und Schrecken. Ein unentwirrbares Gemisch aus religiösem Eiferertum,
politischem Machtstreben und sozialem Aufbegehren führt zu den abscheulichen
Verbrechen, die besonders seit den letzten Monaten die Schlagzeilen füllen.
Dabei ist die religiöse Motivation die ohne Zweifel am meisten fanatisierende.
Denn nur die Religion reicht tief genug hinab in unsere Seele, um unseren natürlichen
Selbsterhaltungstrieb zu überwinden und die Bereitschaft zu wecken, alles,
selbst das eigene Leben, zu opfern. Denn niemand sprengt sich selbst in die
Luft, nur um andere zu töten, es sei denn, er halte es für einen göttlichen
Auftrag und er dürfe dafür jenseitigen Lohnes gewiss sein, mag solches Denken
auch noch so pervers sein.
Wenn es so ist, ist dann nicht die Religion als solche des Übels
Wurzel? Zumindest jede Religion, die mit einem absoluten Wahrheitsanspruch
auftritt, wie dies sowohl für das Judentum wie auch den Islam wie auch für das
Christentum zutrifft? Kann eine Religion wie diese drei überhaupt auf Dauer
tolerant sein? Sollte an deren Stelle nicht ein aufgeklärter und
pluralistischer Humanismus treten, der die Gottes- und Wahrheitsfrage einfach
ausklammert und erst so Toleranz garantiert, wie dies in Leserbriefen der Süddeutschen
Zeitung und in anderen Kommentaren der letzten Zeit zu lesen und zu hören war?
Als Antwort möchte ich eine These aufstellen: Um eben der Toleranz willen und
um auf Dauer dem Islam standhalten zu Können, brauchen wir in unserem Land
nicht weniger an Christentum, sondern mehr Christentum. Ich versuche in aller
gebotenen Kürze eine Begründung.
Der praktische Atheismus in seiner simpelsten Art, wie er hierzulande immer mehr
um sich greift, bei dem Gott so gut wie keine Rolle mehr spielt für das eigene
Leben und Fitness, gestyltes Aussehen, Körperkult und Spaß zur banalen
Ersatzreligion werden – ist keine Alternative. Der horror vacui der Physik
trifft auch auf den Bereich der Religion zu. Wo heute unzählige Kinder und
Jugendliche weitestgehend in einem religiösen Vakuum heranwachsen, da wird sich
auf Dauer dieses Vakuum mit anderem, unter Umständen mit abstrusestem Zeug füllen.
Will man das nicht, bietet sich als wirkliche Alternative ein authentisch
gelebtes Christentum an. Dabei ist mir bewusst: Es gibt wohl kaum ein
Verbrechen, das von Christen oder sogar im Namen der christlichen Religion nicht
begangen worden wäre. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu einer
Religion wie etwa den Islam, den ich aus aktuellem Anlass nenne. Nie konnte man
sich bei all diesen Taten auf die Gründergestalt Jesu und sein Evangelium
berufen. Zwar gibt es sein Wort: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu
bringen, sondern das Schwert.“ Doch hier ist nicht ein Schwert gemeint, das er
selbst in die Hand genommen hätte, um seine Botschaft mit Gewalt zu verbreiten,
sondern ein Schwert, das gegen ihn selbst als ersten geschwungen wurde und
dessen erstes Opfer er war. Denn er
wusste, dass er und die Seinen auch auf viel Hass, Feindschaft und Verfolgung
stoßen würden, wie es das heutige Evangelium so realistisch ausgeführt hat.
Ganz anders, bei allem Respekt, die Gründergestalt Mohammed. In diesem Punkt
ist der Unterschied am augenfälligsten, da Mohammed selbst mit Schwert und Blut
für seine Botschaft gestritten hat. Mag auch im Koran der oft zitierte Satz
stehen: „Im Glauben sei kein Zwang“ (2,256); dieses Wort hat leider keine größere
göttliche Autorität als jenes aus Sure 47,4 und anderen Koranstellen: „Wenn
ihr die Ungläubigen seht, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel
unter ihnen angerichtet habt.“ Mögen die allermeisten Muslime in unserem Land
ebenso friedliebend sein wie andere Deutsche – es wird wohl immer auch die
geben, die sich auf die göttliche Autorität solcher und etlicher anderer
Stellen des Korans berufen können und berufen werden. Den Beweis, wie
friedliebend der Islam grundsätzlich sei, müsste er im übrigen nicht hier bei
uns, wo er keine politische Macht besitzt, führen, sondern in all jenen Ländern,
wo er regiert und zehntausende besonders Christen unterdrückt oder blutig
verfolgt.
Liebe Gemeinde!
Was beabsichtige ich mit diesen Ausführungen:
Zum einen möchte ich betonen:
Der Urimpuls, den das
Christentum von seinem Gründer her empfangen hat, ist ein strickt gewaltloser.
Wer authentisch als Christ leben will, muss darin seinem Meister folgen. Und
daher steht wahres Christentum gerade aufgrund seines Wahrheitsanspruches von
Christus selbst her für Toleranz, Gewaltlosigkeit und Respekt vor der Überzeugung
anderer.
Zum zweiten gilt:
Als Christen haben wir die Pflicht, die Hand zu Versöhnung und Dialog
auszustrekken in eben diesem Respekt vor allem Wahren, Guten und
Bewundernswertem, das viele gläubige Muslime auszeichnet. Eine
Pauschalverurteilung des Islam ist unchristlich. Aber der Dialog sollte nicht in
naiver Gutgläubigkeit das für Christen Angsterregende, ja auch Böse einfach
unter den Teppich kehren, wie es in falscher political correctness nur zu häufig
geschieht, sondern es beim Namen nennen in der Hoffnung, dass die Kraft der
Wahrheit auch überzeugen kann.
Ich möchte schließen, indem ich wiederhole, was ich erst kürzlich von dieser
Stelle aus gesagt habe: Die profilierteste Gestalt unter uns Christen, die es
vermag, die Wahrheit des eigenen christlichen Glaubens ohne Relativierung zu
vertreten und zu bezeugen, zugleich aber die Hand stets ausgestreckt zu halten
zum Dialog und zu Gesten der Versöhnung, des Respekts und der Verständigung,
ist wohl unser derzeitiger Papst Johannes Paul. Wer sich darin übt, wandelt in
den Fußspuren Jesu, der als Gottes Sohn die Wahrheit und der Friede für unsere
Welt ist.
Pfarrer
Bodo Windolf
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