Predigt vom 30. Sept 2001

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Die Schuld nicht wahrgenommener Not
Predigttext

26. Sonntag im Jahreskreis 30. September 2001

zu Lk 16,19-31

Das heutige Gleichnis – wir spüren es alle - betrifft auf irgendeine Weise jeden von uns. Auf irgendeine Weise spiegelt der namenlose Prasser etwas in uns selbst, nein ich sage: gerade auch in mir selbst.

Es ist wie ein Sprengsatz, den Jesus mit seinem Gleichnis mitten hinein in unsere bundesrepublikanische Wohlstandsgesellschaft  wirft, mitten hinein in unser eigenes wohlsituiertes, oft verschwenderisches, gutbürgerliches Wohlstandsdasein. Es ist nicht der fremd gezündete Sprengstoff von Terroristen, sondern ein Sprengsatz, den jeder von uns nur für sich selbst und  ganz und gar freiwillig zünden kann, um unnütz angehäufte Reichtümer dorthin zu zerstreuen, wo sie besser aufgehoben sind als in den eigenen krallenden, für sich selbst behalten wollenden Händen. Wir alle - und ich für mich selbst als erster – müssen der Versuchung widerstehen, diesen Sprengsatz durch wohl gesetzte Worte entschärfen zu wollen. Wer daher das Gleichnis Jesu gehört hat und nicht seinen eigenen Umgang mit dem Reichtum zumindest überdenkt und gegebenenfalls verändert, vielleicht sogar radikal verändert, hat nicht nur nicht zugehört - „Wer Ohren hat zu hören, der höre“, so beendet Jesus einige seiner Gleichnisse –, sondern  muss sich von Jesus die Frage gefallen lassen: Leidest etwa auch DU an dieser zersetzenden, an dieser unheimlichen Krankheit des reichen Prassers, die deswegen so unheimlich ist, weil sie so verborgen ist, ähnlich einem Krebsgeschwür, das man oft erst entdeckt, wenn es zu spät ist; denn auch der reiche Prasser nimmt ja erst wahr, wie es um ihn tatsächlich bestellt war, als es längst zu spät ist; zu spät um sein Leben noch rechtzeitig zu korrigieren.

Doch was ist das für eine Krankheit? Geht es um unterlassene Hilfeleistung? Das greift viel zu kurz, zumal der arme Lazarus nicht einmal um Hilfe gebettelt hatte. Geht es um den Geiz des Reichen? Wohl auch nicht in erster Linie. Denn was hätte es ihn denn schon gekostet, ein wenig von seinem Überfluß herzugeben, geschweige denn von den heruntergefallenen Brosamen?

Nein, worauf Jesus aufmerksam machen will, ist etwas viel Unheimlicheres, ein viel tiefer sitzender Krankheitsherd. Der reiche Prasser ist so sehr mit sich selbst beschäftigt – mit der Verwaltung seiner Reichtümer, mit dem Anlegen und Spekulieren mit Aktien, mit dem Genuß seiner erlesenen Speisen, mit dem eigenen Spaß am Leben – er ist so sehr eingesperrt in die Trutzburg seines eigenen Ich und,  wie der weitere Verlauf zeigt, gerade noch seiner eigenen Familie, - dass er die Not des Bettlers, die Not des Fremden vor seiner Tür überhaupt gar nicht mehr wahrnimmt. Er ist zutiefst blind und taub geworden für alles Notvolle außerhalb seines Hauses.

Und die Not des Lazarus – sie ist so groß, dass er, Lazarus, nicht einmal mehr auf sie aufmerksam zu machen vermag, geschweige denn mit Vorwürfen oder gar Gewalt und Terror gegen den satten Spießbürger da drinnen vorgehen könnte. Nein, er ist angewiesen, nicht nur, dass sich andere seiner annehmen, sondern dass sie seiner Not überhaupt erst ansichtig werden; dass sie bereit sind, überhaupt nur hinzuschauen, ihn in seiner Armut wahrzunehmen, und sie dann hoffentlich auch an sich heran zu lassen und schließlich zu helfen.

Wieviel (ja oft auch seelische) Not verbirgt sich hinter so mancher Haustür des Wohnblocks, der Häuserzeile, der Straße, die wir bewohnen, und wie viele gehen täglich vorbei und schauen erst gar nicht hin oder wollen es auch gar nicht.

Wenn es stimmt, was in den Nachrichten zu hören war, will der politische Shooting-Star Schill die Hamburger Innenstadt von Bettlern säubern lassen, um dem hanseatischen Biedermann solch anstoßerregenden Anblick zu ersparen, der seinen Genuß einzutrüben droht. Auch in München ist immer wieder davon die Rede. Mir fällt dazu nur ein: widerwärtig.

Aber zurück zu uns selbst: Wie viele Lazarusse werden durch Zeitung, Funk und Fernsehen täglich geradezu in unser Wohnzimmer hinein getragen, und man ist sie schon sooo gewöhnt; oder die aktuellen Börsendaten, der Stand des DAX und Dow Jones erscheinen viel wichtiger als das andere Bedrückende, an dem wir ja sowieso nicht viel ändern können. Aber genau das ist der Irrtum. Gerade unser, nein: gerade mein kleinerer oder größerer Beitrag, hoffentlich nicht nur vom Überfluß an materiellen Gaben, an Zeit, einfach an dem, was ich zu geben vermag, macht die Welt an einer vielleicht noch so kleinen, aber dennoch nie unwichtigen Stelle besser, gerechter, freudvoller, friedvoller und schöner.

Nicht Reichtum als solcher ist daher das Problem von dem Jesus spricht, sondern der Reichtum, der uns Augen, Ohren und besonders das Herz verklebt. Reichtum ist nie einfach nur mein Besitz, sondern er ist Leihgabe, die ich spätestens im Tod lassen muss; mir auf Zeit anvertraut. Wozu? Um mir damit Freunde zu machen, wie es im Evangelium der vergangenen Woche hieß; ewige Freunde, die vielleicht dann, wenn mein Leben einmal wie das des Lazarus und des reichen Prassers vor dem Richterstuhl Gottes offenbar werden wird, meine treuesten Anwälte sein werden.

Ein letzter Gedanke: Dass der Prasser um Hilfe für seine Brüder bittet, will nicht ausdrücken, dass reiche Egoisten in der Hölle auf einmal solidarisch werden. Vielmehr ist die Sinnspitze: Im Gewahrwerden, wer er selber wirklich war, verfallen an seinen Besitz, an sein Schlemmerdasein - wobei der unüberwindliche Abgrund, der ihn von Lazarus trennt, den Abgrund zwischen beiden widerspiegelt, den er in seinem irdischen Leben nie überbrückt hat - sieht er auch die verdeckte, die vom Reichtum übertünchte Not seiner Brüder; eine Not, die in einem gewissen und sicher entscheidenderen Sinn viel größer ist als die des Lazarus.

Wie steht es diesbezüglich mit mir? Wie sieht mein eigener Umgang mit meinem Besitz aus? Wie sensibel und achtsam oder auch blind bin ich für die Not anderer?

Wer das heutige Evangelium für sich selber ernst nimmt, wird sich überlegen: Welcher Lazarus sitzt  eigentlich vor meiner Tür? Wo ist eine konkrete Not, die ich bislang nicht gesehen habe oder vor der ich sogar bewußt  die Augen  verschlossen habe? Wo gibt es „Lazarusse“ in der Nähe oder Ferne, denen ich heute schon oder in nächster Zeit Hilfe schenken könnte: mit meiner Zeit, nicht zuletzt aber auch mit meinem Besitz, indem ich austeile und so die Freude kennenlerne, die nicht nur darin besteht, Reichtum zu besitzen, sondern auch darin, ihn zu verschenken.

Pfarrer Bodo Windolf

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