24.
Sonntag im Jahreskreis
zu
Lk 15,1-32
Wie kann Gott so etwas zulassen?“
„Wie
kann er überhaupt all das Schreckliche, soviel abgrundtief Böses in unserer
Welt zulassen?“
„Wie
konnte er eine Welt erschaffen, in der es soviel unsägliches Leid, so unfaßbare
Schuld gibt?“
„Ist
seine Schöpfung nicht gänzlich missglückt?“
So
oder so ähnlich können wir Menschen in diesen Tagen und auch sonst oft reden
und fragen hören, angesichts ungeheuerlicher Gräueltaten erst vor wenigen
Jahren auf dem Balkan; und jetzt wieder angesichts dessen, was am 11. September
in Amerika passierte.
Gibt
es Antworten? Ich glaube, die letzten, die uns wirklich zufriedenstellenden Antworten
können uns wohl noch
nicht zuteil werden. Sie sind noch Teil des Geheimnisses Gottes, das endgültig
erst gelüftet wird, wenn wir einmal bei ihm sind und in seinem Licht auf unser
eigenes Leben und auf die Geschicke der Erde zurückblicken dürfen. Jetzt können
wir nur glauben, dass wir dann sehen werden, wie Er durch alle Irrungen und
Wirrungen hindurch selbst da Sinn einstiftet und eingestiftet hat, wo wir ihn
bei bestem Willen nicht zu sehen vermögen.
Wir
müssen uns wohl für jetzt mit Hinweisen begnügen, und ich möchte, bevor ich
auf das Evangelium schaue, zunächst einmal auf uns selbst blicken. Zu dem, was
uns allen mit am kostbarsten ist, zählt ohne Zweifel unsere Freiheit.
Frei wollen wir alle sein, nicht fremd-, sondern selbstbestimmt, keine Sklaven
oder Marionetten an den Strippen von Menschen oder auch Gottes, sondern solche,
die frei und aus eigenem Wollen ihr Leben gestalten. Gott als Geber dieser
kostbaren Gabe der Freiheit – das ist eigentlich der erste und oft
vergessene Charakterzug, den Jesus vom Vater seines Gleichnisses zeichnet. Kein
Drängen, Bitten, Beschwören, geschweige denn irgendeine Art von Zwang gibt es
hier – dieser Vater lässt seinen Sohn frei; er darf entscheiden, ob er bei ihm bleiben oder von ihm weggehen will. Und daher läßt er ihn in aller
Freiheit ziehen.
Gott,
der jedem von uns, jedem Menschen die Gabe der Freiheit geschenkt hat, weil er
es unternommen hat, im Menschen keine Marionette, sondern einen Partner einen
Bundespartner, ein zu Liebe und Freundschaft fähiges Wesen zu
erschaffen. Welch schönes Ziel der Schöpfung,
Geschöpfen teilzugeben an seiner göttlichen Freiheit und Freude, die aus der
Liebe stammt und diese zugleich ermöglicht, weil es Liebe ohne Freiheit nie
geben kann. Aber auch: welches Risiko!
Wer
frei ist, zu lieben, ist auch frei, die Liebe zu verwerfen und zu hassen. Welche
Höhen und welche Abgründe ermöglicht die Freiheit, Höhen des Guten, wie in
einem heiligen Franziskus, aber auch Abgründe des Bösen und der
Menschenverachtung, wie bei den Menschen, die diesen Terror verübten.
Nichts,
gar nichts, kann das Geschehene rechtfertigen; aber so sehr wir es zurecht mit
Abscheu betrachten, sollte es uns und Amerika nicht dazu verführen, in
selbstgerechter Pose die eigenen Hände in reiner Unschuld zu waschen.
Freiheitsmissbrauch betreiben nicht nur die, die statt zu lieben hassen, sondern
auch die, die den Hass in anderen nicht verhindern, obwohl sie es könnten, oder
ihn gar schüren. Unrecht gebiert neues und schlimmeres Unrecht - das erleben
wir jetzt, da das Geschehene natürlich auch etwas mit dem ungelösten
Nahostproblem zu tun hat. Eine unverantwortliche Siedlungspolitik von seiten
Israels trotz, ja gegen bestehende Verträge, schüren Hass. Das Messen mit
ungleichem Maß, was die Erfüllung von UN-Resolutionen betrifft und mangelnder
Wille, auch den Palästinensern den ihnen notwendigen Lebensraum und Selbständigkeit
zu gewähren, schüren Hass. Noch einmal: nichts rechtfertigt die abgrundtief böse
Tat gegen unschuldige Zivilisten in Amerika. Aber auch diese Medaille hat noch
eine andere Seite.
Doch
nun die Frage: Wie konnte Gott das Risiko einer solchen Welt mit so viel Unheil
eingehen? Er konnte es, weil er selbst für das Gelingen seiner Schöpfung
einsteht. Der verlorene Sohn des Gleichnisses steht ja nicht nur für den
einzelnen Menschen. Er steht auch für die Menschheit insgesamt, für ihre
Verlorenheit, ihr Getrenntsein vom lebenspendenden Gott. Was wir am Vater des
Gleichnisses sehen, das vollzieht und erfüllt sich in seinem Sohn. Es ist der
Vater, der dem verlorenen Sohn entgegengeht, und er tut es in seinem Sohn
Jesus Christus, der in seiner Menschwerdung uns entgegengeht. Und wieder:
Es ist der Vater, der den Heimgekehrten in seine Arme nimmt und zugleich sind
dies die ausgestreckten Arme Jesu am Kreuz, mit denen er uns Sünder, selbst den
Verlorensten, an sich ziehen will. Es ist die je größere Liebe Gottes, die selbst
in noch tiefere Dunkelheit, in noch größere Verlorenheit hinabstieg, als der
ärgste Sünder verloren und im Dunkeln ist. Hier ist eine Liebe, die größer
ist als alle Bosheit der Welt, die das Böse gleichsam nochmal unterfängt, in
der Hoffnung, dass am Ende selbst noch der gottfernste Sünder den Weg in die
Arme des Vaters findet, die zugleich die des Gekreuzigten sind.
Sind
das Antworten? Nein, aber Hinweise, dass Gott weiß, was er tat, als er diese
unsere Schöpfung ins Dasein rief, und dass es nichts gibt, das aus seinen guten
Plänen mit der Schöpfung und Menschheit herausfällt. In dieser Hoffnung
wenden wir uns im Gebet an ihn: für uns, dass wir selbst die Gabe der
Freiheit immer mehr in seinem Sinn gebrauchen, und auch für die Opfer und Täter des furchtbaren Anschlags in Amerika.
Pfarrer
Bodo Windolf
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