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Ostersonntag 22. April 2001 zu
Joh 20,19-31 Ent-schuldet
jede Entschuldigung? Neben
dem Glaubensbekenntnis des Thomas steht das Sakrament der Sündenvergebung im
Zentrum des heutigen Evangeliums. „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ Wir stutzen: Ist Gott nicht ein bedingungslos vergebender Gott? Stellt Er nun doch Bedingungen? Setzt er seiner Vergebungsbereitschaft nun doch Grenzen? Kann es sein, dass Er einem um Vergebung Bittenden die Vergebung verweigert (und die Kirche es in seinem Namen auch darf oder gar muss)? Wenn
wir das Wort Jesu stehen lassen wollen, dann kommen wir wohl nicht umhin zu
sagen: Ja, Vergebung ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Damit eine
Entschuldigung, sei es gegenüber Gott oder auch gegenüber Menschen, auch
wirklich ent-schulden kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Und mir
scheint, dass sich heute unter den Augen der Öffentlichkeit nicht selten ein
Umgang mit Schuld und Entschuldigungen einbürgert, der eher geeignet ist,
Schuld zu vertiefen als von ihr zu befreien. Einige
Beispiele die wir alle kennen: Da ist der Fußballspieler, der sich nach einer
groben Unsportlichkeit vor laufenden Kameras zu einem „Tut mir leid“
durchringt, es aber mit dem Hinweis, „so sei das nun einmal im Fußball“,
gleich wieder entwertet. Da ist der Minister, der einen Politikerkollegen mit
rechten Schlägern vergleicht und ihn mit einer mehr schnoddrigen als glaubwürdigen
Entschuldigung abspeist. Da ist ein designierter Bundestrainer, der die Öffentlichkeit
über Wochen hinweg belügt, was seine Drogenprobleme betrifft, um nach kürzester
Zeit in der heiteren Atmosphäre eines Fernsehstudios sein „Entschuldigung“
in die Runde zu werfen und schon mit dem nächsten Atemzug über seine weitere
berufliche Karriere zu plaudern. Und da sind, uns aus so manchem Gerichtssaal
bekannt, jene brutalen Schläger, die rechtzeitig vor der Urteilsverkündigung
schnell noch ein paar Worte des Bedauerns zu Protokoll geben; denn möglicherweise
erspart es ihnen ein paar Monate Haft. Es
scheint, dass die kalkulierte, die berechnete Entschuldigung immer mehr um sich
greift; die Entschuldigung also, die nicht aus der Einsicht in eine Schuld
kommt, nicht aus einer echten tiefen Reue, die auch nicht mit der Bereitschaft
einhergeht, gegebenenfalls persönliche Konsequenzen aus dem Fehltritt zu
ziehen, sondern die Entschuldigung, die man notgedrungen sagt, weil sie mir
etwas bringt, weil ich mir von ihr
einen Vorteil verspreche. Dieses Phänomen ist natürlich nicht neu. In Bezug auf die Beichtpraxis kannte das Mittelalter es schon mit seiner Unterscheidung zwischen „Furchtreue“ (attritio) und „Herzensreue“ (contritio cordis). Die Furchtreue kommt primär aus der Angst vor Strafe und persönlichen Nachteilen. Die Herzensreue dagegen resultiert aus einer inneren Einsicht in die Schuld und ihre Häßlichkeit; aus einer Betrübnis des eigenen Herzens, weil man Gott und Mitmenschen gekränkt und betrübt hat; und ihr ist es selbstverständlich, das Verschuldete nach Möglichkeit wieder gut machen zu wollen.
Liebe
Gemeinde! Es
ist wohl offensichtlich, dass nur eine aus der – benutzen wir ruhig dieses
altertümliche Wort – Herzensreue kommende Entschuldigung ihre ganze heilende
Kraft entfalten kann, und zwar nicht nur für den Schuldigen selbst, sondern
auch und gerade für das Opfer von Schuld. Denn zunächst einmal ist sie ein Akt
der Anerkenntnis. „Ich erkenne an, dass du ein Opfer, nein: dass du mein
Opfer meines verletzenden Verhaltens geworden bist, und dass mir, dem Täter,
das bitter leid tut. Dieser Akt der Anerkennung ist oft der einzige, jedenfalls
aber der hilfreichste Weg, dass ein verletzter Mensch sich von seinem
Verletztsein wieder zu distanzieren und zu befreien vermag. Pradoxerweise ist es
daher gerade der Täter, der am wirksamsten zur seelischen Heilung dessen
beitragen kann, an dem er schuldig geworden ist. Zugleich
ist dies der alleinige Weg zur Heilung des Täters selbst. Wer sich mit Hilfe
einer floskelhaften Entschuldigung nicht von der Tat selbst, sondern nur von den
befürchteten Konsequenzen distanzieren und befreien möchte, der zementiert
sich selbst in jener Tat, die als Schuld in ihm bleibt; er zementiert sich als Täter.
Denn es ist offensichtlich, dass solche Entschuldigung nicht ent-schulden kann,
weder vor einem Menschen noch vor Gott. Dabei
muss freilich klar bleiben: auch eine aus der Herzensreue kommende
Entschuldigung kann uns nicht als solche schon von Schuld befreien; denn niemand
kann im eigentlichen Sinn des Wortes „sich“ ent-schuldigen, also sich selbst
von Schuld lossprechen. Mich wahrhaft
ent-schuldigen, in mir das Wunder der Vergebung einer Schuld und Tat zu
vollbringen, die ich ja nie mehr rückgängig machen kann, sondern die für
immer geschehen bleibt – das kann allein Gott. Vom
Kreuz Jesu Christi her vollbringt Gott dieses Wunder meiner Ent-schuldung, wenn
ich ehrlichen Herzens Gott und Menschen um Entschuldigung bitte. Unter
Voraussetzung solch ehrlichen Herzens wird Er
Vergebung nie verweigern. Zumal dann nicht, wenn ich den Mut aufbringe, dies
auch im Sakrament der Versöhnung zu tun, in dem der Priester im Auftrag Jesu
Gott und Mensch gleicherweise vertritt: Er vertritt die Menschen und die
menschliche Gemeinschaft, vor der wir schuldig geworden sind und denen gegenüber
eine Entschuldigung oft nicht mehr möglich ist. Und er vertritt Gott, der durch
des Priesters Mund sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben. Gehe hin in
Frieden!“ Dass unsere Herzen und unsere Beziehungen erfüllt werden von diesem
Frieden, ist der Wunsch Jesu, des Auferstandenen, wenn er sagt: „Friede
sei mit euch.“ Pfarrer Bodo Windolf |