Ostern
- Fest der Sinnstiftung durch den
Gescheitert-Auferstandenen Zwei
Menschen auf der Flucht. Auf der Flucht vor der
Enttäuschung ihres Lebens. Auf der Flucht vor dem Ereignis, durch das ihr
Lebensentwurf zerbrochen ist. Sie
waren Zeugen des nicht mehr überbietbaren Scheiterns jenes Rabbi und Propheten,
auf den sie alles gesetzt, auf den sie ihre Hoffnung, ja ihr Lebenskonzept
gestellt hatten. In seinem restlosen
Scheitern am Kreuz sind nun auch sie restlos Gescheiterte. Und so gilt es nur
noch, möglichst großen Abstand zwischen sich und ihren in Jerusalem begraben
liegenden Hoffnungen herzustellen. Das
ist die Ausgangssituation des heutigen Evangeliums. Das ist die Situation vieler
Menschen heute. Die Erfahrung des Scheiterns von Lebensentwürfen, von
Lebensplanungen, die Erfahrung der Zerbrechlichkeit unserer Existenz durch
Krankheit, Leid, Tod; auch das manchmal vielleicht recht unbestimmte Gefühl:
etwas läuft schief in meinem Leben, etwas stimmt nicht, es droht Grundlegendes zu scheitern, aber es fehlt die Kraft, etwas zu
ändern - all das ist Alltagserfahrung Unzähliger. Und viele befinden sich wie
die Emausjünger auf der Flucht; auf permanenter Flucht vor solchen
Leidenserfahrungen; auf der Flucht in die Arbeit, auf der Flucht in die
Zerstreuung, auf der Flucht davor, sich einer Leiderfahrung, einem Scheitern
wirklich zu stellen. Liebe
Gemeinde! Vermutlich
hat noch nie eine Gesellschaft so viele Leidvermeidungsstrategien entwickelt und
praktiziert wie die unsere; und dabei nur anderes, aber sicher nicht geringeres
Leid als früher hervorgebracht. Dass es dieser Tage in einem europäischen Land
endgültig Gesetz wurde, dass man anstelle des Leids kurzerhand den Leidenden
selbst legal beseitigen und entsorgen darf, wenn man seines Leidens nicht mehr
Herr wird, ist sicher nur die äußerste Konsequenz jener bedingungslosen Flucht
vor Leiderfahrung, die das Leben vieler Menschen prägt und sie oft nur in neues
und anderes Leid führt. Ich
möchte fragen: Sind diese Entwicklungen nicht auch Ausdruck dessen, dass uns
der Glaube an einen Sinn von dem, was Leid in unserem Leben verursacht, gerade
auch des unvermeidbaren Leides, abhanden gekommen ist? Wo aber sollen wir suchen
bei der Frage nach einem möglichen Sinn von all dem? An
dieser Stelle tritt nun im Evangelium ein Fremder hinzu. Es ist wie in einem
Film: wir, die Zuschauer, wissen mehr als die Beteiligten. Wir wissen: der
Gescheiterte selbst tritt hier auf, geht Seite an Seite mit den vor ihrer Enttäuschung
Fliehenden. Nein noch mehr: Er ist nicht nur der Gekreuzigt-
Gescheiterte; vielmehr ist es der Gescheitert-Auferstandene,
der sie
unerkannt begleitet und ihnen zunächst ein geduldiger Zuhörer ist. Doch dann fällt
ein geheimnisvolles Wort, als er den Mund öffnet: "Musste
nicht
der Messias all das erleiden...?" Was
bedeutet dieses "Müssen" ? Viel wäre dazu zu sagen. Ich möchte es für
jetzt folgendermaßen deuten: Gottes Wesen ist das Gelingen, das
Nicht-Scheitern, die Fülle und die Vollkommenheit. Diesen
Gott drängte es aus Liebe danach, für uns ein
Mit-uns-Gescheiterter, ein Mit-uns-Zerbrochener, ein Mit-uns-Leidender zu werden.
Unsere Erfahrung
hat er durch seine Menschwerdung zu seiner eigenen
Erfahrung
machen wollen; und er wollte es, um in seiner Auferstehung dem Gescheiterten,
Zerbrochenen, dem Leiden den Sinn der Erlösung, des Ganzwerdens, der Heilung
und des Heils einzustiften. In ihm ist der Ort, an dem die Bruchstücke und
Scherben meines Lebens sich zu einem ganz neuen und unerwarteten Sinnganzen
zusammenzufügen vermögen, wenn ich ihm all diese Scherben und Bruchstücke
hinhalte. Und
hier bekommen wir den eigentlichen Kern der österlichen Auferstehungsbotschaft
zu Gesicht. Auferstehung bedeutet nicht einfach nur die Vertröstung auf ein
Jenseits, in dem es nun allen irgendwann einmal besser gehen wird. Natürlich
ist die Verheißung einer endgültigen Überwindung von Leid, Schmerz, Versagen
und Scheitern Bestandteil des Auferstehungsglaubens. Aber wichtiger noch ist der
Glaube: in Jesus Christus, dem Auferstandenen, kann restlos alles
meines
Lebens einen Sinn gewinnen; gerade auch das Negative, gerade das, vor dem ich
fliehen möchte, ohne es letztlich zu können, das Enttäuschende, das
Gescheiterte, das Zermürbende meines Lebens, das Versagen, die Schuld, ja auch
unheilbare Krankheiten und Schmerz, ja selbst das, was nur noch sinnlos
erscheint kann hier Heilung und überzeugenden Sinn finden. Dass
sich nichts, aber auch gar nichts in unserem Leben der heilenden und
sinnstiftenden Kraft des Auferstandenen entzieht, dass der Glaube daran zu einem
tragenden Fundament Ihres Lebens und unser aller Leben wird, dies ist mein
Osterwunsch für Sie. Wer aus diesem
Glauben sein Leben gestaltet,
ist daher
schon ein Auferstandener. Pfarrer Bodo Windolf |