Osternacht,
15. April 2001 zu
Gen 22,1-3.9-18 Gott,
der Vater - Seine Rolle im Erlösungsdrama Einige
wenige Stationen der Heilsgeschichte sind in den alttestamentlichen Lesungen an
unserem geistigen Auge vorübergezogen: die Schöpfung, die Befreiung Israels
aus der ägyptischen Sklaverei, stellvertretend für die vielen großen
Propheten erklang die machtvolle Stimme Jesajas; und mitten darin eine Erzählung,
die wohl zu den dunkelsten der Bibel überhaupt zählt: die Erzählung von der
geradezu übermenschlichen Prüfung Abrahams durch Gott. Was
ist das für ein Gott, der einem Menschen solches zumutet, wie wir es gehört
haben? Es ist eine ähnliche Frage wie die, die sich uns angesichts des
Karfreitags stellt: Was ist das für ein Gott, was ist das für ein Vater, der
seinem eigenen göttlichen Sohn die grauenvolle Nacht des Kreuzes zumutet?
Verdunkeln solche Geschehnisse nicht das Antlitz unseres Vatergottes so sehr,
dass die geradezu zärtliche Liebe, mit der Jesus ihn schildert (zum Beispiel im
Gleichnis vom "Barmherzigen Vater") - dass dieses liebende väterliche
Antlitz gänzlich verschwindet hinter der gefühllosen Maske einer Gottheit, die
ungerührt mit unserem menschlichen Schicksal spielt?
Liebe
Schwestern und Brüder! Wir
feiern die Osternacht und wir sind es gewohnt, Tod und Auferstehung Jesu so gut
wie ausschließlich als eben seine, als Christi Tat zu betrachten, und darüber
den Vater und seine Rolle in diesem
Erlösungsdrama aus dem Blick zu verlieren. Und so will ich einmal versuchen,
die Vatergestalt Abrahams, der seinen eigenen Sohn Isaak opfern soll, durchsichtig zu machen auf jenen Vater im Himmel, der seinen
einzig geliebten Sohn für uns ans Kreuz hingegeben hat. Abraham
ist die Glaubensgestalt im Alten
Testament schlechthin. Mit Abraham beginnt etwas ganz Neues. Mit Abraham beginnt
jenes große Werk Gottes, mit dem er die Menschen zu sich zurückführen möchte.
Dieser Mann aus Ur in Chaldäa, der auf Gottes Geheiß Heimat und Familie
verlassen hatte, steht am Anfang der Heilsgeschichte. Mit Abraham beginnt sie.
Hier muss daher auch ein ganz besonderer, ein außergewöhnlich qualifizierter
Anfang gesetzt werden. Und so ist wohl selten das, was es heißt, an Gott
bedingungslos zu glauben und auf ihn zu vertrauen, auf derart fast übermenschliche
Weise eingeübt und durchbuchstabiert worden wie bei Abraham. Und gerade so ist
er wirklich zum "Vater des Glaubens" geworden, als den ihn Juden und
Christen bis heute verehren. Die
schrecklichste Prüfung und Einübung dieses Glaubens haben wir soeben
vernommen: Gibt es irgend etwas auf
dieser Erde, das Abraham seinem Gott vorziehen würde? Das ihm lieber wäre
als jener Gott, der ihn schwere Wege geführt , aber auch unglaublich reich
beschenkt hat? Dies
und nichts anderes ist die Frage, die hinter der lakonischen Aufforderung steht:
"Abaham, nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak; geh in
das Land Moria, und bring ihn dort auf einem Berg als Brandopfer dar." Wir
hören nichts, aber auch gar nichts von jenem Sturm, der in Abrahams Seele
losgebrochen sein muss. Er soll ja nicht nur sein eigenes Kind, sondern in Isaak
den Sohn der Verheißung, durch den er zu einem großen Volk werden soll,
hingeben. Kann Gott sich so widersprechen? Der ganze innere Aufruhr von Schreck,
Trauer, Auflehnung, Zweifel und Verzweiflung - und schließlich das
Sich-durchringen zu jenem
Vertrauen, das sagt: Gott war bislang
nur gut, Er ist gut und daher wird Er gut sein auch in der Zukunft. Es wird gut werden für mich, für Isaak und für Gottes Pläne mit
uns, auch wenn ich ihn nicht mehr verstehe - all diese inneren Kämpfe Abrahams
und der Prozess, in dem er sich zu Glauben, Vertrauen und Gehorsam gegen
allen
äußeren Anschein durchringt, wird mit unglaublicher Diskretion übergangen. Dass
Abraham vertraut und gehorcht, ist der heiligen Schrift wichtig. Es genügt ihr
festzustellen: "Frühmorgens stand Abraham auf, holte seinen Sohn Isaak,
spaltete Holz zum Opfer und machte sich auf den Weg. Liebe
Gemeinde! Auch
wenn Abraham seinen Sohn nicht wird opfern müssen - wie qualvoll muss ihm
dieser Weg geworden sein. Und daher ist es zu wenig, den Sinn dieser Begebenheit
nur darin zu sehen, dass hier im Raum Israel Menschenopfer strikt verboten
werden, die in den umgebenden Religionen Gang und Gäbe waren. Was
hier für den Beginn der
Heilsgeschichte geschildert wird, muss durchsichtig werden auf das, was in ihrem
Höhepunkt geschieht. Was Gott, der Vater, Abraham zuletzt doch
nicht zumutet, das mutet Er sich selbst zu. Der Blick auf das Herz Abrahams als
Vater zeigt uns etwas vom Herzen jenes Vaters, den wir "unseren Vater im
Himmel" nennen und der es - so habe ich es in meiner Karfreitagspredigt
formuliert - der es schweren Herzens seinem Sohn erlaubt, sich für uns und zu
unserem Heil am Kreuz zu opfern. Wir alle wissen es: Ein Vater oder eine Mutter,
die ihr Kind zutiefst lieben, würden lieber, wenn es möglich wäre, alles Leid
der Welt auf sich selbst nehmen, als ihr Kind leiden zu sehen. Einen geliebten Menschen leiden zu sehen
ist ein zwar anderes, aber unter Umständen nicht
geringeres Leiden. Was daher der Satz heißt: "So sehr hat Gott, der
Vater, seine Welt geliebt, dass er seinen über alles geliebten Sohn für sie
dahin gab, damit alle durch ihn gerettet werden" - was dieser Satz über
Gott, unseren Vater aussagt, kann uns die väterliche Gestalt Abrahams verstehen
helfen. Zum
Schluss noch ein kurzer Blick auf Isaak und den österlichen
Sinn
dieser Erzählung. Die jüdischen Ausleger haben sich gefragt: Was ging in Isaak
vor, als sein Vater das Messer gegen ihn zückte? Eine ihrer Antworten lautet:
Gott riss in diesem Augenblick den Himmel auf und ließ ihn seine Herrlichkeit
schauen. Die
späteren christlichen Ausleger gaben eine einfachere und realistischere
Auskunft: Isaak sah den Widder, das Lamm, das ihn auslöste und so erlöste aus
dem vor Augen stehenden Tod. Und sie fuhren fort: In diesem Lamm sah er das
Vorausbild jenes wahren Lammes Gottes Jesus Christus, das im Hindurchgang durch
Leid und Tod ihn und alle Menschen, die glauben, aus dem eigenen und endgültigen
Tod erlöst hat. Der Name Isaak enthält den Wortstamm vom hebräischen Verb
"lachen". So deutet schon der Name auf jene österliche Freude, die
zwar Leiden und Tod kennt, aber um ihre endgültige Überwindung durch das
Osterlamm Jesus Christus weiß. Und
daher lautet das Evangelium, die Frohe Botschaft dieses Osterfestes: Gott, unser
Vater, hat für uns und für unsere Erlösung in Jesus Christus sein Kostbarstes
und Liebstes und daher sich selbst, sein eigenes Herz hingegeben. Und so hat er
uns Erlösung geschenkt. Nicht so, dass Er uns Leiden und Tod ersparen würde,
nicht so, dass Er es uns ersparen würde, ihn, Gott, immer wieder auch nicht zu
verstehen, so wie Abraham und selbst Jesus, als er am Kreuz "Warum?"
schrie, ihn nicht verstanden. Denn Seine
Wege und Gedanken für uns sind oft andere als unsere eigenen oft sehr
menschlichen Wege und Gedanken, wie wir vorhin in der vierten Lesung hörten.
Denn auch für uns wird es ein Ostern ohne Karfreitag sicher nicht geben.
Vielmehr besteht die Erlösung darin, dass Leiden, Schuld und Tod nicht mehr das
letzte Wort haben in dieser unserer Welt. Sondern,
dass von nun an andere Wörter das letzte Wort haben: nämlich Freude, Friede,
Vergebung, Liebe, Versöhnung, ewiges Leben kurz: Auferstehung.
Und so möchte ich schließen mit den Worten aus dem Exsultet: "O
unfassbare Liebe des Vaters: Um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn
dahin!, der die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe der Dunkelheit
dieser Welt als Sieger emporstieg." Pfarrer Bodo Windolf |