Gott, der Vater. Ein Gehorsam einfordernder
Tyrann?
Liebe
Schwestern und Brüder!
Diese
oder ähnliche Gedanken sind vielleicht so manchem auch von Ihnen schon durch
den Kopf gegangen. Nicht wenige können und wollen nicht an einen solchen Gott
glauben, an diesen Gott der Christen, der scheinbar ungerührt zuschaut, nein
wegsieht, als sein Sohn qualvoll stirbt .Haben sie nicht recht mit diesem
Einwand?
Ich
möchte diese durchaus bedrängende Frage nach unserem christlichen Gottesbild
angesichts eines Vaters, der seinen Sohn in die äußerste Schmach sendet, um
die Welt wieder ins Lot zu bringen, heute und auch an den kommenden Ostertagen
einmal, in verschiedenen Anläufen von verschiedenen Seiten her, zu beleuchten
versuchen. Ich möchte Linien ausziehen, die in der heiligen Schrift nur
angedeutet sind, aber meines Erachtens ausreichen, um in die Richtung auf eine
Antwort zu weisen.
Gehen
wir zunächst einmal zurück an den Anfang der Bibel, an den Anfang der Anfänge,
an den Beginn der Schöpfung: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde."
Der weitere Verlauf des Textes kann sich gar nicht genug tun, die Gutheit, nein
die Sehr-gutheit der ursprünglichen Schöpfung zu preisen. "Gott sah, was
er gemacht hatte, und es war sehr gut." So zieht ein Schöpfungstag nach
dem anderen vorbei, Bild für die Entfaltung unseres Universums in
Jahrmilliarden und -millionen. Doch
da, mitten am sechsten Tag, ist es auf einmal wie ein Stocken, wie ein Zögern.
Er, der souverän alles durch sein Wort hinaus ins Dasein spricht: "Gott sprach:
es werde... und es ward", er wendet sich plötzlich nach innen wie zu einem
innergöttlichen Selbstgespräch: " Lasst uns Menschen machen nach unserem Abbild, uns ähnlich." Der eine
Gott,
der hier von sich im Plural
spricht:
"Lasst uns den Menschen machen"? Ist hier gleich zu Beginn des Alten
Testamentes vielleicht schon angedeutet, was wir Christen den einen und doch
dreifaltigen Gott, die liebende Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligen Geist
nennen werden? Doch
was mag der Inhalt dieses Gespräches gewesen sein? Menschlich ausgedrückt kann
es eigentlich nur um eine
Frage gegangen sein: Gott, der ohne Zeit ist, sieht ja schon auf die Berge von
Schuld, durch die Menschen seine gute Schöpfung verunstalten werden. Er sieht
schon auf die Meere von Leid, aus dem Unzählige werden trinken müssen. Kann
Gott Geschöpfe ins Dasein rufen, die frei sind
zum Guten, aber auch zum Bösen und von denen er genau weiß: sie werden
ihre Freiheit missbrauchen, sie werden sie zu Unsäglichem missbrauchen? Wird
nicht alles in einem letzten Desaster enden?
Wie
uns allen vor Augen steht, ist Gott
das Wagnis gerade einer solchen Schöpfung eingegangen, einer Schöpfung, in der
es das Böse, das Leid, den Tod gibt. Wie, so fragen viele, hat er es können? Wäre
es nicht besser gewesen, überhaupt gar nichts zu erschaffen als eine solche Schöpfung?
Liebe
Gemeinde! Es
gibt wohl nichts Müßigeres als die Frage, ob es nicht besser wäre, wir und
die Erde würden gar nicht existieren. Die Frage nützt nichts. Wir sind nun
einmal da, und im allgemeinen freuen wir uns auch darüber, freuen wir uns, dass
es mich gibt. Und daher stelle ich
mir, hineinlauschend in den Tonfall der heiligen Schrift, das Ergebnis dieses
innergöttlichen Gesprächs und Ratschlusses folgendermaßen vor: Der Sohn, das
ewige Wort des Vaters, durch den und auf den hin alles geschaffen ist - Er hat
sich selbst angeboten, für das Gelingen der Schöpfung einzustehen. Er hat sich
dem Vater angeboten, sich aus dem Schöpfungsdesaster nicht heraus zu halten,
sondern mitten hinein zu gehen, all diese Berge von menschlicher Schuld auf sich
zu nehmen und in sich sühnend auszuleiden und so zu zeigen, dass seine göttliche
Liebe immer noch stärker und größer ist als selbst alle aufgetürmte Schuld
dieser Erde. Und es muss wohl so
sein, dass der Vater, menschlich gesprochen, diesem Selbstangebot des Sohnes zu
Menschwerdung und Kreuz schweren Herzens zustimmte. Nicht als Gehorsam
einfordernder Tyrann, sondern gleichsam ihm die „Erlaubnis“ gebend hat Gott,
der Vater, seinen Sohn in die Welt zu dieser Erlösungstat am Kreuz gesandt. So,
gerade so wurde Gott selbst solidarisch mit seiner ganzen leidenden Schöpfung,
indem Er ein leidender Mensch wie
wir, nein ein leidender Mensch unendlich mehr als wir wurde und auf diese Weise
unsere Schuld erlitt und auslitt und umerlitt in das Leid seiner göttlichen
Liebe. Daher ist das Geschehen am Kreuz nicht nur ein Geschehen zwischen dem Menschen
Jesus Christus und Gott, sondern es ist ein Geschehen im Herzen Gottes selbst,
ein Geschehen zwischen Gott, dem Vater, und Gott, seinem geliebten Sohn. Wenn
Jesus am Kreuz schreit: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?" und wenn wir ernst machen mit der Menschwerdung Gottes in Jesus
Christus, dann kommen wir nicht umhin zu sagen: Hier ist Gott von Gott verlassen, Gott der Sohn von Gott, seinem
geliebten Vater. Und in dieser Verlassenheit erleidet er das Wesen
der Sünde selbst,
nämlich die Gottferne, die schlechthinnige Abwesenheit Gottes, er erleidet
jenen Verlassenheitsabgrund, der die Sünde von Gottes Heiligkeit trennt; und er
erleidet es in einer Tiefe, die jede Erfahrung der Hölle unendlich weit hinter
sich lässt, weil nur der Sohn wirklich weiß, was es heißt, von Gott
verlassen, vom Vater definitiv getrennt zu sein. Ist es vorstellbar, dass den
Vater diese seeliche Nacht seines Sohnes, die menschlich tiefer reicht als aller
körperliche Schmerz der Kreuzestortur, - ist es vorstellbar, dass den Vater
diese abgrundtiefe Gottesnacht unberührt gelassen hätte? Nein, ein solcher Vater wäre eine grausige Karikatur des Vaters, den wir als Christen verehren. Und so will ich an den Schluss dieser Predigt die Worte eines der großen deutschen Dichter des letzten Jahrhunderts stellen, eine Betrachtung von Reinhold Schneider zum Verlassenheitsschrei Jesu am Kreuz:
"Mit
seinem Leibe ist die Seele gekreuzigt, aber in diese höchste Verlassenheit
reicht keines Menschen Gedanke, keines Herzens Empfindung hinab. ...fassen können
wir es nicht, dass Gott verlassen ist von Gott; weder den Schmerz des Sohnes
noch den Schmerz des Vaters werden wir jemals begreifen. Denn es ist ja gewiss,
dass dieser Ruf den Vater auf das furchtbarste traf. Dass er in diesem
Augenblick den Himmel nicht öffnete, ... ist vielleicht das Opfer über allen
Opfern - ein Opfer, das dem Schmerz, dem Alleinsein des Sohnes nicht nachsteht
oder sie gar übersteigt. Und so ist, im heiligen Drama der Erlösertat,
vielleicht keine mächtigere Offenbarung göttlicher Liebe als dieser Ruf des
Verlassenen und die Antwort des Schweigens. Denn eine Antwort ist es für
uns,... auch dieses Leid muss gelitten werden, damit das Maß der Sühne erfüllt
werde und ausreiche bis zum Ende der Zeiten. So furchtbar ist der Frevel auf
Erden, wird dieser Frevel noch sein und sich steigern, dass der Gekreuzigte
dieses Alleinsein erfahren und die ewige Liebe schweigend seine Klage aufnehmen
musste."
Liebe
Schwestern und Brüder!
Wer
zu schauen versteht, der kann durch die vom Speer durchbohrte und geöffnete
Seite des gekreuzigten Herrn hindurch bis in das aufgebrochene Herz des
dreifaltigen Gottes schauen. Es ist sein Engagement, die Liebe und der
Selbsteinsatz von Sohn und Vater und Heiligem Geist, der diese Erlösungstat
vollbracht hat; es ist Tat des Sohnes, die zu tun der Vater ihm schweren Herzens
erlaubt und wozu er ihn gesandt hat. "So sehr hat Gott die Welt geliebt,
dass er diesen seinen einzig geliebten Sohn für sie dahin gab, damit alle die
an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern durch ihn gerettet werden." Pfarrer Bodo Windolf |